Kollateralschäden einer Hitzewelle

Katja Bohnert bemüht in „Kerkerkind“ die bürgerliche Rechtskehre, um am Ende doch wieder auf die Familienhölle zu verfallen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer noch davon überzeugt werden muss, dass es in Berlin Hitzewellen gibt, die einem Hören und Sehen vergehen lassen, muss nur dieser Tage (in denen diese Zeilen geschrieben werden) in Berlin sein. Es ist nur allzu wahrhaftig, was Katja Bohnert an den Anfang ihres neuen Krimis setzt: Es ist unerbittlich heiß in Berlin.

In eine solche Umgebung noch eine weibliche Leiche samt Fötus zu setzen, die am Wannsee verbrannt werden soll, zeugt von böser Phantasie, was sich eine Krimiautorin wohl hoffentlich zu Recht nachsagen lässt. Anders käme sie wohl nicht auf solch unschöne Geschichten.

Nun ist Katja Bohnert in ihrer Reihe um die beiden Ermittler Rosa Lopez und Viktor Saizew recht kreativ gewesen. Sie hat bei der Ausstattung ihrer Helden ohnehin ganz schön tief in die Asservatenkammer gegriffen. Rosa trägt gern Uniform und ist mit einem Mann verheiratet, der Romane schreibt, gut kocht und im Wesentlichen die Erziehungsaufgaben bei der gemeinsamen Tochter übernimmt. Viktor hingegen ist ein riesenhafter russischstämmiger Kerl, dem vor recht kurzer Zeit ein Gehirntumor entfernt worden ist, was unter anderem entstellende Narben hinterlässt.

Dass beide Helden ihre genrespezifischen Traumata zu verarbeiten haben, versteht sich von selbst. Immerhin gehören zum guten Krimi eben auch Ermittler, die – ganz dem Geniekult verpflichtet – ein wenig außerhalb der Gesellschaft stehen und immer wieder einmal außer sich sind. Sie dürfen immer ein wenig neben sich und uns stehen, um dann umso effektiver und unerwartet die Lösung aller Fälle herbeizubringen. Das erwartet man von ihnen, und das erwarten sie von sich selbst.

Nun deutet vieles in Bohnerts Berliner Hitzekrimi darauf hin, dass wir es hier mit einem politischen Verbrechen zu tun haben. Die Identität des Opfers ist bald herausgefunden. Es handelt sich um eine türkischstämmige junge Frau, Sevim, die mit einem Deutschen namens Martin Winter verheiratet ist. Der wiederum ist Mitglied einer selbsternannten Bürgerwehr, deren Mitglieder für Sicherheit im Kiez sorgen wollen und mit selbstgemachter Marke herumrennen. „Vaterland“ heißt die Truppe, und man ahnt nichts gutes. Erst recht nicht, als der Kopf dieses Martin Winter kurze Zeit später auf seinem Briefkasten gefunden wird, säuberlich vom Rest der Körpers getrennt. Racheaktion oder was auch immer? Lopez und Viktor recherchieren jedenfalls in diese Richtung. Aber es kommt dabei nichts heraus.

Kann auch nicht, wie kundige Leser schnell erkannt haben, denn durch den Text mäandern kurze Textpassagen, in denen ein merkwürdiges Herrin-Sklave-Verhältnis vorgeführt wird, von dem man aber nie genau weiß, worum es dabei geht. Außer um den Mord.

Merkwürdigerweise ist es ein Nebenstrang der Handlung, der normalerweise dazu dient, einer solchen Geschichte Profil und ein bisschen realistischen Halt zu geben, der die Richtung zur Lösung weist. Denn Viktor leidet immer noch unter seiner Operation. Er hat sich selbst entlassen, weil er es in der Klinik nicht ausgehalten hat. Statt sich krank schreiben zu lassen, meldet er sich zum Dienst – aber er leidet unter merkwürdigen Wutanfällen.

Dagegen soll ihm seine nachsorgende Ärztin helfen, die er – wegen seiner Medikamente und weil sie offensichtlich seine Hilfe benötigt – aufsucht. Frau Dr. Noack hat offensichtlich ein Gewaltproblem zuhause, will es aber nicht zugeben. Dagegen helfen anscheinend auch der Doktorhut und die medizinische Ausbildung nichts.

Aber nach und nach entwickelt sich aus dem Besuch Viktors bei seiner Ärztin eine sich ausdifferenzierende Geschichte um drei Schwestern und einen vor Jahren verschwundenen Jungen, die schließlich zur Lösung des Falls führt. So viel darf verraten werden, allein schon weil die erzählerische Ökonomie es nahelegt, dass der Tod Sevim und Martin Winters irgendetwas mit diesen Leuten zu tun, die auch noch ein schönes Haus in Dänemark besitzen, wohin dann auch alle mal reisen müssen. Ein bisschen rumkommen muss man auch als Krimileser. Aber mit dem Politplot ist damit nichts.

Im Grunde genommen schadet das auch nicht, denn Bohnerts Text atmet so viel anarchische Unbeherrschtheit, dass seine Lektüre viel Freude mache. Bleibt dennoch der Wermutstropfen, dass Kerkerkind am Ende doch so etwas wie Sprachbeherrschung oder die Geduld, einen Text immer und immer wieder durchzuarbeiten, bis er wirklich steht, von den wirklich Großen des Genres unterscheidet. Bohnert hätte das Zeug dazu.

Titelbild

Katja Bohnet: Kerkerkind. Thriller.
Knaur Taschenbuch Verlag, München 2018.
332 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783426520932

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