Der Traum des Lebens

Patti Smith erinnert sich in „Im Jahr des Affen“ an ein schwieriges Jahr, das zur persönlichen wie gesellschaftlichen Zäsur wurde

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf ihre alten Jahre ist Patti Smith tatsächlich zur Schriftstellerin geworden. Als Lyrikerin reüssiert sie ja seit den 1970er Jahren, tatsächlich begann ihre erfolgreiche Musikerinnenkarriere auch eher durch die Verbindung mehrerer Zufälle, welche die dichtende Subkulturikone zur Frontfrau einer Rockband werden ließen. Eine Rolle, die, wie wir heute wissen, ihr nie so ganz geheuer war.

Nach vier Alben glaubte sie zumindest, alles gesagt zu haben, und zog sich Ende der 70er Jahre plötzlich zurück. Sie heiratete, wurde Mutter zweier Kinder und führte mit ihrem Mann, dem ehemaligen Mitglied der Band MC5, Fred „Sonic“ Smith, ein behagliches Dasein jenseits des Rampenlichts. Das synthetisch klingende Comeback-Album Dream Of Life war 1988 aus künstlerischer Sicht ein Fehler gewesen, es folgten daher weitere Jahre des Schweigens. Bis Fred Smith starb, wie auch Patti Smiths geliebter Bruder Todd und ihr bester Freund, der Künstler und Fotograf Robert Mapplethorpe. Dies war der Zeitpunkt eines zurecht umjubelten Comebacks, mit dem bewegenden, adäquat betitelten, dunklen Album Gone Again und einer Reihe weiterer gelungener Platten.

2010 erschien schließlich mit „Just Kids“ eine Art Autobiographie, die vor allem um Smiths Beziehung zu Mapplethorpe kreist. Das Buch wurde zurecht gefeiert. Smiths gleichzeitig poetische wie trocken-abgeklärte Sprache, ihr Changieren zwischen Traumwelt und konkreter Erinnerung sollte ihr literarisches Markenzeichen werden. So hat Patti Smith, die seit den 70er Jahren mehrere Gedichtbände (vor allem das legendäre Babel) veröffentlicht hatte, ihre Stimme als Prosaautorin gefunden. Es folgten die autobiographischen Bücher M Train sowie Hingabe und nun ein weiterer Bericht, Im Jahr des Affen.

Wieder geht es um Erinnerung, um Meditationen über die Vergänglichkeit. Und wieder sind der Ausgangspunkt mehrere Todesfälle im engen Freundeskreis. Das Buch beschreibt die Geschichte des Jahres 2016, jenem Jahr, das damit endete, dass Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt wurde. Der Titel bezieht sich auf das chinesische ‚Jahr es Affen‘, das im April 2016 begann, ist aber möglicherweise auch eine etwas plumpe Anspielung auf den mittlerweile amtierenden US-Präsidenten.

Zu Beginn des Buches findet sich Smith am Neujahrsmorgen in einem Hotel bei Santa Cruz wieder, etwa eine Stunde von San Francisco entfernt, wo sie mit ihrer Band ein Silvesterkonzert gegeben hat. Eigentlich sollte sie mit ihrem alten Freund Sandy Pearlman hier sein, doch der hat einen Schlaganfall erlitten und liegt im Koma, ohne Hoffnung wieder zu erwachen. Smith beginnt einen Dialog mit dem Willkommensschild des Hotels, das plötzlich zu ihr zu sprechen scheint. Dieses sprechende Schild wird sie auf ihren Reisen des Jahres 2016, die sie im Verlauf des Buches skizzenartig darlegt, begleiten, manchmal auch in Gestalt eines (fiktiven) jungen Mannes, den sie meint, in einem Café kennengelernt zu haben, wo er und seine Begleiter sich über Roberto Bolaño unterhielten – eine Szene, die sich bewusst liest wie aus einem Bolaño-Roman.

Anders als der wunderbar melancholische, aber durchaus in der Realität angesiedelte Vor-Vorgänger M Train ist Im Jahr des Affen ein Buch zwischen Träumen und Wachen, eine poetische Reflexion über das Älterwerden. Immerhin steht auch Smith 2016 vor ihrem siebzigsten Geburtstag und muss nicht nur den Tod Pearlmans (der nach mehreren Monaten im Koma im Krankenhaus stirbt), sondern auch den schnellen Zerfall ihres engen Freundes und ehemaligen Lebenspartners, dem Dramatiker und Schauspieler Sam Shepard, mitansehen, der an ALS erkrankt ist und ebenfalls, am Ende des ‚Jahres des Affen‘, sterben wird.

Stoisch bewegt sich Patti Smith durch die von ihr lakonisch gezeichneten Szenarien, wie schon in ihren vorigen Büchern als Kind, das sich weigert zu altern (die häufigen Verweise auf Peter Pan in ihrem Werk sind nicht zufällig), und doch, in Jahren, immer älter wird.

Die magische Zahl ‚70‘ bedrückt sie, doch sie macht einfach immer weiter, als Rockmusikerin, als Schriftstellerin und vor allem als Mensch. Die manchmal schwer zu entschlüsselnden Szenen zwischen Traum und Realität erschweren die Lektüre bisweilen zwar, doch ist Im Jahr des Affen nichtsdestoweniger ein Werk voll poetischer Kraft, voll Lebenswille inmitten einer Welt, die langsam zerfällt, in der sich subjektive wie objektive Gewissheiten auflösen. Und mittendrin Patti Smith als unerschütterlicher und zugleich fragiler Leuchtturm.

Titelbild

Patti Smith: Im Jahr des Affen.
Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020.
208 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783462053845

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