Seichte Satire über den Unsinn des Lebens
Lukas Linders zweiter Roman „Der Unvollendete“ macht seinem Namen alle Ehre
Von Swen Schulte Eickholt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMit seinen 36 Jahren kann Lukas Linder schon auf eine beachtliche Menge von realisierten Bühnenstücken blicken, und nach dem Romandebüt Der letzte meiner Art erscheint nun der zweite Roman Der Unvollendete. Es wird wohl kaum noch als besonders autobiographische Kreativität durchgehen, den zweiten Roman über einen melancholischen Schriftsteller zu schreiben, der versucht, seinem kaum wahrgenommenen Erstling ein zweites Werk folgen zu lassen. Doch der Klappentext verspricht immerhin subtil-ironischen Witz, der an den Großmeister Loriot erinnere. Nun ist Loriot nicht unbedingt für seine humoristischen Romane bekannt, aber vielleicht trifft diese nicht sehr zielsichere Werbung das Zentrum des Romans, der als Fernsehformat lose verbundener Sketche vielleicht besser funktioniert hätte.
Der in Wesen und Auftreten recht indifferente Anatol versucht nach seinem Debütroman Graues Brot Energie für einen Folgeroman zu sammeln und sich außerdem mit einer Freundin zu versehen. Dabei scheint er recht wahllose Versuche zu unternehmen, jede Frau, mit der er etwas tiefer ins Gespräch gerät, zu seiner besseren Hälfte zu machen. In steten Anfällen von irrsinnigem Optimismus, der laut Erzähler vor dem eigentlich herrschenden Pessimismus schützen soll, sieht Anatol sich dabei stets schon am Ziel seiner Wünsche, während sich für den Leser überdeutlich die Hoffnungslosigkeit all seines Trachtens abzeichnet. Diese Grundkoordinaten knüpft Linder um bekannte Plotmuster von ‚boy meets girl‘ (and yet another girl), dem besseren Doppelgänger und latenten Vater-Sohn-, Vater-Mutter- und Mutter-Sohn-Komplexen.
Um der Tristesse seines Alltags zu entfliehen und Inspirationen für sein nächstes Meisterwerk zu sammeln, hat Anatol sich für ein Stipendium in New York beworben. Da er im Zuge seines infantilen Größenwahns schon überall erzählt, der Platz sei ihm sicher, wird seine Wohnung gegen seine lahme Gegenwehr schon untervermietet. Es ist bezeichnend für Linders sarkastischen Humor, dass Anatol nach dieser unfreiwilligen Obdachlosigkeit nicht das ersehnte Stipendium in New York bekommt, sondern einen skurrilen Auftrag eines der Bewohner des Altenheims annimmt, in dem er jobbt, um sich über Wasser zu halten (die Position des Allrounders, der im Grunde nichts kann, verkörpert Anatol ganz gut). Er soll den greisen Professor Gustav Gustav auf einer Konferenz von Pilzforschern vertreten, um über das „Netzwerk der Pilze“ zu referieren. Die Idee, dass das tatsächlich ein sehr interessantes Thema ist, soll dem Leser eigentlich nicht kommen, auch wenn etwa James Cameron seine Welt Pandora gerade durch ein solches Netzwerk der Pflanzen zu einem so faszinierenden Ort gemacht hat und Bäume nachweislich tatsächlich über Pilze kommunizieren. Bei Linder soll das alles eher skurril und absurd wirken. Nun könnte ‒ sollte man meinen ‒ der Roman Fahrt aufnehmen. Aber der Protagonist ist zu sperrig und die Erzählstrategie zu eingefahren, um noch etwas bieten zu können.
Linder pflegt einen sicheren Wortwitz und seinen queren Ideen durch all ihre ironischen Wendungen zu folgen macht Spaß – für eine Weile. Als Roman funktioniert das Ganze nicht so gut. So bietet die Handlung nur den Rahmen für immer neue überdrehte Kapriolen, die nach dem immer gleichen Muster funktionieren: Ein alle Signale der Realität übersehender Anatol sieht sich selbst eine Glanzleistung vollbringen, während er im Grunde eine lächerliche Figur abgibt, der es an der melancholischen Tiefe des Clowns mangelt (auch wenn ihm die eigene Situation im Grunde nur zu gut bewusst ist). Es ist dabei nicht besonders hilfreich, dass Linder es sich offenbar zum Ziel gesetzt hat, jeden neu eingeführten Witz auch zuverlässig zu Tode zu reiten. Ob nun Anatol gleich im ersten Kapitel von zwei Lehrerinnen aufgerissen wird, die es dann in seinem Bett miteinander treiben (er ist aber natürlich nur passiver Teilnehmer, der es nicht schafft, in diesen vermeintlichen Männertraum einzusteigen), oder Anatols Vater diesem für seine schäbige Unterkunft in Polen nur eine Lampe kauft ‒ wie Settembrini im Zauberberg dem jungen Hans Castorp Licht verschaffen will. Während Thomas Manns gebildeter Italiener jedoch nur einmalig den Lichtschalter betätigt, wird die Lust von Anatols Vater, lichtbringende Lampen zu kaufen, zum Leitmotiv eines ganzen Kapitels, ebenso wie die vorgebliche Unvereinbarkeit von Beamtentum und sexueller Freizügigkeit das erste Kapitel durchgängig grundiert.
Die ironische Grundhaltung des Romans wird besonders dadurch gehalten, dass es zumeist nicht entscheidbar ist, wer hier die Wertungen vornimmt, der Erzähler oder Anatol. So ist zwar durchweg aus der Er-Perspektive geschrieben, aber offensichtlich wechselt die Einschätzung der Situationen häufig und trägt zumeist Anatols Stempel.
Gegen Ende gibt es einen kurzen Moment der Spannung, als Anatol eigentlich keine Möglichkeit mehr hat, sich die Einsamkeit und Inhaltsleere seines Lebens schön zu reden. Durch einen wenig überzeugenden deus-ex-machina-Trick wird ihm zwar eine berufliche Perspektive geboten, aber es ist nur zu deutlich, dass auch dies die Leere seines Daseins kaum füllen kann. So rettet der Roman sich (ausgerechnet auf einem Berg) in ein symbolisches Bild, das wenigstens die Covergestaltung und das angedeutete Doppelgängermotiv schön aufnimmt und ansonsten alles oder auch einfach nichts bedeuten kann. Man könnte meinen: Das ist ja das Wesen der Kunst; doch hier stiehlt sich nur jemand aus einer Geschichte, die er zu keinem schlüssigen Ende bringen kann.
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