Nobody is perfect – auch FeministInnen nicht

Roxane Gays feministische Essays bieten einige Reibungsflächen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bekanntlich sind die FeministInnen dieser Welt – einmal abgesehen vom Allergrundsätzlichsten – von jeher in vielen Fragen uneins. Auch ist nicht eben neu, dass die Kontroversen untereinander oft ausgesprochen intransigent ausgetragen werden und Andersdenkenden auch schon mal abgesprochen wird, überhaupt FeministInnen zu sein, oder falls doch, dann zumindest schlechte. Diese Unart greift die US-amerikanische Feministin Roxane Gay im Titel ihres Buches Bad Feminist auf und bekennt, sie sei „lieber eine schlechte als gar keine Feministin“. Das ist natürlich eine honorable Haltung. Allerdings kokettiert sie in dem vorliegenden Band doch etwas zu oft und zu sehr damit, eine ‚schlechte‘ Feministin zu sein. Als solche bezeichnet sie sich, weil sie eben – wie alle anderen auch – „ein unvollkommenes menschliches Wesen“ ist. Darum versuche sie auch nicht, „ein gutes Beispiel für andere zu sein“. Andererseits erklärt sie aber auch, in ihren Essays wolle sie auf ihre „eigene kleine, unvollständige Art vorangehen“, denn man müsse „selbst als Beispiel vorangehen“. Gegen die zunehmend verrohende innerfeministische Debattenkultur wiederum hebt sie hervor, dass Feminismus „pluralistisch“ sein kann, „solange wir die verschiedenen Feminismen respektieren“. Das klingt gut und ist es im Grunde auch, wird aber spätestens dann problematisch, wenn sich auch Neonazis als FeministInnen bezeichnen.

Die gut 400 Seiten ihres Buches werden von knapp 40 Essays gefüllt, die sich auf fünf Abschnitte verteilen, von denen der erste und der letzte sehr persönlich sind: „Ich“ und „Zurück zu mir“. Dazwischen geht es um „Gender & Sexualität“, „Race & Entertainment“ sowie um, „Politik, Gender & Race“. Doch auch hier stellt sich Gay nicht eben selten selbst in den Mittelpunkt. Wer also gerne Geschichten, Episoden und Anekdoten aus dem Leben der Autorin lesen möchte, ist mit dem Buch bestens bedient. Doch gibt es darin auch mehr zu erfahren. Denn Gay erzählt nicht nur, wie sehr sie Die Tribute von Panem begeistert haben, sondern erörtert zahlreiche kontroverse Fragen. Außerdem bietet ihr Buch etliche Buch-, Film- und Musikkritiken oder sie stellt interessante Überlegungen zur Rezeption sympathischer und unsympathischer literarischer Figuren an und geht der Frage nach, was daran geschlechtsspezifisch ist. Dabei wird deutlich, dass die Essays für ein US-amerikanisches Publikum geschrieben sind. Denn etliche der Bücher, Serien und Filme, die sie diskutiert, sind in Deutschland nicht oder nur in englischer Sprache erhältlich.

Bereits auf den ersten Seiten sticht ins Auge, dass Gay das Adjektiv „Schwarz“ stets groß schreibt und „weiß“ stets kursiv, jedenfalls sofern sie auf Menschen gemünzt sind. Insider (der Critical Whiteness Studies etwa) wissen natürlich, was es damit auf sich hat. Aber ist der Band für dieses doch sehr spezielle Publikum geschrieben? Form und Inhalt lassen eher vermuten,  dass er sich an Emma und Otto NormalverbraucherInnen richtet. Sodann fällt auf, dass die Autorin zwar die besagte exklusiv antirassistische Schreibweise pflegt, andererseits aber ganz unfeministisch das Generische Maskulinum benutzt. Diese Schieflage dürfte sich zwar erst mit der Übersetzung ins Deutsche ergeben haben, doch hätte sie in Absprache von Autorin und Übersetzerin ausgeräumt werden können.

Nun erinnert Gay zwar völlig zu Recht daran, dass der Feminismus „zuallererst angetreten ist, um Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen zu erreichen“, doch handelt ihr Buch mindestens ebenso sehr von Rassismus und Antirassismus wie von Sexismus und Feminismus. Dabei kritisiert sie öfter einmal „die anhaltende mangelnde Sensibilität für das Thema Race in feministischen Kreisen“ und hält dem ‚weißen‘ Feminismus sogar eine „vorsätzliche Ignoranz“ gegenüber Rassismen vor, nie aber umgekehrt dem Antirassismus, die Augen vor Sexismen zu verschließen. Tatsächlich aber ist das ein zumindest ebenso großes Problem, wie all die Relativierungen und Apologien des Sexismus in zahlreichen Publikationen der antirassistischen Postcolonial Studies deutlich machen. Problematisch ist auch, dass Gay zwar einerseits betont, dass Frauen „überall auf der Welt Gleichheit und Freiheit verdienen“, andererseits aber erklärt, sie (und das heißt natürlich implizit alle ‚westlichen‘ FeministInnen) sei „nicht dazu befugt“, „Frauen anderer Kulturen zu sagen, wie diese Gleichheit und diese Freiheit aussehen sollen“. Gehört zu Freiheit und Gleichheit etwa nicht, dass alle allen alles sagen können? Und ermöglicht nicht überhaupt erst dies einen Diskurs. Gay bedient sich zudem des semantischen Tricks, mit dem Ausdruck „sagen“ eigentlich „vorschreiben“ zu meinen. So gelesen wird ihre Aussage natürlich richtig, bleibt aber in ihrer Verengung einseitig. Denn niemand ist berechtigt, anderen vorzuschreiben, wie sie ihre Freiheit und Gleichheit gestalten sollen. Des Weiteren rekurriert sie auf einen essentialistischen Kulturbegriff, wie er in rechten und linken Identitätspolitiken nicht unüblich ist. Dabei gehört sie selbst (wie alle anderen Menschen auch) mehreren (Sub-)Kulturen an, die sich wie alle Kulturen überschneiden. In ihrem Falle sind es etwa die US-amerikanische, die feministische und die der People of Colour, um nur drei zu nennen.

Manche ihrer Texte entsprechen ohne jede Ecken und Kanten dem längst queer und postcolonial geprägten Mainstream-Feminismus. Dann wieder schreibt Gay klug, einfühlsam und differenziert über Triggerwarnungen, die den „Nutzern“ zwar die „Wahl“ ermöglichen, sich zu „wappnen“ und weiterzulesen oder sich zu „schützen“ und wegzusehen, in ihnen aber  andererseits die „Illusion“ wecken, „dass sie geschützt werden können“. Dass dies wirklich möglich sei, bezweifelt sie. Auch hält sie Triggerwarnungen für „unwirksam und unpraktisch“, doch könnten sie „zugleich dazu geeignet sein“, „sichere Räume herzustellen“. Im Grunde aber hält sie eher wenig von ihnen und polemisiert, „offenbar braucht das Leben selbst eine Triggerwarnung“, denn „alles kann für irgendjemand zum Auslösereiz werden“. Sie selbst, so resümiert sie, „glaubt nicht an Triggerwarnungen“, doch seien sie „nicht für Leute gemacht, die nicht an sie glauben“, sondern für Menschen, „die Sicherheit brauchen und an Sicherheit glauben“.

Ebenfalls mit klugen und kenntnisreichen Argumenten kritisiert Gay Hanna Rosins Buch Das Ende der Männer und der Aufstieg der Frauen, in dessen Epilog die Autorin FeministInnen auffordert, endlich einzusehen, dass es kein Patriarchat mehr gibt. Eine „offensichtliche Absurdität“, kommentiert Gay.

Nicht weniger berechtigt sind ihre Einwände gegen „die vielen Leute, die als selbsternannte Privilegienpolizisten in Auditorien und Vortragssälen unterwegs sind“. Sie betrieben ein „sehr albernes und gefährliches Spiel“, in dem „verschiedene demographische Eigenschaften durcheinandergeworfen und neu zusammengesetzt werden, um Gewinner im Privilegienspiel zu ermitteln“. Da Privilegien stets „relativ und kontextuell“ sind, sei das Spiel nicht zu gewinnen und „letzten Endes nichts als mentale Masturbation“. Ein Vorwurf, der fast schon einer Verharmlosung gleichkommt. Denn als bloße Selbstbefriedigung wäre das „Privilegienspiel“ ja nicht so gefährlich, wie es tatsächlich ist. Schließlich würden wir „in einer Welt des Schweigens leben, wenn die Einzigen, die über Erfahrung oder kulturelle Unterschiede schreiben oder sprechen dürfen, diejenigen sind, die in keiner Hinsicht privilegiert sind“.

Ebenfalls lesenswert ist Gays Kritik des „achtlosen Sprechens über sexuelle Gewalt“. „Die leichtsinnige Art des Umgangs mit Vergewaltigung“ beginnt ihr zufolge bereits mit den in Film und Fernsehen allgegenwärtigen „Bildern von sexueller und häuslicher Gewalt“. Denn sie seien ein Ausdruck einer Rape Culture, die nahelege, „dass männliche Aggression und Gewalt gegen Frauen akzeptabel und oft unausweichlich sei“. Die verharmlosende Berichterstattung über Gruppenvergewaltigungen, „die ein Opfer körperlich und seelisch nur knapp überlebt“, kritisiert sie zu Recht sehr vehement am Beispiel eines Artikels über die Gruppenvergewaltigung einer Achtjährigen durch 18 Männer. James McKinley, der den Artikel für die New York Times schrieb, „äußert“ darin nicht nur „Sympathie für achtzehn Vergewaltiger“, sondern vermittelt auch den „Eindruck“, „das Opfer sei selber schuld“. Der Autor betone in aller Ausführlichkeit, dass das Verbrechen das Leben der Täter zerstört und der Ruf der Stadt, in der es geschah, gefährdet habe, das Leiden des Opfers erwähne er hingegen allenfalls am Rande. Genau das, so Gay, sei „die verbrecherische Sprache sexueller Gewalt“.

An anderer Stelle thematisiert die Autorin das Recht auf Abtreibung und würdigt Wendy Davies, die 2013 eine Flibustier-Rede im texanischen Senat hielt, um die Verabschiedung eines frauenfeindlichen Abtreibungsrechts zu verhindern. Dazu sprach sie länger als zwölf Stunden, ohne etwas zu essen, zu trinken oder eine Toilette aufzusuchen. Im gleichen Essay geißelt Gay den in der Volksvertretung des US-amerikanischen Bundesstaates Georgia sitzenden Parlamentarier Terry England, der tatsächlich die Ansicht bekundete, Frauen sollten selbst tote Föten bis zum bitteren Ende austragen. Schließlich, so seine Begründung, täten auch Schweine und Kühe nichts anderes. Deutlicher kann sich Frauenhass kaum offenbaren. Ziemlich steil ist allerdings Gays These „die Marginalisierung von Frauen“, die „Verhütung praktizieren oder Abtreibungen vornehmen“, sei „ein zynischer Trick“, um die Menschen von der „katastrophalen wirtschaftlichen Lage“ abzulenken.

Neben einigen nur schwer nachvollziehbaren Haltungen und Standpunkten bieten Gays Essays ebenso viele erhellende Erkenntnisse, vor allem aber Reibungspunkte. Doch gerade diese machen die besondere Stärke des Buches aus, dem es so gelingt, die Lesenden zum Nachdenken anzuregen und deren eigene Argumentationen zu schärfen. Das letzte Wort aber soll der Autorin selbst vorbehalten bleiben: „Lasst uns die Feministinnen werden (oder es wenigstens versuchen), die wir in dieser Welt gerne sehen würden.“

Titelbild

Roxane Gay: Bad Feminist. Essays.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Anne Spielmann.
btb Verlag, München 2019.
414 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783442717811

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