Halbnackt auf der Straße
Der Erzählband „Die grünen Brüste“ von Florin Iaru steckt voller überraschender Wendungen
Von Anke Pfeifer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseHalbnackt auf der Straße – dieser Alptraum hat vielleicht so manche schon geplagt. Aus dem Schlaf aufgeschreckt schaut eine Frau zur Tür hinaus, ob da jemand sei, und ist plötzlich ausgesperrt. Am Ende ihres schamvollen Irrwegs durch die nächtliche Stadt zum Haus ihres Freundes sieht sie sich dann auch noch um Jahrzehnte gealtert. So abrupt enden viele der 53 nur selten länger als drei Seiten langen, raffinierten Kurzgeschichten des rumänischen Dichters und Erzählers Florin Iaru, die von der Lebenswirklichkeit inspiriert sind, dabei häufig aber auch phantastische Elemente enthalten.
So vermag der mit übernatürlicher Fähigkeit ausgestattete Mitarbeiter in Der Hörling nicht nur, vom Direktionsbüro aus durch Wände hindurch zu verstehen, was der Kollege in der Werkstatt sagt, sondern er kann dem Chef sogar die Worte des rumänischen Präsidenten vermitteln, die dieser in seinem Palast gerade äußert. Zwar ist dies einer der wenigen direkten Bezüge zum Heimatland des Autors, aber das Leben dort vor und nach 1989 bildet insgesamt den Hintergrund für so manche der alltäglichen Begebenheiten, die den sozialkritischen Blick von Iaru verraten, ohne dass er den moralischen Zeigefinger erhebt.
Vor allem aber geht es um Eigenarten und universelle Schwächen seiner Zeitgenossen. Die Unsicherheit in der Pubertät greift er auf, wenn ein Mädchen unter ihren kleinen Brüsten leidet und zu einem ungewöhnlichen, aber erfolglosen Wachstumsmittel greift, dessen Auswirkung sie zum Spott des ganzen Viertels macht. Und doch gibt es da überraschend einen Hoffnungsschimmer für sie. Es geht um verpasste Gelegenheiten, unerfüllte Jugendträume, sexuelle Wunschvorstellungen, um Einsamkeit, Geschlechterklischees und eheliche Kabbeleien, wobei sich für die Schwachen nicht selten Genugtuung andeutet: Außenseiter wie der stumme Vasile oder der schüchterne Melu verfügen über magische Kräfte, während Feiglinge, Muttersöhnchen oder Egomanen subtil vorgeführt werden oder die Quittung bekommen. Die Trennung zwischen real und surreal verschwimmt dabei.
In Abenteuer am sehr Schwarzen Meer gebärden sich drei junge Männer als Angeber und versuchen sich gegenseitig mit überspannten Lügengeschichten über tolle Frauen und spektakuläre Naturschauspiele zu übertrumpfen. Der gute Wolf befreit die schöne Zmaranda von den übergriffigen Vorstadtmännern, die sie selbst verführte. Manche Texte sind überaus witzig, viele ziemlich grotesk, andere schon makaber, wie Die elektrische Mutter, die alleinerziehend ist, stets unter Strom steht und schließlich tatsächlich verkohlt.
Jähe Wendungen oder ein offener Ausgang überraschen, machen manchmal auch etwas ratlos. In Das Nest wird ein altes verlassenes Haus durch einen gläsernen Neubau ersetzt. Mit dem Sohn des Besitzers will niemand spielen. Sein Buckel entpuppt sich als Flügelpaar, mit denen er in den Himmel fliegt, worauf das gläserne Haus sich verfinstert, offenbar auch im metaphorischen Sinne. Es bleibt auf jeden Fall Raum für eigene Interpretationen. Spannend ist nicht nur die Geschichte über den Rentner, der auf der Straße Menschen folgt, die er meint zu kennen, bis er tatsächlich seine große Liebe wiedertrifft.
Ein zweiter, mit Erinnerungen betitelter Teil umfasst drei Texte mit einem deutlich anderen Charakter. Sie thematisieren Zäsuren in Kindheit und Jugend des Ich-Erzählers in Rumänien: Der erste Alkoholrausch, die Scheidung der Eltern, ein traumatisches Erlebnis während des Wehrdienstes sind hinsichtlich der geschilderten Ereignisse weniger originell. Auch sprachlich überzeugen diese Erzählungen nicht so, wenn es beispielsweise heißt: „Der Sommer des Jahres 1968 trieb an der Oberfläche eines Meeres aus Gelassenheit, Zuversicht und Entspanntheit.“
Manuela Klenke hat wieder eine gute Übersetzung vorgelegt, wenn auch ihre Übertragung des Romans Null Komma Irgendwas von Lavinia Branişte mehr überzeugte. Mitunter ist die Wahl der Lexik nicht ganz geglückt, scheinen rumänische Satzkonstruktionen im Deutschen durch und zahlreiche falsch gesetzte Kommas lassen zusätzlich den Lesefluss immer mal wieder stocken. Ein aufmerksames Lektorat hätte diese Mängel beseitigen können. Werbewirksam ins Auge springt das Cover mit dem witzigen orangefarbenen Embryo samt vielsagender Sprechblase, ausgestattet mit grünen Brüsten und in pinkfarbenen Schuhen steckend, wobei das Grün und Orange in innerem Schutzumschlag und in Vorsatz aufgenommen werden und somit ein ansprechendes ästhetisches Ensemble schaffen. Diesen Hingucker sollte man durchaus in die Hand nehmen und lesen.
|
||