Rachel Salamander: Die Frau mit drei Berufen

Eine Geburtstagsgratulation vor zehn Jahren

Von Marcel Reich-RanickiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Reich-Ranicki

Vorbemerkung: Die folgende Gratulation Marcel Reich-Ranickis zu Rachel Salamanders 60. Geburtstag ist am 30. Januar 2009 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen. Ihr 70. Geburtstag ist jetzt ein Anlass, die Gratulation des Literaturkritikers, der ihr bis zu seinem Tod im Jahr 2013 freundschaftlich verbunden blieb, zu wiederholen. Wir danken Carla Ranicki, der Enkelin von Reich-Ranicki, für die Genehmigung zur erneuten Veröffentlichung. T.A.

Was gibt es Neues an der Isar? – fragte ich eine Kollegin, die gerade aus München nach Frankfurt zurückgekehrt war. Neu ist, sagt sie, dass es in Schwabing eine Buchhandlung gibt, die von einer jungen Frau geleitet wird. – Das sind alle Ihre Neuigkeiten? – Noch eine habe ich: Diese Buchhändlerin ist charmant und schön und wird Ihnen sofort gefallen.

Um es gleich zu sagen: Das war vor bald dreißig Jahren. Und sie gefällt mir immer noch. Denn obwohl sie inzwischen eine Institution geworden ist, eine dolle, eine einzigartige, ist sie glücklicherweise schön und charmant geblieben. Geboren wurde sie, die Jüdin Rachel Salamander, in einem Lager für Displaced Persons irgendwo zwischen Regensburg und Passau. Dann ging es los, das richtige Leben: Sie studierte an der Münchener Universität Germanistik und Philosophie und promovierte über ein imponierend wissenschaftliches Thema.

Was sollte nun aus ihr werden? Sie begann in Schwabing zu forschen, was nicht zu einem Beruf, aber immerhin zu einer Ehe führte, einer auffallend intelligenten und auch sehr sympathischen Verbindung. Das Berufsleben war freilich damit noch nicht gelöst. Also fragte sich die Jüdin Rachel Salamander: Wie kann ich in der deutschen Welt leben, ohne meine jüdische aufzugeben? Sie wünschte einen Beruf, in dem die unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Elemente ihrer Existenz zusammenfinden könnten – die deutschen und die jüdischen.

Diesen Gedanken sollte eine deutsch-jüdische Buchhandlung mitten in München verwirklichen. So dachte im Stillen die resolute und energische junge Dame. „Es war getan fast eh‘ gedacht“ – heißt es bei Goethe. Auf die damals, 1982, nahezu utopisch anmutende Idee und Aufgabe sollte schon die nicht alltägliche Benennung des Unternehmens hinweisen: Die Philologin Rachel Salamander erinnerte die Öffentlichkeit, dass mit dem Wort „Handlung“ ebenso ein kaufmännisches Unternehmen gemeint ist wie ein Geschehen (etwa die Handlung eines Romans). Hier wurden von Anfang an, das versteht sich von selbst, Bücher zu einem enormen Thema angeboten: zum Judentum. Aber zugleich entstand in der „Literaturhandlung“ ein umfangreiches intellektuelles Zentrum, das es in dieser Art in keiner anderen deutschen Stadt gab.

Der halbe Davidstern als Signet soll andeuten, dass hier das Judentum in offener Konfrontation mit der nichtjüdischen Welt, vor allem natürlich mit der deutschen, gezeigt wird. In der „Literaturhandlung“ finden daher auch Lesungen, Vorträge, Gespräche, Diskussionen und Rezitationen statt. Angestrebt wird eine möglichst fortlaufende Ausstrahlung ins allgemeine Kulturleben Münchens und darüber hinaus Deutschlands. Anders ausgedrückt: Die Kulturkreise sollen langsam zusammenwachsen.

Kaum jemand glaubte, eine so konzipierte „Literaturhandlung“ werde sich lange halten. Aber es kam anders. Heute leitet Rachel Salamander in München noch eine zweite „Literaturhandlung“ und weitere in Berlin, in Fürth, in Halberstadt und in anderen Städten, insgesamt sieben Buchhandlungen.

Wie schafft das alles diese zarte Frau, die die beiden Berufe, die sie ausübt – der Buchhändlerin und der Organisatorin von Kulturveranstaltungen nie gelernt hat? Aber ach, sie hat ja noch einen dritten Beruf: Man hat der erfolgreichen Organisatorin mehrfach angeboten, Kulturreferentin der Stadt München zu werden. Sie lehnte ab, denn das würde bedeuten, sagte sie einmal, dass sie ihr Lebenswerk aufgibt.

Ein anderes Angebot aber reizte sie sofort: Als man beschloss, die einst in der Weimarer Republik von Willy Haas gegründete „Literarische Welt“ als Beilage der „Welt“ wiederzubeleben, schien Rachel Salamander die denkbar beste Herausgeberin – mit der Folge, dass sie seit 2001 allwöchentlich im Flugzeug sitzt: von München nach Berlin und von Berlin nach München. Bleibt noch zu gratulieren – der Jubilarin und ihrem Publikum.