Sich mit fremden Federn schmücken

Anne-Kathrin Reulecke untersucht Plagiate und Fälschungen in ihrer Arbeit „Täuschend, ähnlich“

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Skandale um gefälschte Doktorarbeiten, um Plagiate in literarischen Texten oder aber auch um bewusst geänderte Lebensläufe haben in den letzten Jahren zu den bedenkenswerten Überlegungen geführt, was überhaupt Originalität ist, ob Fälschungen und Plagiate nicht etwas ganz Normales sind und inwiefern man mit diesem Phänomen einfach leben muss.

Die Vogel-Strauß-Taktik wird bei Plagiatsfällen gerne angewendet: Der Kopf wird in den Sand gesteckt und abgewartet, bis sich die öffentliche Aufregung gelegt hat, aber an der Situation ändert sich nichts. Immerhin tragen viele Leute doch sogar Plagiate an ihrem Körper – auch Produktpiraterie fällt unter den Tatbestand des Plagiats. Fälschungen und Plagiate werden als schlimm empfunden und die Öffentlichkeit verzeiht nicht schnell, ist aber sehr vergesslich. Dass solche Praktiken nicht nur Phänomene der Neuzeit sind, beweist Anne-Kathrin Reulecke in ihrer Arbeit Täuschend, ähnlich.

Ein Plagiat (über franz. plagiaire, deutsch „Dieb geistigen Eigentums“ aus lateinisch plagiārius „Seelenverkäufer, Menschenräuber“) ist die Übernahme fremder geistiger Leistungen, was sich auf die ungekennzeichnete Übernahme von Ideen (z.B. Melodien, Erfindungen, Design) und/oder fremder Texte und Darstellungen (z.B. Artikel, Film- und Tonaufnahmen) bezieht. Fälschungen hingegen sind die bewusste Herstellung eines Objekts oder einer Information, um Personen zu täuschen. Eine Fälschung kann aber auch auftreten, wenn kein Original existiert, d.h. es gibt die angegebenen Hersteller, Künstler, Quellen etc. zum angeblichen Original nicht.

Wie schon angedeutet sind Plagiate und Fälschungen in vielen verschiedenen Bereichen zu finden. Reulecke konzentriert sich auf Literatur und Naturwissenschaften, wobei der Bereich der Naturwissenschaften dem der Literatur untergeordnet wird, d.h., die naturwissenschaftlichen Beispiele werden immer im Bereich der Literatur diskutiert. Ohne Frage ist diese Einschränkung sinnvoll, denn sonst würde der Rahmen der Arbeit gesprengt werden.

Plagiate und Fälschungen in der Literatur sind immer schon recht problematisch gewesen, denn wiederholt stellt sich die Frage, ob ein Text gleich ein Plagiat ist, wenn sich unmarkierte Zitate oder Ideen darin befinden. Autoren rechtfertigen sich oft damit, dass die eingearbeiteten fremden Zitate oder Ideen sich als Teil einer Collage in den Text einfügen, oder dass sich die Autoren in eine Traditionslinie mit den zitierten Verfassern stellen wollen, oder sie wollen sich einfach vor den Altvorderen verbeugen. Streitereien und die Frage nach der Autorschaft sind die Folgen. Nicht geringer werden die Probleme, wenn sich der Autor des literarischen Werks im einfach zugänglichen Internet bedient und etwas mehr oder weniger wortwörtlich übernimmt – ist das erlaubt und legitim, ist das ein Plagiat oder ist das Internet doch ein rechtsfreier Raum?

Reuleckes Arbeit ist keine Motivgeschichte, dafür ist sie zu exemplarisch und weniger umfassend. In den ersten Kapiteln klärt sie die Begriffe Plagiat und Fälschung und versteht sie als jeweils komplementär aufeinander bezogene Praktiken. Dabei versucht sie beides mit Theorien der Autorschaft abzugleichen, wobei sie hier auf Modelle der antiken Tradition bis hin zu modernen Autorschaftskonzepten à la Roland Barthes zurückgreift. Ein zentraler Punkt ist zudem das Urheber- und das Persönlichkeitsrecht, denn Plagiate und Fälschungen berühren diese empfindlich.

Wie verhält sich das Recht zu den Konzepten von Autorschaft bzw. zu einer Poetik? Bei aller Komplexität der Thematik ist hervorzuheben, dass Reulecke immer konkrete Fälle heranzieht und die literarischen Beispiele mithilfe des close readings unter dieser Fragestellung beleuchtet. Die  fraglichen Texte reichen von Johann Gottlieb Fichte über Goethe zu Thomas Mann bis hin zu Georges Perec und Helene Hegemann. Die Beispiele illustrieren und lockern die doch etwas trockene Theorie immer wieder auf und festigen das Verständnis.

Besonders hervorzuheben sind noch zwei Kapitel, die sich mit Fälschung und Plagiat in der Psychoanalyse und in der Naturwissenschaft befassen. Das Thema noch einmal psychoanalytisch zu betrachten, ist geradezu naheliegend, denn das Argument, das Plagiieren sei eine unbewusste Handlung gewesen, wird immer wieder gerne als Entschuldigung herangezogen. Auch die Problematik der Naturwissenschaften, die für Rationalität und strikte Beweisführung steht, innerhalb der Literatur zu diesem Thema zu befragen, liest sich recht interessant und führt dahingehend zu neuen Einsichten. Reulecke übersieht lediglich, dass Plagiate und Fälschungen auch als Mittel der Ironie und Komik benutzt werden können, so wie es etwa Max Aub mit seinem Campalans gelungen ist, die Leute an der Nase herumzuführen, indem er einen fiktiven Künstler schuf. Denn was sagt es über eine Gesellschaft aus, die auf offensichtliche Fälschungen und Plagiate hereinfällt? Damit kann die Thematik auf eine weitere gesellschaftliche Ebene gehoben werden.

Der Wert der Arbeit liegt in den reichhaltigen Beispielen, zudem wird die Schwierigkeit der Bewertung dieser Fälle aufgezeigt. Reuleckes Arbeit kann damit als Ausgangspunkt für weitere Beschäftigungen und Überlegungen zum Problemfeld Plagiat und Fälschung dienen.

Titelbild

Anne-Kathrin Reulecke: Täuschend, ähnlich. Fälschung und Plagiat als Figuren des Wissens in Künsten und Wissenschaften. Eine philologisch-kulturwissenschaftliche Studie.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2016.
469 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783770554263

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