Dreizehn Welten

Kurzgeschichten aus Japan

Von Lisette GebhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisette Gebhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man muss die Werbeprosa auf der Rückseite des Bandes Von Katzentötern, schwebenden Rauchern und der Suche nach Nilpferden nicht ganz beim Wort nehmen. Dort heißt es nämlich, die Sammlung japanischer Kurzgeschichten gewähre „intime Einblicke in das Denken und Fühlen japanischer Literaten“. Abgesehen davon, dass die Aussage die unangenehme neudeutsche Fixierung auf den Emotionalitätsfaktor echot und wenig erhellend sein dürfte, entbehrt sie im Hinblick auf Yasutaka Tsutsuis Beitrag Der Traum von Verstopfung nicht der unfreiwilligen Komik.

Ein SF-Veteran

Die elfte im Band abgedruckte Geschichte lässt sich nur widerstrebend unter das Label „Herz und Hirn“ fassen, stammt sie doch von einem japanischen Autor der älteren Generation, der gern auch andere Organe bemüht und dem der derbe Spott auf Kosten von Frauen keineswegs fremd ist: „So stieg Sumako mithilfe ihrer Kacke in den Himmel auf und wurde grenzenlos in die Höhe geleitet“. Sein Text, den man eher dem Bereich des Herrenwitzes zuordnen würde, stammt tatsächlich aus dem Jahr 2006 und thematisiert einen weiblichen Höhenflug der besonderen Art. Ohne eine schlüssige Exegese dieser Extremprosa bleibt der Rezipient solcher Traumphantasien möglicherweise mit einem Lesetrauma zurück.

Anthologieformat: Autorenmix und alte Bekannte

Während Tsutsui SF-Fans der 1980er Jahre noch ein Begriff sein dürfte, sind auch einige der anderen in der Anthologie Katzentöter vorgestellten Autoren und Autorinnen aus älteren oder aktuellen deutschen Übersetzungen bekannt: Hiromi Kawakami, hier mit der Kurzgeschichte Der Fluss vertreten, ist durch die Übersetzung von Romanen wie Herr Nakano und die Frauen (dt. 2009) oder Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß (dt. 2008) eine vertraute Größe auf dem Buchmarkt. Hiromi Itô, eine eigenwillige, häufig mit dem Thema Frauenemanzipation in Verbindung gebrachte Lyrikerin, wurde Ende der 1990er mit den Titeln Mutter töten und Das anarchische Aschenputtel auf Deutsch im Residenz Verlag publiziert. Shinji Ishiis Kuhtse der Weizenstampfer erschien 2013 bei bebra. Ein Text von Keiichirô Hirano war Teil der Neuen Rundschau. Japan (Fischer 2012). Atsuko Sugas Männer, die durch den Regen laufen wurde als Heft der Kleinen Reihe der Humboldt-Universität zu Berlin 2001 gedruckt.

Bislang nicht in deutscher Sprache vorliegende Autoren sind Toshiyuki Horie, EnJoe Toh, Yûko Chigira, Masaya Nakahara und Ramo Nakajima. Was bei der Zusammenstellung der Anthologie auffällt, ist die große Heterogenität der ausgewählten Autoren – zwei von ihnen sind bereits verstorben. Die Essayistin und Literaturwissenschaftlerin Atsuko Suga dürfte heute in Japan keine allzu große Popularität mehr genießen. Zu einer jüngeren Generation, die die aktuelle Literaturszene des Landes repräsentiert, wäre Hirano, Akutagawa-Preisträger von 1999, zu rechnen. Nakahara und Chigira sind multimedial aktiv beziehungsweise agieren auch als Musiker respektive als Theaterregisseurin.

Diese Heterogenität ist wahrscheinlich pragmatischen Gründen geschuldet, entspringen die Übersetzungen doch dem japanologischen Lehr- und Forschungskontext, aus dem man Arbeitsergebnisse abschöpfen kann – was selbstverständlich legitim ist. Elisa Ono verfasste zum Beispiel 2012 eine BA-Arbeit mit Übersetzung und Kommentar zu Tsutsuis Raucher in der Luft. Auch die Übersetzer Hajime Stadler, Sandro Wiesenberg und Chaline Timmerarens kommen von der FU Berlin. Begabten Absolventen ein Forum für die Präsentation ihrer Ergebnisse zu bieten, stellt eine lobenswerte Initiative in der jüngeren Entwicklung der Japanologie dar, motiviert dies doch den „literaturwissenschaftlichen Nachwuchs“ und ermöglicht erste Erfahrungen mit Übersetzungspraxis und Buchmarkt. Als weitere Übersetzer tragen die Herausgeberin Elena Giannoulis, die Germanistin Reika Hane, der Linguist Christoph Petermann, der Historiker Matthias Wittig, der Theaterwissenschaftler Kai van Eikels sowie der Japanologe Till Weingärtner zur Kurzgeschichtensammlung bei. Wittig und Petermann kennt man als Koautoren des Kompendiums Moderne japanische Literatur in deutscher Übersetzung: Eine Bibliographie der Jahre 1868–2008. Der Zusammenschluss dieses Personenkreises ermöglichte den vorliegenden Band, bedingt aber eine gewisse Beliebigkeit der vorliegenden Textauswahl.

Anthologien sind dann vor allem ein großer Gewinn, wenn das kuratorische Prinzip, das sie verfolgen, überzeugt, das heißt wenn es den Herausgebern zum Beispiel gelingt, erstmals eine poetische Avantgarde sichtbar zu machen, eine literaturgeschichtliche Phase erleben zu lassen oder ein bestimmtes Genre und seine Ästhetik zu veranschaulichen. Man erinnere sich an den SF-Band Die Hand des kosmischen Affen (1982), an Seit jenem Tag (1984), eine Textsammlung zu Hiroshima und Nagasaki, oder an eine beinahe schon vergessene Sammlung aus den 1990er Jahren mit dem Titel Wohlgehütete Pfirsiche oder Über die Traurigkeit. Japanische Literatur der letzten Jahre (1992), herausgegeben von Noboru Miyazaki im Konkursbuch Verlag.

Im Falle Katzentöter trägt das weit ausholende Nachwort leider nicht in wünschenswertem Grad zum besseren Verständnis der Geschichten in dem ihnen jeweils zugehörigen Entstehungskontext und in ihrer inhaltlichen und ästhetischen Anlage bei. Entgegen der Anmerkung, die Texte zeichneten sich mitunter durch eine japantypische „Handlungslosigkeit, Strukturlosigkeit und Spannungslosigkeit aus“, sorgen die Beiträge jenseits der koprophilen Entgleisung von Tsutsui in der Mehrzahl für positive Überraschung.

Überraschungseffekte

Die Eigendynamik der Erzählungen nimmt den neugierigen Leser schnell gefangen, zum Beispiel Das Lamm Dolly (1998). Nakajima Ramo bietet hier unter anderem selbstironisch-spöttische Überlegungen zur ethischen Position Japans in Bezug auf die Klontechnik. Japan überflügle in der nahen Zukunft, nämlich 2021, den Westen in der medizinischen Forschung und böte jedem Menschen die Möglichkeit, einen Klon von sich anfertigen zu lassen. Ein überlasteter Autor mit Freizeitbedürfnis, Ramos Alter Ego in Gestalt des Schriftstellers Fujiwara, beauftragt nun seinen Klon, lästige literarische Auftragsarbeiten zu übernehmen. Der genetische Doppelgänger erweist sich dem Original als ebenbürtig – wie es der selbstverliebte Protagonist schließlich allzu intim erfahren muss.

Horie Toshiyukis Der Dichter mit dem Anrufbeantworter, ebenfalls ein Werk, das im Original Ende der 1990er Jahre entstanden ist und dessen Gestimmtheit der Leser von heute sicher nicht ohne weiteres nachvollziehen kann, schildert die geistige Welt eines gebildeten japanischen Flaneurs und Connaisseurs, der sich in Paris ganz seinen literarisch-künstlerischen Interessen hingibt. Von sich sagt der Protagonist: „Auch ich war einer jener Menschen, die von den Gesichtszügen von Nilpferden inspiriert wurden“. Auf der Suche nach den seltenen Nilpferdpostkarten verliert sich der feinsinnige Held ganz in der Historie der Hauptstadt. Er unternimmt empfindsame Exkursionen und lebt seine Leidenschaft für die Literatur der Belle Époque. Zwei Dekaden später wäre diese schwebende Komposition über die Suche nach einem schweren exotischen Tier wohl nicht mehr publiziert worden. Verzaubert vom Wissen eines alten Europa und dem Werk eines französischen Dichterdandys wie Valery Larbaud (1881–1957) wendet sich Horie der Vergangenheit zu und wartet, wie es der Text suggeriert, auf Nachricht von seinem Sehnsuchtsort, den es nicht mehr gibt.

Titelbild

Elena Giannoulis (Hg.): Von Katzentötern, schwebenden Rauchern und der Suche nach Nilpferden. Kurzgeschichten aus Japan.
be.bra verlag, Berlin 2018.
176 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783954102136

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