Blütenstaub in frischem Grün

Novalis’ Erstlingswerk in der „Typographischen Bibliothek“

Von Klara SchubenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klara Schubenz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Fragmente von Novalis (mit bürgerlichem Namen Friedrich von Hardenberg) gehören zum Schwierigsten und zugleich Schönsten, was man in der deutschen Literatur finden kann. Klaus Detjen hat die Fragmentsammlung Blüthenstaub, mit der Novalis 1798 in der romantischen Zeitschrift Athenaeum sein poetisch-philosophisches Debüt gab, jüngst in seiner preisgekrönten Reihe der Typographischen Bibliothek (Wallstein Verlag) gestaltet und zusammen mit einem pointierten Nachwort des Literaturwissenschaftlers Hans Jürgen Balmes neu herausgegeben.

Den Inhalt dieser Fragmente zusammenzufassen ist kaum möglich. Die aphoristisch-kurzen und sentenzhaft-weisen Bruchstücke behandeln so Weitverzweigtes und Verschiedenes wie Philosophie und Bildung, Religion und Anthropologie, Poesie und Staatslehre. Mit dem Satz „Wir suchen überall das Unbedingte und finden immer nur die Dinge“ (Nr. 1) beginnt die Sammlung und benennt damit das zentrale Thema der Frühromantik: das Streben nach dem Absoluten, das jedoch nie als es selbst zu erreichen oder darzustellen ist.

Die Differenz, die das Endliche, Begrenzte, Sinnliche vom Unendlichen, Transzendenten und Geistigen trennt, gilt es durch synthetisierende Gedankenfiguren der Entgrenzung und Vermittlung von Widersprüchen (wie z.B. dem romantischen Witz, Nr. 57) annäherungsweise zu überwinden. Darin ist die Frühromantik den Frühidealisten Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling ähnlich, deren philosophischen Systeme Novalis begeistert studiert. Und solche Vermittlungsfiguren sind genau das, was bei Novalis das ‚Romantisieren‘ der Welt bedeutet: „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“ Ebenso sollen die Grenzen zwischen Mensch und Natur, Innen- und Außenwelt unterhöhlt werden, wenn Novalis das Weltall in die Tiefe des menschlichen Wesens selbst hineinversetzt: „Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unsers Geistes kennen wir nicht. – Nach Innen geht der geheimnißvolle Weg.“ (Nr. 16)

Andere Fragmente wiederum sind etwas unmittelbarer verständlich als die vorigen, etwa diejenigen, in denen es um das romantische Gemeinschaftsverständnis geht, das sowohl die Natur als auch Ideen als keinen Privatbesitz denkt (Nr. 13, 85). Denken wird vielmehr als Weiter-Denken und ‚Sym- (also: Zusammen-)Philosophieren‘ begriffen (Nr. 20). Daraus erklären sich einige Fragmente Friedrich Schlegels in der Sammlung, wie man umgekehrt Novalis-Fragmente in Schlegels Werk findet. Vor dem Hintergrund auch der thematischen Breite wird dadurch deutlich, dass gerade keine klaren und streng voneinander getrennten Texte oder Systeme geschaffen werden sollen, sondern im Gegenteil ein großangelegtes Projekt der Vernetzung, in dem Autoren, Wissensgebiete und Dinge in geheimen Verbindungen zueinander stehen (Nr. 92).

Dass solch ein Projekt folgerichtig nur in Fragment-Form zu schreiben ist, erschließt sich von hier aus. Anders als der Aphorismus, der ebenfalls eine kleine zugespitzte Einzelbemerkung darstellt, die losgelöst von ihrem Kontext steht, ist das Fragment nämlich ein unabgeschlossener bzw. ein unabschließbarer Text. Novalis hält nichts von bornierten, d.h. beschränkten und engstirnigen Systemen (Nr. 113). Sein Denken ist ein wagemutiges Suchen und Tasten nach immer neuen Perspektiven, das keine endgültigen Tatsachen präsentieren will, wie es Gerhard Schulz einmal ausgedrückt hat. Außerdem fordert Novalis seine Leser zu produktiver Lektüre auf: Seine Fragmente sind deshalb unabgeschlossen, damit sie von anderen weitergeschrieben werden können. „Fragmente dieser Art sind litterarische Sämereyen. Es mag freylich manches taube Körnchen darunter seyn: indessen, wenn nur einiges aufgeht!“ (Nr. 114) Novalis’ Worte erscheinen so als Samen, die beim Lesen weiterkeimen, sie sind „Anfänge interessanter Gedankenfolgen – Texte zum Denken“.

Die ästhetische Gestaltung dieser zu immer neuer Lektüre einladenden Text-Sammlung, deren Autor sich ihrer literarischen Form so sehr bewusst war, ist im Rahmen einer Buchreihe, der es um Typographie und Formbewusstsein geht, nun natürlich von besonderem Interesse. Und um es vorwegzunehmen: Detjen gelingt eine Bereicherung auf der Darstellungsebene! Die cleane Typographie überzeugt sofort, wie auch der luftige großzügige Satz, die elegante Durchnummerierung der Fragmente und das schwere Papier. Die schöne Renaissance-Antiqua (DTL Romulus von Jan van Krimpen) entspricht in der Tat „in ihrer Eleganz, Feinheit und Strenge […] der sensiblen Sprache und den differenzierten Gedankenfolgen des Autors“, wie Detjen im Geleitwort zur Gestaltung seine Wahl begründet.

Schwieriger wird es mit dem zweiten Teil des Buches: Nach dem nur etwa die Hälfte der Seiten einnehmendem Textteil folgt ein beim ersten Blättern irritierender, in Pastelltönen gehaltener ‚Farbraum‘. Die vielen einfarbig bunten Seiten wirken wie eine Sammlung von Bastelpapier, das zum Weiterverarbeiten einlädt. Sollte man vielleicht zur Schere greifen und die in schwarz-weiß gezeichneten Blüten auf den ersten und letzten Seiten des Buches farbig bekleben? Und warum wurden immer zwei verschiedene Farben, die jeweils eine ganze Seite einnehmen, einander gegenübergestellt?

Bei genauerer Betrachtung zeigt dieser Farbraum jedoch System. Denn Detjen hat dem Farbenspiel einen Farbenkreis aus sechs Grundfarben vorangestellt, aus dem sich 15 Farbpaare ergeben. Der Farbraum soll als ein verspieltes „visuelles System“ und eine Ergänzung zum philosophischen Gedankenraum des Autors verstanden werden. Dieses Farbenspiel, so befremdlich es auf den ersten Blick auch wirkt, ist konsequent romantisch. Denn Novalis und seine Freunde haben wie gesagt sehr viel über die Beziehung zwischen verschiedenen Wissensgebieten, Künsten und Zeichensystemen nachgedacht: Wie lässt sich Musik visualisieren? Wie Philosophie ästhetisieren? Der Gestalter nimmt nun die Anstöße des Textes auf: Blüten als Metapher für einzelne philosophische Gedanken (Nr. 15), und Blütenstaub, dessen Farbe gelb-grün ist, als Titel einer Text-Sammlung, die ihren Leser zum Weiterdenken ‚befruchten‘ will. Daraus macht Detjen einen leichten lindgrünen Buchumschlag, filigrane Blütenzeichnungen und eben jenen durchaus etwas merkwürdigen bunten Farbraum.

Dem Geleitwort zur Gestaltung ist ein Zitat von Heimito von Doderer vorangestellt: Farbe, so heißt es hier, habe mehr „Transzendenz“ als Form; indem sie das Material in den Hintergrund treten lasse, leitet sie quasi in andere Sphären über. Romantische Poetik ist laut Novalis „die Kunst, auf eine angenehme Art zu befremden“, d.h. einen Gegenstand fremd zu machen und doch zugleich bekannt und anziehend. Das ist Klaus Detjen mit seinem Buch gelungen. Er hat ‚sym-philosophiert‘ und Novalis’ gedankliche „Sämereyen“ in eine frühlingsfarbene und ebenso konkrete wie abstrakte Blüten- und Blätterwelt verwandelt. So können die Worte des Dichters jetzt besonders anregend weitersprießen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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Novalis: Blüthenstaub. Mit vier Fragmenten von Friedrich Schlegel.
Mit einem Nachwort von Hans Jürgen Balmes. Herausgegeben, gestaltet und mit einer Nachbemerkung versehen von Klaus Detjen.
Wallstein Verlag, Göttingen 2016.
95 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783835316690

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