Copy and Paste

Helmut Schmiedt beschreibt Karl Mays „Winnetou“-Trilogie als Ereignisraum von Wiederholung und Variation und schreckt selbst nicht vor Mehrfachverwertungen zurück

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwischen Helmut Schmiedt und seinem Forschungsobjekt Karl May herrscht eine beinahe kongeniale Beziehung. Nicht nur, dass seine neueste Studie über „Karl Mays berühmtesten Roman“, die „Winnetou-Trilogie“, in der legendären grünen Reihe des Bamberger Karl-May-Verlags erschienen ist. Wie May, der Ende des 19. Jahrhunderts seine verstreuten Erzählungen aus dem Wilden Westen in den Bänden Winnetou I bis III zu einer fortlaufenden, mehr oder weniger stringenten  Handlung zusammenfügte und um einige Passagen ergänzte, damit gleichsam Copy and Paste vorwegnehmend, so versammelt Schmiedt seine Forschungsergebnisse als Hochschullehrer und stellvertretender Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft zu einer umfassenden, aber nicht fundamental Neues enthaltenden Bestandsaufnahme rund um „Winnetou“. Anders als sein Vorgänger im Geiste verweist er allerdings auf seine vorangegangenen Arbeiten, hier vor allem seine Karl-May-Biografie aus dem Jahr 2017, und nennt selbstverständlich die Sekundärliteratur, wie sie besonders in den Publikationen der Karl-May-Gesellschaft zu finden ist.

Auf der Höhe der Forschung untersucht Schmiedt beispielsweise die eigentümlichen Figurenkonstellationen (Männer und Frauen, Westmänner und Indianer), die schwierigen Kompositionsprobleme des Romans sowie dessen intertextuelle und interkulturelle Beziehungen. Philologisch korrekt unterscheidet er zwischen Erzähler-Ich, Herausgeber-Ich und Autor, während May gerade die Identität dieser Instanzen ein Leben lang gegen alle Einwände behauptete (Ich bin wirklich Old Shatterhand, so May 1897), eine schier übermenschliche, aber „potenziell geschäftsschädigende“ Anstrengung, für die ihm Schmiedt Bewunderung zollt. Obwohl er auch durchaus kritisch mit seinem Autor umgeht, bleibt die literaturhistorische Einordnung der Trilogie diskussionswürdig, auch und vor allem, was die Referenztexte betrifft. Lässt sich Winnetou als Bildungsroman tatsächlich mit dem Wilhelm Meister vergleichen oder im Bezug auf die historische Wahrheit mit dem Tell? Ist nicht Mays Beharren auf der Authentizität („Ich erzähle nur wirklich Geschehenes“) Ausdruck einer ins Pathologische gehenden Selbstüberschätzung, wohingegen man Kafka kaum als Märchenerzähler denunzieren wird, weil er von der Verwandlung eines Menschen in ein „Ungeziefer“ erzählt. Auch gegenüber der literarischen Qualität von Mays Schaffen zeigt Schmiedt viel Verständnis. Sind doch etwa die ständig wiederkehrenden Redewendungen eines Sam Hawkins als Running Gag eher ein Wiedererkennungsmerkmal unter Viellesern. Dass die endlos wiederholten Narrative von Verfolgen, Anschleichen, Belauschen und Befreien für die Leserschaft offenbar niemals langweilig werden, darin sieht Schmiedt eine gewisse Qualität. Sie verweisen nämlich, indem immer neue Pläne entwickelt werden, wie ein Cliffhanger auf Zukünftiges, nach Schmiedt „überhaupt ein elementares Kennzeichen des Mayʼschen Erzählens“. Während viele Autoren des ausgehenden 19. Jahrhunderts die Wunden und Widersprüche ihrer Zeit thematisieren, bleibt May entschieden traditionell und dem Mainstream verhaftet. Dies konkretisiert Schmiedt anhand von Mays Frauenbild oder dessen Einstellung gegenüber den Naturvölkern, die exakt den Klischeevorstellungen eines Mannes entsprechen, der Sachsen kaum je verlassen hat. Überzeugend beschreibt er, wie sogar der Vorbildindianer Winnetou und seine Angehörigen letztlich „ent-indianisiert“ werden: „Mays exponierte Apachen nähern sich in ihrem Aussehen demjenigen attraktiver Europäer an.“ Die berühmte Blutsbrüderschaft gar war den Ureinwohnern Amerikas völlig unbekannt und ist wohl dem Wagnerschen Mythenkosmos entnommen.

Im Ergebnis bleibt Schmiedts Untersuchung merkwürdig ambivalent. Man spürt förmlich, wie der nüchterne Blick des Wissenschaftlers mit dem warmen Empfinden des Liebhabers  kollidiert. Die irritierenden bis ridikülen Unstimmigkeiten und Brüche im Roman, welche die Analyse offen legt, wertet der Autor als „literarischen Pluralismus in einem einzigen Werk“ und als „kreative Dissonanzen“. Ebenso bleibt offen, ob hinter der Kompilierung der früheren Erzählungen zu einem Roman überhaupt ein ästhetischer Impetus steht oder ob lediglich arbeitstechnische und wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle spielen. Der Erfolg des Winnetou spricht eher für Letztere, zumal May selbst eine komplette Neufassung des Romans zunächst erwogen, dann aber verworfen hat. Wo aber der Leser zum Souverän wird, betritt man den Sektor der Unterhaltung, wie etwa beim sonntäglichen Tatort, der mit den Romanen Mays die Spannung von Wiederholung und Variation gemeinsam hat. In gewisser Weise zeigt der vorliegende Band, wie auch sein Gegenstand, insofern ein kompositorisches Grundproblem, als hier die Erkenntnisse aus unterschiedlichen Arbeiten zu einem Ganzen zusammengefasst werden. Denn bereits in der Mitte des Buches zieht Schmiedt ein gültiges Fazit, das in Abwandlungen immer wieder auftaucht, hier jedoch den Schluss bilden soll:

Der Roman bietet also ein Sammelsurium unterschiedlicher bis gegensätzlicher ideologischer Versatzstücke, die er mal mehr, mal weniger intensiv ausarbeitet und deren Ursprünge teils in historisch älteren, teils in zeittypischen und teils in der persönlichen Erfahrungswelt des Autos [sic! richtig: Autors] zu verdankenden Quellen liegen. Aber er platziert sie nicht einfach nebeneinander, sondern verwandelt sie zu Teilstücken einer weit ausholenden, im Kern zumindest halbwegs kohärenten Geschichte, die über viele Hundert Druckseiten hinweg mit adäquaten sprachlichen Mitteln und dramaturgisch geschickt erzählt wird; der immense Publikumserfolg bestätigt ihre suggestive Kraft.

Was man als Mays Unfähigkeit bewerten könnte, gerät nach Schmiedts Überzeugung zur postmodernen Spielerei:

Indem der Text mit dem Anspruch beträchtlicher Überzeugungskraft mal diese, mal jene ideologische Position fixiert, unterläuft er beständig seine Autoritätsansprüche und entlarvt, warum er sich so verhält. Eine für Hunderttausende von Lesern faszinierende, abwechslungsreiche, in wesentlichen Teilen abgerundete Geschichte lebt unter anderem davon, dass sie fortgesetzt die Brüchigkeit ihrer gedanklichen Basis enthüllt.

Fragt sich nur, ob das die Leser, zu denen bekanntlich auch Adolf Hitler gehörte, genauso verstanden haben und die ästhetische Wahrheit hinter der behaupteten sehen konnten.

Titelbild

Helmut Schmiedt: Die Winnetou-Trilogie. Über Karl Mays berühmtesten Roman.
Karl-May-Verlag, Bamberg 2018.
300 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783780205636

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