Die Spirale der Kritik

Die kritische Edition des "Todesarten"-Projekts von Ingeborg Bachmann und ihre Rezensenten

Von Catherine BeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Catherine Beck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als die Bachmann-Forschung durch das Erscheinen der Kritischen Ausgabe des "Todesarten-Projekts" 1995 neuen Auftrieb erfuhr, war auch das Presse-Echo beachtlich. Gerügt wurden häufig die "geradezu kriminalistischen" Analysemethoden, die die Herausgeber (Monika Albrecht und Dirk Göttsche unter der Leitung von Pobert Pichl) anwandten: über 3000 Seiten stark ist die fünfbändige Ausgabe, und neben vielen bisher unzugänglichen Texten enthält sie die bereits zu Lebzeiten der Autorin publizierten Fragmente und den Roman "Malina" - samt aller Vor- und Korrekturstufen. Hier ist also eine Fundgrube für alle Interessierten erschlossen worden und dennoch: diese Präzision geht mitunter auf Kosten der Handhabung. Vor allem aber wurden die Editionsentscheidungen des Teams kritisiert - sowohl die Chronologie als auch die inneren Bezüge der Texte zueinander erschienen vielen Rezensenten fraglich.

Solchen Erwägungen will die 1998 erschienene Studie "Text-Tollhaus für Bachmannsüchtige?" ein Forum geben und Lesarten der Kritischen Ausgabe präsentieren. Sowohl die Herausgeber der ersten Ingeborg-Bachmann-Werkausgabe von 1978 (Christine Koschel, Inge von Weidenbaum und Clemens Münster) als auch die der neuen "Todesarten"-Ausgabe kommen hier zu Wort und vertreten ihre Positionen. Zusätzlich gibt es Beiträge von anderen Bachmann-Forschern wie Holger Gehle oder Kurt Bartsch. So trägt dieses Buch zwar einerseits zur Klärung der einzelnen Positionen bei, andererseits dreht sich die Spirale der Kritik auch immer weiter. Die Uneinigkeit der Experten ist deutlich erkennbar. Während die einen die editorischen Entscheidungen der Kritischen Ausgabe für konstruiert und zweifelhaft halten, versuchen die anderen, plausible Gründe für sie anzuführen.

Das Fundament der Festlegung ist in der Tat wackelig. Die Äußerungen, die die medienscheue Schriftstellerin zu Lebzeiten bezüglich des "Todesarten-Projekts" verlautbaren ließ, sind unpräzise und interpretationsbedürftig. Der mühselige Schaffensprozeß wird in der Kritischen Ausgabe dokumentiert: zwar erscheinen das Figurenensemble als auch die Motivgenese als durchgängig, ebenso gibt es aber zahlreiche Abbrüche und Umarbeitungen. Um so mehr erscheint es problematisch, daß einige der Autoren ihre Thesen durch biographische Vermutungen zu untermauern suchen. Besonders auffällig ist hier der Beitrag von Inge von Weidenbaum. Nicht nur, daß die "Briefe an Felician" - die ursprünglich zum Privatnachlaß Ingeborg Bachmanns zählten, und nur unter Verweis auf den imaginären Adressaten freigegeben wurden - nun aufgrund leitmotivischer Übernahmen in Verbindung mit Bachmanns Lehrer, dem Kärntner Schriftsteller Josef Friedrich Perkoning, gebracht werden. Hinter dem Bild des imaginären Felician tritt jetzt hier, der "reale Geliebte" Perkoning hervor. Die Bedeutung Perkonings für Bachmann ließe sich an "wiederholten Fiktionalisierungsversuchen" erkennen. Paradox erscheint aber von Weidenbaums Argument, gerade die Tatsache daß Perkoning nie von Ingeborg Bachmann innerhalb einer biographischen Äußerung erwähnt wurde, zeige, daß sie ihn aus ihrem Leben verstoßen habe. Im übrigen habe sie es immer verstanden, "Verletzungen unter einer eleganten Form der Nonchalance" zu verstecken. Immerhin: Inge von Weidenbaum stützt ihre biographistische These mit einem George Steiner-Zitat: "Die Weigerung, zur Kenntnis zu nehmen und als zusätzliche kontextuelle Energie in Betracht zu ziehen, was wir über das Leben des Künstlers in Erfahrung bringen können, ist prätentiös und künstlich." Fraglich bleibt, ob diese "kontextuelle Energie" in ihrer Unbestimmtheit dem, was feststeht, nämlich dem Werk der Künstlerin/Schriftstellerin, dienlich sein kann. Andere Beiträge in diesem Buch weisen auf diese Problematik hin und stellen heraus, daß gerade Ingeborg Bachmanns Äußerungen über ihre Arbeit gleichsam Spiegelungen dieses andauernden Prozesses in seinem Verlauf und nicht als gültige Interpretation zu betrachten sind.

Erfreulich ist die sorgfältige Auswahl der 1995 erschienen Rezensionen im Schlußteil des Buches, die einen guten Überblick über das Presse-Echo geben - hier werden die unterschiedlichen Positionen zum ersten Mal nahezu vollständig entfaltet. Das Buch ist eine Bereicherung für Bachmann-Kenner - es wirft mehrere und stets divergierende Blicke auf die Kritische Ausgabe, so daß der Diskurs lebhaft weitergeführt werden kann.

Titelbild

Robert Pichl / Monika Albrecht / Dirk Göttsche: Ingeborg Bachmann: "Todesarten"-Projekt. 5 Bände.
Piper Verlag, München 1995.
3027 Seiten, 99,99 EUR.
ISBN-10: 3492049907

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Irene Heidelberger-Leonard: Tollhaus für Bachmann-Süchtige?
Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 1998.
197 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3531131109

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