Erfrischend vernünftig
Maren Ermischs und Heinrich Deterings kleiner Band „Storm zum Vergnügen“
Von Martin Schönemann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseTheodor Storm ist jedem ein Begriff: Das ist doch der mit dem Schimmelreiter und dem Häwelmann, dieser norddeutsche, etwas rührselige Novellendichter aus dem 19. Jahrhundert, der Spukgeschichten und spätromantische Liebesgedichte schrieb. Vielleicht erinnert man sich sogar an Theodor Fontanes böses Wort von Storms „Husumerei“ oder an das süßliche, lebensmüde „Ich möchte schlafen, aber du musst tanzen“, das Thomas Mann seinen Tonio Kröger rezitieren lässt. Auf jeden Fall erscheint uns Storm heute als eine ziemlich altmodische Gestalt. Aber das stimmt natürlich, wie jedes Klischee, nur zum Teil. Die Storm-Forschung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten entsprechend auch bemüht, den Dichter aus dieser müffelnden Heimatdichter- und Regionalliteratur-Ecke zu befreien. In dieser Tradition steht auch das vorliegende Bändchen Storm zum Vergnügen.
Schon im Vorwort betonen die Herausgeber Maren Ermisch und Heinrich Detering, beide anerkannte Storm-Forscher, dass sie Thomas Manns wirkmächtiger Stormdeutung mit ihrer Auswahl nicht folgen. Mann charakterisierte Storm als Melancholiker und introvertierten Dichter „von nebliger Heide und Meeresrauschen“. Ermisch und Detering dagegen präsentieren einen Storm, „dem alles daran gelegen ist, seinen Zuhörern die Spannung reinen Erzählvergnügens zu bieten“. Das tun sie auf meisterhafte Weise. Denn natürlich beschränken sie sich nicht darauf, einfach nur zu beweisen, dass Storm ein Routinier war, wie jeder andere gute Schriftsteller auch. Sondern sie nutzen die Vorgaben der Reihe … zum Vergnügen, um in einer Sammlung kurzer, leicht lesbarer Texte vor allem den Storm jenseits seines Weltschmerzes und seiner vertrackten pädophilen Neigung zu präsentieren, die manche seiner Texte so schwer genießbar machen – den vernünftigen Storm. Ihre Textsammlung ist eine sorgsame Komposition, elegant gerahmt durch je einen einleitenden und einen abschließenden Vierzeiler und thematisch in kleine Kapitel gegliedert. Der Reigen beginnt scheinbar harmlos mit Tier- und Kindergeschichten, darauf folgen Spukgeschichten, Außenseitergeschichten, endlich satirische Texte und Tagebucheinträge. So leiten die Herausgeber den Leser leichtfüßig durch die thematische Vielfalt der Stormʼschen Gedankenwelt. Am Ende schließen sich ein Glossar, eine biografische Zeittafel und sogar Lektürehinweise zur Forschung an.
Dieser wohlüberlegten Aufteilung entspricht die inhaltliche Auswahl, die ebenfalls kluge Texte den gefühligen vorzieht und dadurch hell und leicht wirkt. So wird das Kapitel mit den Spukgeschichten mit dem lehrhaften Märchen Der kleine Häwelmann eingeleitet. Die folgenden irrationaleren Erzählungen wirken in dieser Nachbarschaft realitätsbezogener, zumal es sich überwiegend um betont sachlich niedergeschriebene Überlieferungen anderer handelt, in denen Storm als getreuer Chronist, nicht als „Spökenkieker“ auftritt. Auch die Auswahl der Gedichte geht in diese Richtung: Es werden nur wenige und grundsätzlich eher prosaische Gedichte aufgenommen, in der Regel Gedankenlyrik und auch erzählerisch Angelegtes.
Hier zeigt sich die einzige kleine Schwäche der Konzeption: Der konsequente Verzicht auf Unvernünftiges lässt Storm distanzierter erscheinen, als er ist. Die Spukgeschichten verraten nicht, was in dem Autor selbst spukt, die Außenseitergeschichten verschweigen, warum er sich diesen Menschen so nahe fühlte. Die innere Zerrissenheit des Autors wird nicht zum Thema. Zudem vermisst der Storm-Liebhaber vermutlich die schönsten der Gedichte: das genial einfache, um Kitschgrenzen unbekümmerte Heute, nur heute bin ich so schön zum Beispiel oder die Schmerzlust von Komm, lass uns spielen, weißer Schmetterling. Aber das hat ja in einem Büchlein „zum Vergnügen“ vielleicht auch nichts zu suchen.
Außerdem gibt es einen gleichwertigen Ersatz: Die Herausgeber lassen ihre Textsammlung mit dem Kapitel „Aus den Tagebüchern“ enden, in dem sich neben klugen Gedanken, etwa zur mitunter notwendigen Unvernünftigkeit, intensive lyrische Bilder finden. Auch das ist eine elegante Lösung: Die dichterische Qualität Storms wird beiläufig, an einem untergeordneten Textgenre und an wenig bekannten Texten, illustriert.
So erreicht dieses Buch mit Leichtigkeit seinen Zweck: Wer Storm noch nicht kennt, kann ihn auf vergnügliche Weise kennenlernen, einfach indem er in den kurzen und kurzweiligen Texten blättert, wobei gelegentliche Worterklärungen den Zugang weiter vereinfachen. Und wer Storm bereits kennt, wird überrascht sein, wie frisch der Autor in dieser Auswahl wirkt, die unvermeidliche Storm-Klassiker wie Knecht Ruprecht oder Der kleine Häwelmann so geschickt mit weniger Bekanntem verbindet, dass es genug zu entdecken gibt und allemal ein Lesevergnügen ist.
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