An welchen Ufern liegt Sprachland?

Axel Hacke regt in „Im Bann des Eichelhechts und andere Geschichten aus Sprachland“ mit glossierten Fehlern von Schreibern, Übersetzern und Hörern die Fantasie an

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vielgelesene Journalist und Schriftsteller Axel Hacke wurde im Hörfunk als „Großmeister der Kolumne“ bezeichnet. Lässiger Tonfall und mit Koketterie gemischte Selbstironie machen seine in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Texte aus dem Alltag sympathisch. Trägt der Autor sie auf Lesereisen vor, hat er das Publikum im Handumdrehen auf seiner Seite. Von seinen mehr als einem Dutzend Büchern sind die gesammelten Kolumnen das Beste.

Einen noch größeren Leserkreis erreichte Axel Hacke im Jahre 2004, als er ein Buch über falschverstandene Liedtexte veröffentlichte. Überall in Deutschland wurde Der weiße Neger Wumbaba anhand des „Abendlieds“ von Matthias Claudius („Der Mond ist aufgegangen“) lachend als „der weiße Nebel wunderbar“ enttarnt. Man kann das infantil finden oder volkstümlichen Humor nennen. In manchen Familien wird in zweiter Generation über den „filmenden Erdbeerschorsch“ geschmunzelt, der ein firmender Erzbischof war. Zwei weitere „Wumbaba“-Bücher folgten – geschicktes Marketing, alte Idee.

In seinem Wortstoffhof und in anderen Büchern kommentierte Hacke lustige Hörfehler (von ihm „Verhörer“ genannt) oder Fehler beim Übersetzen und Schreiben. Man kann sich darüber amüsieren, wenn durch ungeschicktes Übersetzen (onion rings: Zwiebel ruft an) rätselhafte Speisekarten entstehen. Verhungern wird man nicht, weil verständliche Angebote übrigbleiben. Schlimmer sieht es bei Bedienungsanleitungen aus. Man begreift überhaupt nichts oder glaubt die Anweisungen zu verstehen und produziert einen Totalschaden.

Auf Dauer ermüden die Aufzählungen neckischer Wörter und deren Kommentierung. Vielleicht deshalb hat Axel Hacke in seinem neuen Buch Im Bann des Eichelhechts und andere Geschichten aus Sprachland zu einer Reise ins Sprachland aufgerufen. Dort sind die Menschen laut Klappentext unter anderem „am Hoch- und Tieftrabenden“ interessiert. Beides findet sich im Buch.

Von einem Reisebuch wird erwartet, dass es vom Ausgangspunkt zum Ziel führt. Schwierig, wenn das Sprachland laut seinem Entdecker „überall und nirgends befindlich“ ist. Der Autor spricht von einem Land, „dessen Ufer wir nun vor einer ganzen Weile betreten haben“. Was für Ufer? An welchem Gewässer? Wie passt die „ganze Weile“ zu der anderswo getroffenen Feststellung, dass man das Land meist nur für einen Moment aufsucht?

Wir haben es hier nicht mit einem Reisebuch zu tun, das eine zielgerichtete Tour beschreibt. Es handelt sich vielmehr um ein Sprachspielbuch mit munterem Schweifen und mit Rubriken, die sich wiederholen („Vokabeln“, „Lyrik ohne Absicht“, „Maschinen“). Die verhunzten Übersetzungen und missverstandenen Texte, die dem Autor in Hülle und Fülle zugesandt wurden oder ihm auf Reisen begegneten, sind so unterschiedlich amüsant wie in seinen früheren Büchern. Manche Ausdrücke klingen putzig und regen die Fantasie an. Werden sie zu Sätzen kombiniert, kommt einem das vor, als würde ein Witzeerzähler belachte Pointen wiederholen.

Alle Eltern und Großeltern haben erlebt, dass ein Kind ein Wort falsch versteht. Ein Knirps legt sich schräg hin und kräht: „Schiefliegen kann ich auch“. Oder es wird ein Wort erfunden. So kam das Buch zu seinem Titel. Nach dem Waldspaziergang schwärmte das Kind vom „Eichelhecht“ und war zu müde, darüber nachzudenken, ob es den Eichelhäher meinte. Es tut der menschlichen Fantasie gut, über einen Eichelhecht und andere „Wortfindungen“ nachzudenken.

Einmal verlässt Axel Hacke den Bereich des Albernen bis Niedlichen und demonstriert, dass Verständnisfehler auch Angst auslösen können: Ein Opa erzählt zwei Enkeln angesichts der Schrecken eines Kriegsfilms im Fernsehen, das sei „früher“ gewesen. Als er ihnen an einem sonnigen Tag im Garten sagt, jetzt sei „Frühjahr“, rennen sie schreiend davon. Weitere „ernste Fälle“ gibt es nicht; der Autor hüpft zum falsch verstandenen Satz „Jetzt ist früher“, der für ihn nach Zeitmaschine klingt.

Grandiose Fantasie beweist der Autor beim Nachdenken über „kochende Zeit“; die gab es auf einer Rezeptseite im Internet. Sie wird laut Hacke nach dem Verdampfen eingeatmet und „ein Teil von uns“. Angeblich hat er Menschen an ihren Armbanduhren lecken und an den Stäben von Sonnenuhren knabbern sehen, vergeblich.

Große Kunst? In Klappentexten wird gern ein bisschen zu viel versprochen. Ein weithin vergnügliches Buch aber ist es, dem das Umschlagbild vom ständigen Hacke-Illustrator Michael Sowa gut steht.

Titelbild

Axel Hacke: Im Bann des Eichelhechts. und andere Geschichten aus Sprachland.
Verlag Antje Kunstmann, München 2021.
240 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783956144318

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