Psychoanalyse als Kritik der politischen Ökonomie
Adornos „Bemerkungen zu ‚The Authoritarian Personality‘“ als Ortsbestimmung Kritischer Theorie
Von Maximilian Huschke
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseJede theoretische Annäherung an gesellschaftliche und politische Phänomene – wie insbesondere die an Faschismus und Antisemitismus – steht in der Gefahr, entweder kollektive Entwicklungen allein auf objektive gesellschaftliche Bedingungen unter Absehung subjektiver Entscheidungen zurückzuführen oder umgekehrt dieses subjektive Moment gegen die objektiven Determinanten auszuspielen. Aus dieser dem Vorhaben inhärenten Problematik speist sich der wiederholte Vorwurf an die bis heute rezipierte Studie The Authoritarian Personality, die von Mitarbeitern des nach New York emigrierten Instituts für Sozialforschung – vor allem: Theodor W. Adorno – in Zusammenarbeit mit der Berkeley Public Opinion Study Group 1950 abgeschlossen worden war. Der Ansatz der Studie an den Subjekten, mit dem Zweck, den „autoritären Menschentypus“ der Moderne (Horkheimer) bzw. das „potenziell faschistische Individuum“ (Adorno) zu bestimmen, wurde oft so ausgelegt, als ob „die Autoren versucht hätten, den Antisemitismus, und darüber hinaus den Faschismus insgesamt, lediglich subjektiv zu begründen“, also irrtümlich meinten, „dies politisch-ökonomische Phänomen sei primär psychologischer Art.“ Versuchte Adorno in dem Vortrag Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika so bereits 1968 Missverständnisse auszuräumen, können die ursprünglich als ein einleitendes Kapitel der Studie selbst entworfenen Bemerkungen, die nun von Eva-Maria Ziege herausgegeben wurden, helfen, das Selbstverständnis der Studie wie der Kritischen Theorie selbst auch in anderer Hinsicht näher zu bestimmen.
In ihrer wohl durch die äußere Form der Studie bedingten, positivistisch anmutenden Zergliederung der Bemerkungen in zwei Hauptabschnitte, einerseits zum „Ort der Studie in der heutigen Forschung“ und andererseits zur „Stellung der Studie im Verhältnis zu anderen Großtheorien“, wird bereits eine Absicht des Textes sichtbar: Als Einleitung gedacht, soll er im Abschnitt zur „Stellung“ den eigenen Ansatz in Abgrenzung zu Sartres Antisemitismus-Aufsatz, üblichen soziologischen und psychologischen Herangehensweisen verdeutlichen, während in dem zum „Ort“ die Fokussierung aufs subjektive Moment, das „Verhältnis zur Psychoanalyse“ und zur Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie expliziert werden. Besonders die Passagen zur Ortsbestimmung helfen dabei, das Selbstverständnis der Studie zu ergründen: So weist Eva-Maria Ziege zu Recht in ihrem ausführlichen Nachwort darauf hin, dass die „marxistischen Annahmen des Kernparadigmas der Kritischen Theorie“ und „erst recht die Historisierung der Marx‘schen Krisentheorie angesichts der veränderten ökonomischen Bedingungen Mitte des 20. Jahrhunderts […] in der Studie bis zur Unsichtbarkeit verborgen [sind]; erst die Lektüre der ‚Bemerkungen‘ machen sie sichtbar.“ Adorno antizipiert so beispielsweise bereits zu Beginn den Vorwurf des Subjektivismus und der Psychologisierung ökonomischer Determinanten, wenn er erklärt, dass die Konzentration „auf eine detaillierte Untersuchung subjektiver Muster“ gerade nicht bedeutet, die „Vorurteile könnten auf diese Weise erklärt werden.“ Vielmehr, so hält er fest, seien die Autoren der Überzeugung, „die Analyse der objektiven gesellschaftlichen Kräfte, die Vorurteile erzeugen“, sei „die dringendste Aufgabe der heutigen Forschung, die sich mit der Voreingenommenheit gegenüber Minderheiten befasst.“ Der Widerspruch, der sich aus dieser Hervorhebung des Primats ökonomischer Bedingungen gegenüber subjektiver Dispositionen und dem gleichzeitigen Abstellen auf diese ergibt, ist deshalb nur ein scheinbarer, weil er die Vermittlung dieser beiden Sphären unterschlägt. Nicht nur, dass die Studie sich „im Bereich der Reaktionen, nicht der Reize“ bewegt, diese aber immer auch annimmt, vielmehr sei auch „ein nicht unwesentliches Ergebnis“ der Studie die Erkenntnis, dass insbesondere die „Versuchspersonen mit hohen Punktzahlen“ auf den entwickelten Skalen „nicht wie autonome Instanzen […], sondern eher wie submissive Reaktionszentren“ handeln. Durch diese „Anpassung an die Gesellschaftsstruktur“ wird es tendenziell irrelevant, „ob man mit der Analyse der ökonomischen Kräfte oder der des Menschen beginnt.“ Dies wiederum schließt aber die Notwendigkeit beider Momente, des subjektiven wie des objektiven, für die Theorie mit ein. Die Bemerkungen verdeutlichen also, dass der Fokus aufs Subjekt vielmehr ein Ansetzen an ihm ist, um von ihm her die gesellschaftlichen Veränderungen zu analysieren.
Daraus, dass diese nicht nur durch das Individuum vermittelt erscheinen, sondern dieses in der Angleichung an sie zunehmend uneigenständig ist, dass es einen „allgemeinen Trend zur stetig wachsenden ‚Integration‘ des Individuums in die gesellschaftliche Totalität“ gibt, zieht Adorno den für die Kritische Theorie nicht unwesentlichen Schluss, sie müsse es zwar „mit der Psychoanalyse in ihrer eher freudianischen Variante“ und der Kritik der politischen Ökonomie halten, aber doch nicht ohne deren „Zeitkern der Wahrheit“, wie es in Walter Benjamins Passagen und auch im späten Vorwort der Dialektik der Aufklärung heißt, zu reflektieren. Psychoanalyse und Marx‘sche Kritik können nicht „als Unveränderliches der geschichtlichen Bewegung“ entgegengehalten werden. In der Betrachtung der historischen Bedingtheit der Freud‘schen Psychoanalyse stellt Adorno dementsprechend heraus, dass es „kein Zufall“ sei, „dass Freuds Theorie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand, als sich die Individualität als soziale Kategorie auf ihrem Höhepunkt befand.“ Gleichermaßen sei es jedoch „ebenfalls kein Zufall, daß die klassischen Übertragungsneurosen, anhand deren Freud seine Theorie entwickelte, zu verschwinden scheinen und allmählich durch narzißtische Konflikte ersetzt werden, deren Therapie die revisionistischen Schulen der Psychoanalyse inspiriert.“ Während also der „Verfall der Individualität“ ein Bewusstsein davon erfordert, dass an den Freud‘schen Theoremen auch deshalb festgehalten werden muss, um diese Verwandlung der bürgerlichen Psyche „in eine Agentur, in der die ökonomischen Gesetze in Einstellungen und Verhaltensweisen wirksam werden“, sichtbar zu machen, ist diese Integration der Einzelnen nur „durch den Niedergang des freien Wettbewerbes und der Marktwirtschaft.“ Offenbart sich hier der Vorrang der Ökonomie, ist die These von der „ökonomischen Tendenz zum allmählichen Verschwinden des freien Markts“ auch Ausdruck des von Eva-Maria Ziege angesprochenen Versuchs, die Marx‘sche Kritik für die Mitte des 20. Jahrhunderts weiter zu entwickeln. Die voranschreitende Monopolisierung des Kapitals bedingt die zunehmende Integration des gesellschaftlichen Subjekts in dessen Verwertungszusammenhang soweit, dass die Psyche der Individuen ihre Struktur verändert. – Kann Adorno diesen Gedanken in den Bemerkungen auch nicht weiter ausführen, machen diese durch seine Dokumentation jede Lektüre der Studie unmöglich, die sie allein individualistisch deutet und die zugrundeliegenden Annahmen hinsichtlich Psychoanalyse und der Kritik der politischen Ökonomie ignoriert.
Neben den Bemerkungen zu The Authoritarian Personality hat die Herausgeberin dem Band zwei Vorträge beigegeben, die in den Gesammelten Schriften bereits vorliegen, sich jedoch thematisch mit den Bemerkungen zusammenschließen. Adorno reflektiert in ihnen die Ergebnisse der Studie und deren Bedeutung für die deutsche Nachkriegsgesellschaft. Umreißt der bereits angesprochene Text Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika die spezielle akademische – und auch soziale – Situation universitärer Forschung in den Vereinigten Staaten der 1940er Jahre, geht es Adorno in Meinung Wahn Gesellschaft insbesondere um die Aktualität der Autoritarismusstudie. Dort macht er beispielsweise den Nationalismus als „[d]ie charakteristische Gestalt absurder Meinung heute“ aus, um auszuführen, dass dieser kollektive Narzissmus seinen Anhängern ersatzweise „gleichsam als Individuen etwas von jener Selbstachtung zurück[zahlt], die ihnen dasselbe Kollektiv entzieht, von dem sie die Rückerstattung erhoffen, indem sie wahnhaft mit ihm sich identifizieren.“ Jedoch sei „[j]egliche Anweisung zum richtigen Bewußtsein […] vergeblich“ und dieses bestehe nur „in der Anstrengung, unermüdlich auf seine Aporien und auf sich selbst zu reflektieren“. Dem Gedanken in dieser „kritische[n] Gestalt“ wäre heute nicht zuletzt aufgegeben, auch dies auf den Zeitkern seiner Wahrheit hin zu reflektieren.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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