Das 15. Kälbchen, ein Pferd als Therapeut und die Freudentänze einer dreibeinigen Katze

Jürgen Teipel versammelt Geschichten von Tieren und Menschen

Von Katja HachenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katja Hachenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

14 Kälber hat die Kuh Gisela in ihrem Leben geboren und über 100.000 Liter Milch gegeben – eine kaum vorstellbare Menge. Die meisten Kühe, erzählt Karin Mück, Gründerin eines Kuh-Altersheims in der Nähe des Jadebusens bei Bremerhaven, in dem auch viele andere Tierarten leben, werden im Alter von zwei Jahren schwanger; viel zu früh, weil eine Kuh eigentlich erst mit drei Jahren ausgewachsen ist. Und schon sechs bis acht Wochen nach der Geburt tragen sie erneut, müssen aber gleichzeitig Milchleistung erbringen, möglichst „zehntausend Liter im Jahr. Das hält kein Körper aus“. Die Kuh Gisela nun kommt mit fast 17 Jahren in Mücks Kuh-Altersheim. Als der Hänger nach achtstündiger Fahrt auf dem Hof eintrifft, bricht sie beim Abladen aus Entkräftung und Stress zusammen und liegt danach mit stumpfem Fell und trübem Blick wochenlang im Stall. Etwa 80 Prozent der Kühe, die auf den Hof kommen, erzählt Mück, haben massive Gelenkprobleme, dadurch verursacht, dass sie auf schnelles Wachstum und auf Hochleistung gezüchtet werden. Mittlerweile kreuze man sogenannte Fleischrassen mit Milchrassen. Die dabei entstehenden Kälber seien derart riesig, dass die Kuhmütter nicht mehr in der Lage seien, sie allein zur Welt zu bringen. Für Gisela schafft Mück ein Hebegerät an, um ihr auf die Beine zu helfen. Jahrelange Anbinde-Haltung hat die Kuh das Gehen verlernen lassen. Erst langsam gelingt es Gisela, wieder aufzustehen. Sie kommt auf eine Krankenweide zur Erholung. Dort kann sie nach und nach vergessen, was sie erlebt hat: Zum Beispiel die häufigen Augenverletzungen der anderen Kühe, die daher rühren, dass „gewisse Methoden“ angewandt werden, wenn eine Kuh nicht freiwillig in den Melkstand gehen will: „Dann wird geschlagen, oder es wird der Schwanz gebrochen“. Auf der Krankenweide lebt Gisela noch einmal auf. Vor allem, als eine Mutterkuh mit Kälbchen zu ihr auf die Weide kommt. Gisela, die keines ihrer 14 Kälbchen bei sich behalten durfte, weil ihr jedes gleich nach der Geburt genommen wurde, damit ihre Milch verkauft werden konnte, wirft ihren Kopf hoch, als sie das Kalb zum ersten Mal sieht, muht und ruft, und das Kalb läuft zu ihr und lässt sich ablecken. Zum Trinken geht das Kälbchen fortan zu seiner Mutter, zum Schmusen und Schlafen aber legt es sich zu Gisela, die von da an aufblüht. Zwei Sommer erlebt sie mit dem Kalb zum ersten Mal in ihrem Leben eine Nähe, die ihr in den Jahren davor mit ihren eigenen Kälbern vorenthalten wurde. Als sie schließlich altersbedingt eingeschläfert werden muss, geschieht das, während das Kalb sie ableckt. Die Geschichte von Gisela – der Kuh, die, nachdem man ihr 14 Kälbchen weggenommen hatte, doch noch mal ein Kälbchen haben durfte und das so genossen hat –, schließt Mück, habe viele Menschen zum Nachdenken angeregt: Manche seien Vegetarier oder Veganer geworden, manche hätten angefangen, gegen das System der Tierausbeutung aktiv zu werden.

Die Geschichte von Gisela ist eine von 40 Geschichten über Tiere – Haustiere, Nutztiere und Wildtiere –, ihr Verhältnis untereinander und ihre Beziehung zum Menschen. Die Geschichten werden erzählt, das heißt, Jürgen Teipel stellt diese Geschichten zusammen und erhält den Duktus der Oralität, der die einzelnen Geschichten auszeichnet. So entsteht ein vielstimmiges Buch, das das Erzählte sehr nah an den Leser heranträgt, da keine stilistische Glättung oder Literarisierung erfolgt. Es wird unmittelbar erzählt, sozusagen von Mensch zu Mensch, genauso wie bei einem Gespräch auf der Straße. Bedingt durch die Vielfalt der Erzähler entsteht ein polyphones und polychromatisches Buch. Sein Anliegen sei es gewesen, schreibt Teipel in seinem Vorwort, „die persönliche Sprache der Erzählerinnen und Erzähler weitestgehend zu erhalten“. Sein Buch wird von der Frage motiviert: „Wie gehen wir eigentlich mit Tieren um?“ Schon oft habe er, wenn es um das Erzählen von Geschichten von Tieren ging, erlebt, „wie leicht Tiere eine ganz andere Welt eröffnen können“.

Das Buch erscheint zu einer Zeit, in der den Tieren (und ihrem Verhältnis zum Menschen) auch von Seiten der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften große Aufmerksamkeit gewidmet wird: Tiere, schreibt Stefan Jäger in seinem Beitrag „Von Menschen und anderen Tieren“ in der Februar-Ausgabe von literaturkritik.de, werden „nun nicht mehr nur als Objekte, sondern als Subjekte, Akteure und Individuen wahrgenommen. Ihnen wird, genauso wie den Menschen, im Zuge der Human-Animal Studies ein intrinsischer Wert zugesprochen“. Im Rahmen der Human-Animal Studies erschien eine Vielfalt von Publikationen, unter anderem zur Thematik der Tierrechte und Tierethik sowie zur Frage „Können Tiere denken?“ Der australische Philosoph und Ethiker Peter Singer etwa schreibt in Animal Liberation (1975), dass sein Buch „kein sentimentaler Aufruf zur Sympathie gegenüber ‚niedlichen‘ Tieren“ sei, sondern vielmehr von „der Gewaltherrschaft des Menschen über die Tiere“ handele. Es sei ein Versuch, „gründlich, sorgfältig und konsequent darüber nachzudenken, wie wir mit Tieren umgehen“.

Zum Nachdenken bringt auch Teipels Buch der dokumentarischen Tiergeschichten. Allein, indem Geschichten erzählt werden, wird die Wirkung erzielt, ohne erhobenen Zeigefinger, ohne jeglichen moralischen Impetus. Gleichsam en passant erhält der Leser wesentliche Informationen über bestimmte Haltungsbedingungen und daraus resultierende Erkrankungen. Darüber, was Menschen mit Tieren tun, was sie Tieren antun. Woraus sich immer wieder die Frage ergibt, was dem Menschen das Recht gibt, in solch lebensnegierender und tierverachtender Weise zu handeln. Bienen existieren nicht, um Honig für Menschen zu produzieren. Kühe existieren nicht, um Milch und Fleisch zu liefern. Hund, Katze und Kaninchen sind nicht dazu da, anderweitig ungestillte Bedürfnisse nach Liebe und Zugehörigkeit zu stillen und dafür in ihrer jeweiligen Eigenart, ihrem Eigensein und ihrer Bedürftigkeit nivelliert und verniedlicht zu werden.

Volker Zahn, ehemaliger Leiter der Frauenklinik am Klinikum Straubing und Gründer des Arche-Noah-Hofs in Peiting/Oberbayern, reflektiert in seinem Text, dass „zwischen uns Menschen und unseren tierischen Mitschwestern und -brüdern ja kein wirklich grundlegender biologischer Unterschied besteht“. Er meint damit auch, „dass das Dasein der Kühe – die Geburten und die Nahrung und die Gesundheit und das Wohlbefinden und das Verhalten – etwas mit unserem eigenen Dasein zu tun hat“. Denn das gerade sei es ja, was unsere Gesellschaft verloren habe: Sie erkenne die Tiere nicht mehr als Mitschwestern und Mitbrüder an. In seinem Beitrag gibt er Einblicke in den Alltag des Arche-Noah-Hofs und in das Leben der Leitkuh Romy, seiner ersten Kuh, einer ehemaligen Milchkuh aus dem Werdenfelser Land, nach dem ihre Rasse, die Murnau-Werdenfelser, auch benannt ist. Zahn erläutert, dass es um 2005 gerade noch 500 Murnau-Werdenfelser gab, 50, 100 Jahre zuvor waren sie die meistverbreiteten Rinder im Voralpen-Raum und speziell für diese Verhältnisse (Murnauer Moos, karg und sumpfig; Werdenfelser Land: teils sehr steile Berghänge) gezüchtet worden. „Aber als es vor vierzig, fünfzig Jahren losging mit der Milchproduktion, verteufelten der Staat und die Verbände sie so dermaßen! Es hieß: ‚Was wollt ihr mit diesen wilden Viechern, die so wenig Milch geben? … Tut die raus.‘“ Und darum sortierten die meisten Bauern ihre Kühe aus, um auf Leistungskühe umzusteigen. Heute gebe es nur noch vier, fünf Betriebe, die bei ihrer Rasse geblieben seien und mit ihr Milch produzierten – meist Nebenerwerbslandwirte, „große Traditionalisten, eigensinnige Leute“. Diesen wenigen Milchbauern hätten wir es überhaupt zu verdanken, dass es die Murnau-Werdenfelser noch gibt. Nun also Romy, die Leitkuh, die vom ersten Tag an außergewöhnlich freundlich und liebevoll gewesen sei, sodass zwischen Zahn und ihr ein besonderes Verhältnis entstand. Viel ist in seinem Beitrag zu erfahren über das Gemüt und das Gedächtnis der Kühe, darüber, wie sie sich jeden Schlag merken und sich für ein Negativerlebnis aus der Vergangenheit rächen, wenn die Gelegenheit sich bietet. Leitkuh Romy hat Eingang in Zahns Testament gefunden: Sie darf weder verkauft noch geschlachtet werden und kann bis zum Lebensende auf dem großen Bio-Bauernhof bleiben. Zahn und seiner Familie ist es ein großes Anliegen, artgerechte Tierhaltung, das Zusammenleben zwischen Tier und Mensch sowie umweltbewusstes Verhalten nicht nur selbst vorzuleben, sondern auch anderen Personen näherzubringen. Regelmäßig werden Studierende der Kunstpädagogik aus Augsburg auf den Hof eingeladen, um vor Ort zu malen.

Teipels Buch gewährt eine Vielzahl von Einblicken, beispielsweise in das Leben von in Mastanlagen gehaltenen Schweinen, die krank und verletzt auf harten Spaltböden stehen. So erzählt Jürgen Foß in seinem Beitrag Dünne Haut von einer großen Anlage in Thüringen mit sechzigtausend Schweinen (Schweinemast und Schweinezucht): „Es wird ja unterschieden zwischen dem Bereich, wo die Ferkel produziert werden […] und dem sogenannten Zuchtbereich, wo die Tiere gemästet und schlachtreif werden“. Als er dort hineinging, stand er in einer Halle mit etwa 400 Tieren, zwei lange Reihen von Gittergestellen (Kastenständen), jeweils zwei Meter lang, 70 Zentimeter breit und einen Meter hoch, ein Stand direkt neben dem anderen mit jeweils einer Sau darin, ausgewachsen 350 Kilo schwer, zu dem Zweck, dort befruchtet und im Anfangsverlauf der Schwangerschaft überwacht zu werden: „Sie kann sich gerade mal mit angezogenen Beinen hinlegen, sie kann aufstehen, aber sie kann sich nicht umdrehen“. In diesen Kastenständen dürfen die Schweine nicht länger als vier Wochen bleiben. Danach sollen sie in den Gruppenbereich, bis sie, kurz vor dem Geburtstermin, wieder in ähnliche Stände, sogenannte Abferkelstände, kommen. Foß erzählt nun in seinem Beitrag, dass es dem Besitzer dieser Anlage in Thüringen tatsächlich gelungen sei, die Schweine nonstop bis zum Geburtstermin in den Kastenständen zu halten. Und als sie mit dem Abferkeln beginnen, laufen die Kleinen herum und suchen die Mutter, die sich aber nicht hinlegen kann, um sie zu säugen, weil sie sie dann erdrücken würde. So irren die winzigen Ferkel zwischen den Metallrohren der Kastenstände umher, geraten unter andere Schweine und werden zertreten: „Das war ne Situation, die war völlig unerträglich. Du hast gesehen, wie die Ferkel zertreten wurden, unabsichtlich natürlich, weil die Schweine sich ja gar nicht nach ihnen umdrehen konnten – und eine dieser Schweinemütter kuckte mir halt direkt in die Augen […]. Das war ein absolut prägendes Erlebnis“.

Auch Geschichten über Wildtiere und Haustiere sind im Buch zu lesen: So die von „Herrn Dreifuß“ aus dem Berner Oberland, der als schwer verletzte wilde Katze von einer Frau aufgenommen wird. Die notwendige Operation, bei der die Tierärztin das unterste Glied des rechten Hinterlaufs amputiert, kostet 1000 Schweizer Franken, die die Frau klaglos bezahlt. „Herr Dreifuß“ bleibt fortan bei ihr. Als sie nach einem mehrwöchigen Australien-Aufenthalt in ihr Haus zurückkehrt und die Katze sie zu Gesicht bekommt, „flippte sie total aus. Sie schrie, jaulte und sprang auf ihren drei Beinen dermaßen hoch – das konnte man gar nicht glauben. Aus dem Stand heraus federte sie immerzu hoch. Katapultierte sich richtiggehend in die Luft!“ Das ging nahezu zwei Stunden lang so, dieses Freudengeschrei, fast „wie ein indianisches Freudengeheul. Es fehlte nur noch, dass sie zu sprechen angefangen hätte“.

Freud und Leid liegen nah beieinander in diesem Buch. Sehr traurig macht die Geschichte Ein langer Abschied, erzählt von Jens Westphalen, Biologe und Tierfilmer aus Hamburg. Bei einem Dreh für eine zweiteilige Naturdokumentation über Elefanten in Botswana trifft Westphalen im Chobe-Nationalpark auf einen sterbenden Elefanten, der halb eingesunken im Uferschlamm liegt und eine schlimme, großflächige Wunde am Knie hat, die eitert: „Wahrscheinlich war der ganze Körper schon voller Bakterien […]. Er hob immer den Kopf und wälzte sich da herum. Es war jämmerlich, jämmerlich anzusehen“. Der Leser erfährt, dass es in einem Nationalpark nicht erlaubt ist, in die Natur einzugreifen. So beobachtet Westphalen in den nächsten Tagen den „langen Abschied“ dieses Giganten: Dauernd kommen Elefanten vorbei, von denen einige achtlos an dem Sterbenden vorübergehen, andere (die weitaus größere Zahl) bei ihm anhalten und viel Zeit mit ihm verbringen: „Eine Gruppe kam sogar zwei Mal“. Vor allem bei dieser Gruppe habe es so gewirkt, als würden die Tiere sich persönlich kennen, „und auch, als wären sie fassungslos. Als würden sie das alles nicht verstehen. Oder anders: als wollten sie’s nicht verstehen“. Immer wieder versuchen sie, den sterbenden Bullen aufzurichten, und obschon sie über eine große Kraft verfügen, gehen sie dabei sehr zart und einfühlsam vor, berühren ihn sanft mit ihren Rüsseln: „Einzelne Tiere versuchten, ihm – wiederum mit den Rüsseln – hochzuhelfen oder seinen Rüssel anzuheben. Der sterbende Bulle war inzwischen so schwach, dass sein Rüssel oft im Wasser lag, und auch sein Mund. Er hatte deshalb große Schwierigkeiten zu atmen“. In diesem Zusammenhang hat Westphalen den Eindruck, dass seine Artgenossen sich in die Lage des Sterbenden hineinversetzen können: Sie seien offensichtlich mitfühlend gewesen und hätten gewirkt, als wollten sie sein Schicksal beeinflussen und etwas tun, um sein Sterben zu verhindern. Westphalen fragt sich auch, ob der sterbende Elefant wusste, was ihm bevorstand. Wenn die anderen Elefanten kamen, hob er, soweit es noch ging, sofort seinen Rüssel und versuchte, sie zu berühren. Westphalen glaubt, dass der sterbende Elefant dankbar war und sich umsorgt fühlte, dass er die Anteilnahme der anderen Tiere zu schätzen wusste. Über mehrere Tage hinweg beobachtet Westphalen den Todeskampf, und auch am letzten Tag gehen die Besuche der Elefanten weiter, wobei „nun wirklich alle in den jeweiligen Gruppen beteiligt waren. Selbst die jungen Tiere. Man merkte, dass offenbar die Trauernden, oder wie immer man diese anderen Elefanten nennen will, ganz unterschiedliche Charaktere waren“, die ganz unterschiedlich mit dem sterbenden Artgenossen umgingen. Nach dem Tod des Elefanten wird dieser von Wildhütern verbrannt, auch deshalb, um das Elfenbein zu verbrennen, damit Wilderer mit diesem keine Geschäfte machen können.

Unsere unbekannte Familie ist ein in jeder Hinsicht empfehlenswertes Buch: Es schärft den Blick für das Zusammenleben von Tieren und von Tieren und Menschen, für das Gelingende wie für das Misslingende. Es regt zum genauen Hinsehen und Reflektieren an: Was gibt uns das Recht, uns über andere Lebewesen zu erheben, diese zu „nutzen“ und zu benutzen und auszunutzen, sie zu unserem Zwecke zu halten, zu misshandeln, leiden zu lassen und zu töten? Nichts. Der Mensch: Eine unsympathische und kurzsichtige Art, die Ressourcen schonungslos verbraucht und auf nichtswürdige Weise mit anderem Leben umgeht, es für die eigenen Zwecke funktionalisiert und gar noch das Töten perfektioniert in einer Maschinerie, die bar jeglicher Humanität und jeglichen Mitgefühls ist. Die erzählten Geschichten sprechen auf individueller Ebene von empfindsamen Wesen, die in Sozialverbänden leben, kommunizieren, eigene Lebensstrukturen ausbilden, geboren werden, wachsen, sich fortpflanzen, leiden und sterben wie wir. Wesen, die uns viel zu schenken und zu lehren haben an Erkenntnis, Ehrfurcht und Respekt. Wesen, die unser Leben bereichern, die uns einen Zugang finden lassen zu unserer eigenen verstümmelten, verschütteten oder verdrängten inneren Natur. Wesen, für die es sich lohnt, zu kämpfen, um ihnen ein artgerechtes Leben zu ermöglichen, ihre Art zu erhalten, sich eigensinnig auf eine Idee von „Gutem Leben“ zu fixieren, die nicht auf menschliches Leben (Funktionalität und das Streben nach Gewinnmaximierung) beschränkt ist. Die Tiere, von denen in Teipels Buch erzählt wird, haben alle einen Namen und ein Gesicht. Sie verfügen über eine Sensibilität, die man bei vielen Menschen vergeblich sucht – zum Beispiel Wallach Piko, der die letzten Monate einer sterbenskranken Frau begleitet, sie wie ein rohes Ei auf seinem Rücken trägt: „Er fand mittlerweile sogar in der Vorsicht noch Unterschiede“, ein Pferd, „im Grunde viel zu sensibel für diese Welt“. Allen im Buch, die die Geschichten von „ihren“ Tieren erzählen, liegt am Herzen, dass diese Tiere nicht vergessen werden: „Deshalb erzähle ich bewusst diese Geschichte und keine andere“. Was schließlich meint „erzählen“, wenn nicht erinnern, bewahren und weiterreichen?

Titelbild

Jürgen Teipel: Unsere unbekannte Familie. Wahre Geschichten von Tieren und Menschen.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.
286 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783518468609

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