Wahrhaftigkeit, Witz und Spannung

Der Kriminalroman „Blaue Nacht“ von Simone Buchholz spielt im Hamburger Drogenmilieu und hat viele Qualitäten

Von Charlotte LampingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Charlotte Lamping

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Blaue Nacht“ erinnert ein wenig an die amerikanischen Kriminalromane á la Raymond Chandler. Ermittler: hartgesotten; manchmal vulgär. Im Prinzip „ein guter Kerl“, aber Typ einsamer Wolf. Rauhe Schale, weicher Kern. Außerdem rauchend, trinkend, vögelnd. Nur, dass es sich hierbei um die ehemalige Staatsanwältin Chastity Riley handelt. Der Roman spielt auch nicht an der amerikanischen Westcoast, sondern im Hamburger Kiez. Thematik: ein unbekanntes Opfer und das Drogenmilieu.

Der Inhalt des Romans ist schnell umrissen: Chastity Riley, suspendierte Staatsanwältin, nun Opferschutzbeauftragte, wird zu einem neuen Klienten gerufen, der zusammengeschlagen in einem Hamburger Krankenhaus liegt. Der charismatische, aber sehr verschlossene Joe (der in Wirklichkeit vermutlich gar nicht so heißt), lässt sich nach und nach auf Chastity ein, und er offenbart ihr einige Details, die schnurstracks zu dem großen Fall Gjergi Malaj und dem Hamburger Drogenmilieu führen.

Interessant sind die zwischen die Kapitel geschobenen Flashbacks des Figurenensembles, die den aktuellen Fall in die frühen 80er Jahre zurückführen, wo er seinen Ausgang nahm. Die Besonderheit des Romans ist aber die Sprachfertigkeit der Autorin. Sie ist frech, ehrlich, zeitgemäß, lakonisch, schöpferisch: „In der Blauen Nacht ist es jetzt bumsvoll, außer den Hipstern von vorhin und einigen Dutzend freundlicher Menschen zwischen zwanzig und fünfzig sind auch noch ein paar von den alten Recken da.“

Der Stil ist rau und gradlinig; die Sätze sind kurz. Man bleibt hängen bei witzigen Wort-Schöpfungen, die den Nerv der Zeit treffen, aber nicht aufdringlich modern, sondern präzise und realitätsnah eingesetzt wirken. Liebhabern eines solchen Sprachstils sei dieses Werk dringend anempfohlen.  

Eine weitere Qualität des Krimis ist seine sehr authentisch wirkende Darstellung der Figuren. Die Protagonistin beschreibt sich selbst oft selbstkritisch-ironisch: „Ich kann da ganz schlecht drauf reagieren“ oder „meine innere Bestie kann ja auch immer jeden Moment ausbrechen“. So meint man, der Leser bekommt einen Einblick in die vermeintlichen (charakterlichen) Schwächen der Figuren; in Wahrheit aber ist die Stärke des Krimis, dass die Figuren um Chastity zwar allesamt ihre Macken haben, doch letztlich zusammenhalten und sich stützen. Den Charakter von Chastity Riley beschreibt die Autorin so: „Sie ist emotional gehandicapt. Sie wirkt härter, als sie ist. Sie ist schon so eine Art einsame Wölfin, obwohl das schon so ein Klischee ist, aber da gehört sie schön rein. Und sie trinkt leider zu viel und raucht zu viel, das muss man echt sagen. Ich mache mir immer ein bisschen Sorgen um sie.“ (NDR Kultur, 29.3.2016)

Der auf der Henri-Nannen-Schule zur Journalistin ausgebildeten Simone Buchholz merkt man ihre journalistische Expertise an: Der Krimi ist gut recherchiert, das Drogenmilieu wird klar, mitleidlos und in all seiner Härte skizziert. Der Fall ist spannend konstruiert, sowohl durch die schlaglichtartigen Flashbacks als auch durch den ominösen Joe, den es für Chastity zu enträtseln gilt. Der sprachliche Stil lässt, gerade in Kombination mit der Szenerie des melancholischen Hamburgs, Sätze entstehen, denen nichts mehr hinzuzufügen ist: „Sowieso schwierig in einer norddeutschen Hafenstadt im knitterfaltigen März: das mit dem Lachen. Der Rest, also alles, was man ohne Lachen machen kann, ist fast leichter als anderswo. Wir lassen uns einfach reinfallen in den Nebel, und schon laufen die traurigen Sachen von ganz allein. Einsam sein zum Beispiel. Oder Angst haben. Oder abgeschnitten sein von allem. Solche Sachen eben.“

Titelbild

Simone Buchholz: Blaue Nacht. Kriminalroman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016.
236 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783518466629

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