Innige Liebe und herzhafte Wut eines „fahrenden Sängers“

„Die Raben von Ninive“ zeigen den Krimiautor Friedrich Ani von seiner lyrischen Seite

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht alle Leser der vielen preisgekrönten Kriminalromane von Friedrich Ani wissen, dass der Autor schon frühzeitig Lyrik veröffentlicht hat und sich als „fahrender Sänger“ sieht. Die sprachliche Gestalt seiner Romane liegt allerdings so hoch über dem Durchschnitt des Genres und ist vielfach so poetisch, dass sich die Überraschung in Grenzen hält. Es erscheint reizvoll, in den Balladen und anderen Gedichten nach Parallelen zur Innenwelt der unkonventionellen Ermittler in Anis Romanen zu suchen: Der pensionierte Mordermittler Jakob Franck erkennt dank seiner „Gedankenfühligkeit“ in den Augen eines Mitmenschen „den schwarzen Vogel Einsamkeit“. Und er trifft auf Landstreicher, „die jedes Morgenrot aus ihren Augen verbannt hatten“. Solche Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit findet sich in zahlreichen Gedichten. Der Alte am See trauert der Kindheit nach – er wird „nie mehr dort sein und vom Spielen wund“. Unvergleichlich schlimmer schallt der Ruf der fallenden Frau. Sie hat sich das Meer als Schlafstadt erwählt und beschimpft Gott in einem Maße, das man nicht verstehen kann, weil man ihr Schicksal nicht kennt. Zu lange war sie das Opferlamm der Herde – das sagt sie mehrmals, Genaueres nie. Wenn sie Gottes Wohnort als Schneckenhaus, Hundehütte, Pimmelreich und Funkloch bezeichnet, klingt das nach albern-ordinärer Blasphemie. Doch sie nennt Gott auch Satan, Mörder, Richter und Henker. Ein tiefschwarzer und verstörender Text.

Der einfühlsame Kriminalist und Ex-Mönch Polonius Nikolai Maria Fischer nennt seine Freundin öffentlich „Sonne seines Lebens“. In dem Gedicht Einer muss da sein schreibt Ani über die Sonne, die ihn zu sich emporhob. Letzter Satz: „Ihr Name ist Ina.“ Fischer kennt jedoch auch die Abgründe der menschlichen Seele wie Rachsucht, Todesverlangen und Lieblosigkeit. Das ist bei Friedrich Ani nicht anders, weshalb seine Lyrik schärfste Kontraste aufweist. Nur wenige Seiten nach der innigen Liebeserklärung an Ina wird im Gedicht Fernsehen das Eheleben von Carlo und Jule als Mixtur aus Gewalt, Saufen und Sex vorgeführt. Anis Liebe zum Vater drückt sich in den eindrucksvollen Taggedanken aus, Auswurf des Herrn aber hat den Mord an einer Mutter zum Gegenstand.

Friedrich Anis wohl berühmtester Ermittler, der Vermisstensucher Tabor Süden, strebt als „Monstergrübler“ nach der Wahrheit menschlicher Existenz. Darum geht es auch in zahlreichen Gedichten. Eine Späte Erkenntnis hallt lange nach: „Ich weiß, alles Sein ist Widerstand“.

Entschiedenen Widerstand leistet der Dichter gegen politische Mörder und ihre Hintermänner, die Deutschland abermals in den Abgrund treiben wollen. Prägnanter als mit den beiden Anfangszeilen des Gedichts Deutsche Geschichte kann man die Wahrheit nicht sagen: „Einer hat Walter Lübcke erschossen. / Aber nicht allein.“ Die unzureichende Aufklärung der zahlreichen Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ wird attackiert, wenn Ani das Gedicht Aufzählung mit den Namen der Opfer beschließt und hinter jeden das Wort „Einzelfall“ setzt. Hier findet herzhafte Wut eine deutliche Sprache. Doch der Deutsche mit dem Vater aus Syrien und der Mutter aus Schlesien gibt sein Land nicht verloren. An die deutschen Nichtkinder, die von den Eltern das Hassen, aber nie das Spielen lernten, richtet er die hoffnungsvollen Worte: „Dies Land wird neu geboren.“

Sarkasmus ist den Romanen von Friedrich Ani nicht fremd. Ein erwachsener Sohn lässt sich von der Mutter aushalten, „weil das Studium seiner Selbstfindung einen gewissen Aufwand an Nichtstun erforderte“. In Nicht vergessen hat der Dichter für Geselligkeiten, die zu Gefälligkeiten führen sollen, den guten Rat zu gehen, bevor man sich verrät, und nicht zu nüchtern zu kommen und nicht zu spät.

Über Deutschland hinaus geht Friedrich Ani im Titelgedicht Die Raben von Ninive. Hier wird er zum Gefährten des Propheten Jonah, der den Untergang der mächtigen Stadt voraussagte. Über die Definition des Regens als „Abwesenheit von Seidenstrümpfen“ mag nachdenken, wer will.

Die intensive Gedankenlyrik, die schonungslos mit deutschen Zuständen ins Gericht geht, erinnert an einen unserer größten Lyriker. Der Eiserne Himmel heißt das den Band beschließende zwölfeinhalb Seiten lange Zwiegespräch des 52-jährigen Friedrich Hölderlin mit sich selbst. Es wurde zum 250. Geburtstag des Dichters geschrieben. Friedrich Ani hat den noch im Wahnsinn hochfliegenden Sprachgestus Hölderlins in erstaunlichem Maße verinnerlicht.

Viele Verse des Dichters, der das Politische nicht in eine Außenwelt verweist, sondern sich ihm im tiefsten Inneren stellt, klingen notgedrungen bitter. Dennoch ist es richtig, dass auf dem Rückendeckel vier Zeilen stehen, die in ihrer schlichten Schönheit an die Sonette von William Shakespeare erinnern:

Alles Meer kehrt heim zu dir,
und alles Dunkel bricht entzwei.
Dein Blick gereicht dem Tag zur Zier.
Komm, du Liebe, sieh und sei.

Titelbild

Friedrich Ani: Die Raben von Ninive. Balladen, andere Gedichte und ein Zwiegespräch.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020.
172 Seiten , 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783518470671

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