Bildkomposition der Gegenwart

Über die Blickwinkel des „Bauernkriegspanoramas“ von Kathrin Röggla

Von Johann HolznerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johann Holzner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Berühmte Rundpanoramen des 19. Jahrhunderts zeigen in der Regel Schlachtfelder, und ihr Hauptanliegen ist es, die nationale, die vaterländische Perspektive zu bestärken. Darüber hinaus bieten sie eigentlich vielfältigere Sichtweisen, die sich allerdings angesichts einer vorgegebenen Deutungshoheit nicht entfalten können. Das Bauernkriegspanorama des Leipziger Kunstprofessors Werner Tübke auf dem Schlachtberg nahe der thüringischen Kleinstadt Bad Frankenhausen, das im Auftrag der DDR-Führung entstanden und nach langen Jahren kurz vor dem Zusammenbruch der DDR wohl nicht ganz im Sinne der Auftraggeber fertiggestellt und dennoch wie geplant im Thomas-Müntzer-Jahr, also zum 500. Geburtstag des Theologen und Revolutionärs 1989 offiziell eröffnet worden ist, diese grandiose 360-Grad-Landschaft unter dem Titel Frühbürgerliche Revolution in Deutschland, die mehr als der Titel verspricht, nämlich ein Abbild der Renaissance-Epoche vermittelt, zeigt hingegen weit und breit keinen strahlenden Helden mehr, sondern eine graue Welt, die eher ihrem Untergang entgegentaumelt. – Kathrin Rögglas Text geht von diesem Panorama aus.

Der schmale Essay, der von der Crespo Foundation 2020 mit dem hochdotierten Literaturpreis für kritische Kurztexte ausgezeichnet worden ist und Anfang 2021 schon die zweite Auflage erlebt hat, wird aus guten Gründen viel gelobt und viel gelesen. Denn es ist ein groß angelegter und brillant formulierter Versuch, in einer Bildkomposition, die jede zentralperspektivische Betrachtungsweise in spektakulärer Weise unterläuft, diverse beeindruckende Blickwinkel, durchaus neue Blickwinkel auf Hauptprobleme der Gegenwart zu öffnen.

Die Themen, die in ihrer Bildkomposition hierarchielos sich verschränken und einander den Vorrang streitig machen, sind die gewohnten Themen der Massenmedien: Globalisierung, Krise der Demokratie, Rechtsruck allerorten, Wutbürger, Stadt-Land-Gefälle, Betonversiegelung, Ausländerzüge, Sieger und Opfer der Digitalisierung. Aber diese Themen werden hier nicht nacheinander, vielmehr miteinander verhandelt, das Panorama ist und bleibt von allem Anfang an und bis zum Ende in Bewegung, und der Verlauf der Frontlinien, den die ersten Panoramabilder noch scharf gezogen haben, verschwimmt; besser gesagt: droht zu verschwimmen. Röggla arbeitet indessen dem entgegen, denn sie beobachtet auch die Figuren im Hintergrund – die gewöhnlich in den Bildbeschreibungen schon nicht mehr vorkommen, die Abgehängten; dazu zählen mittlerweile allerdings auch die, die sich gerne als Opfer bezeichnen und alle anderen als Faschisten. „Sehen Sie da diese Figur, die nicht mehr vor lauter Weisungsgebundenheit aus sich herauskommt! Sehen Sie diese Figur, die zögert, weil sie nicht weiß, ob sie zuständig ist! Sehen Sie diese Figur, die Angst hat, weil man sie entdecken könnte, identifizieren und dann den Geldhahn zudrehen wie bei allen anderen!“ Auch die „Menschen mit Rechthabermienen“, die genau wissen, wo die Frontlinien laufen oder jedenfalls laufen sollten, geraten in dieser bewegten, bewegenden Darstellung ins Schussfeld.

Um Schlüsselbegriffe aus der Ära der Französischen Revolution wie ‚Vaterland‘, ‚Freiheit‘ und ‚Krieg‘ dreht sich die Ode „Sie und nicht wir“, die Friedrich Gottlieb Klopstock dem Herzog Louis-Alexandre de La Rochefoucauld gewidmet hat; und unter dem Titel Wir und nicht sie hat Volker Braun darauf geantwortet. Inzwischen helfen derartige Grenzziehungen nicht mehr, niemandem mehr, und die sogenannte gesellschaftliche Mitte ist in heller Auflösung begriffen: „Wir, die wir plötzlich als Elite verdampfen, wo wir bis eben noch Mittelstand waren. […] Wo stehe ich eigentlich, auf wessen Seite, hat man begonnen zu fragen?“ Rögglas Essay drängt darauf, sanft, zurückhaltend, aber zugleich auch entschieden, solche Fragen nicht länger zu verscheuchen, liebgewonnene Legenden lieber noch einmal zu prüfen, damit aufzuhören, „den Rückwärtsgang zu üben im Land der Rückwärtsgänge“ und endlich aus den gewohnten, verrosteten Schienen der Kommunikation vor allem im öffentlichen Bereich resolut auszubrechen.

Das Buch enthält auch ein aufschlussreiches Vorwort von Aslak Petersen und Sandra Poppe über die Intentionen der Crespo Foundation und die Konzeption des Literaturpreises für kritisches, auf Wesentliches zugespitztes Schreiben sowie die Laudatio auf Kathrin Röggla von Beate Gütschow, die bemerkenswerte Argumente dafür anführt, dass die Autorin in ihrem Panorama, in dem es doch so sehr um globale Konfliktfelder und Streitfragen geht, trotzdem ein nationales (wenngleich, das versteht sich, kein vaterländisches) Bild entwickelt hat.

Titelbild

Kathrin Röggla: Bauernkriegspanorama.
Verbrecher Verlag, Berlin 2020.
62 Seiten , 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783957324504

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