Einer der wichtigsten Schriftsteller zwischen Kaiserreich und Exil

Zum 150. Geburtstag von Heinrich Mann gibt es zahlreiche Neuerscheinungen

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Romane, wie meinesgleichen sie schreibt, sind die innere Zeitgeschichte, die Geschichte, die noch niemand sieht oder wahrhaben will, bis Schicksalstage sie furchtbar bekräftigen“ – so Heinrich Mann 1922 in einem Brief an den österreichischen Schriftsteller Paul Hatvani. Abgesehen von seinen frühen Anfängen hat sich Mann stets als politischer und zeitkritischer Autor verstanden. Die großen französischen Romanciers wie Balzac, Flaubert, Stendhal und Zola, die den Gesellschaftsroman zum wichtigsten Instrument der Gesellschaftskritik gemacht hatten, waren seine literarischen Vorbilder. Fontane, in dem er den Nachfolger der französischen Tradition und den „Begründer und zugleich Vollender des modernen Romans in Deutschland“ sah, war für Heinrich Mann ebenfalls ein Wegweiser in seiner Schriftstellerlaufbahn. Beide Schriftsteller begleiteten mit ihren Werken die verhängnisvolle Entwicklung des deutschen Bürgertums – Fontane von der Reichsgründung 1871 bis zum Beginn der Ära Wilhelms II., fast nahtlos übernahm Mann dann den zeitkritischen Faden bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Am 27. März 1871 wurde Luiz Heinrich Mann in Lübeck geboren, als erstes Kind des Kaufmanns Thomas Johann Heinrich Mann und seiner Ehefrau Julia, geb. da Silva-Bruhns, Tochter eines aus Lübeck stammenden Plantagenbesitzers und einer Deutschbrasilianerin. Mit seinen Geschwistern Paul Thomas (1875-1955), Julia (1877-1927), Carla (1881-1910) und Viktor (1890-1949) wuchs er in wohl behüteten und finanziell gesicherten Verhältnissen auf. Liebenswerte Details über die siebenköpfige Familie hat vor allem Viktor Mann später in seiner Lebenschronik Wir waren fünf (1949) festgehalten.

Mann besuchte das Katharineum-Gymnasium seiner Heimatstadt. Es war der Wunsch des Vaters, dass er das Familiengeschäft übernahm; doch schon früh zeigten sich seine literarischen Neigungen. Bereits mit 13 Jahren beschloss der Junge, Schriftsteller zu werden. Nach dem Abschluss der Unterprima 1889 begann er eine Lehre als Buchhändler in Dresden, was wohl ein Kompromiss zwischen den Vorstellungen des Vaters und seinem eigenen Berufswunsch war. Von 1891 bis 1892 arbeitete er als Volontär beim S. Fischer Verlag in Berlin. Nebenbei betrieb er als Vorbereitung für seine angestrebte Schriftstellerlaufbahn Studien an der Friedrich-Wilhelm-Universität.

Im Oktober 1891 verstarb der Vater unerwartet. Nach der Liquidierung der vom Großvater 1790 gegründeten Firma Joh. Siegm. Mann verlor die Familie schnell an gesellschaftlicher Achtung in Lübeck. Daher entschloss sich die Mutter, mit ihren kleineren Kindern nach München zu übersiedeln. Auch Heinrich Mann hat 1893 seine Heimatstadt zum letzten Mal betreten. Durch den frühen Tod des Vaters war der 20jährige Mann von der Übernahme der väterlichen Firma befreit und das Erbe gestattete ihm und seinem Bruder Thomas finanzielle Unabhängigkeit sowie für viele Jahre ein freies Künstlertum. Wegen einer Lungenblutung musste sich Mann zunächst mehrfach in Kurkliniken (Wiesbaden, Schwarzwald, Lausanne) aufhalten. Danach wollte er neue Eindrücke gewinnen und unternahm einige Reisen nach Paris und durch Italien – von 1896 bis 1898 auch gemeinsam mit seinem Bruder.

Bisher hatte Mann nur einige Rezensionen und Essays in der liberalen Wochenschrift Die Gesellschaft veröffentlicht. Während seiner Kuraufenthalte hatte er die Arbeit an seinem ersten Roman In einer Familie begonnen, der 1894 bei Dr. Eugen Albert & Co. in München erschien. Der Verlag übernahm die Veröffentlichung allerdings erst nach einer kräftigen finanziellen Unterstützung der Mutter, die dabei den testamentarischen Willen des Vaters („den Neigungen meines ältesten Sohnes zu einer s.g. literarischen Tätigkeit entgegenzutreten“) missachtete. Später distanzierte sich Mann von seinem Erstling und schrieb 1924 im Nachwort einer Nachauflage: „Diesen Roman schrieb ich so früh, dass ich unmöglich noch zu ihm stehen kann.“ Danach geriet das Debüt in Vergessenheit. Erst im Jahr 2000, zum 50. Todestag des Schriftstellers, hatte der S. Fischer Verlag „das Spiegelbild damaliger bourgeoiser Moralvorstellungen und sexueller Verklemmung“ (so der Klappentext) in seine Jubiläumsausgabe Gesammelte Werke in Einzelausgaben aufgenommen.

Von 1895 bis 1896 war Mann Herausgeber der konservativen Monatsschrift Das Zwanzigste Jahrhundert. Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt, in der er auch eigene Beiträge mit kulturkritisch-antisemitischen Positionen veröffentlichte. Mit seinem Roman Im Schlaraffenland (1900) vollzog sich nicht nur eine Abkehr von seinen publizistischen Anfängen sondern auch ein Umdenken und eine Neuorientierung seiner politischen und gesellschaftlichen Ansichten. Trotzdem war der satirische Roman mit dem Untertitel Ein Roman unter feinen Leuten nicht frei von antisemitischen Vorurteilen. Er handelt vom Aufstieg und Fall eines jungen mittellosen und wenig talentierten Provinzliteraten im Berlin der 1890er Jahre. Mit dem sozialkritischen Werk über die Berliner Großbourgeoisie profilierte sich Mann als ernstzunehmender Autor und scharfer Ankläger des Wilhelminismus. Damit hatte Mann sein Thema gefunden.

In der Trilogie Die Göttinnen oder Die drei Romane der Herzogin von Assy (1902) setzte sich Mann zunächst aber mit dem Renaissancismus, einer Modeerscheinung um 1900, auseinander, die auch in Münchner Salons gepflegt wurde. Die Abenteuer der dalmatinischen Herzogin Violante von Assy erstrecken sich nicht nur über weite Teile Europas, ihr Leben durchläuft auch drei Stationen von der Freiheit über die Schönheit zur Liebe. Diese Stationen werden dabei durch die antiken Göttinnen (Diana, Minerva und Venus) symbolisiert. In der dekadenten Schwabinger Boheme ist der Roman Die Jagd nach Liebe (1903) angesiedelt, den Mann innerhalb weniger Monate verfasst hatte und in dem er die Beziehung zu seiner geliebten Schwester Carla verarbeitete. Die Resonanz auf das Werk, das als „bajuwarisches Gegenstück“ (Ulrich Weisstein) zu seinem Berliner Gesellschaftsroman Im Schlaraffenland angesehen wurde, war jedoch überwiegend kritisch – auch von Seiten seines Bruders.

Der literarische Durchbruch gelang Mann schließlich mit dem Roman Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen (1905). Mit der Geschichte eines selbstgefälligen Gymnasiallehrers in einer norddeutschen Kleinstadt, die sich unschwer als Lübeck identifizieren lässt, entschleierte Mann die bürgerliche Gesellschaft während des Wilhelminischen Kaiserreichs. Der Professor, der Erziehungsmethoden als militärischen Drill versteht, gerät selbst auf die „schiefe Bahn“, als er dem Charme der Amüsierdame und Sängerin Rosa Fröhlich verfällt. Unrat (eigentlich Professor Raat) und Rosa heiraten sogar und sein Haus wird zu einem Treffpunkt des nächtlichen Vergnügens und verbotener Glücksspiele. Neben der bürgerlichen Doppelmoral nimmt die brillante Satire auch das autoritäre Bildungswesen aufs Korn. In der Beurteilung des Werkes wird jedoch häufig der Untertitel übersehen, welcher bereits andeutet, dass der verbitterte Raat durch die Zuneigung zu Rosa ein durchaus liebenswerter Mensch mit zärtlichen Zügen wird:

Er war stolz auf sie, verachtete den Saal, wenn er klatschte, spritzte auf in Haß gegen ihn, wenn er schwieg; – und ein ganz eigenes Gefühl widmete er ihm, wenn er vor Vergnügen gluckste, weil die Künstlerin Fröhlich sich tief gegen ihn verneigt und ihm die Öffnung ihres Korsage freigebig zugewendet hatte. Dann stand Unrat eine kribbelnde Angst aus … Nun wehte sie, in einem Windstoß von Beifall, zur Tür herein, und Unrat durfte ihr einen Abendmantel umlegen und ihr den Hals ein wenig pudern.

Durch die Verfilmung Der blaue Engel (1930) mit Marlene Dietrich und Emil Jannings in den Hauptrollen (Regie Josef von Sternberg) fand der Roman internationale Beachtung.

Nach diesem literarischen Erfolg schuf Mann mit Zwischen den Rassen (1907) und Die kleine Stadt (1909) in rascher Folge zwei weitere Romane. Während der Roman mit dem heute irritierenden Titel ein Entwicklungsroman mit einer jungen Deutsch-Brasilianerin ist, in dem Mann auch die Herkunft der Mutter aufgriff, stehen im Zentrum von Die kleine Stadt die Bürger einer italienischen Kleinstadt. Das Gastspiel einer Wanderoper bringt ihren beschaulichen Alltag jedoch in Aufruhr. Mann, der hier ein idealisiertes Modell einer demokratischen Gesellschaft schuf, hat den Roman zeitlebens als seinen „besten“ bezeichnet.

In der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts (und auch später) verfasste Mann zahlreiche Novellen, die in Sammelbänden veröffentlicht wurden. 1910 begann er auch, sich dem Theater zuzuwenden – neben einigen Schauspielen vor allem Dramatisierungen eigener Novellen. Das Theaterstück Schauspielerin (1911) widmete er dem Gedenken seiner Schwester Carla, die 1910 mit 28 Jahren Selbstmord begangen hatte. Heute werden die Kurzprosa und Dramatik von Mann wie auch seine Essayistik nur noch selten verlegt. Mann, der in dieser Zeit keinen festen Wohnsitz hatte und ein Reiseleben zwischen Italien und München führte, heiratete 1914 die Schauspielerin Marie Kanová (genannt Mimi), die aus einer jüdischen Prager Familie stammte. Zwei Jahre später wurde die gemeinsame Tochter Carla geboren. Die Differenzen zwischen den beiden Brüdern waren inzwischen bereits so groß, dass Thomas Mann die Trauzeugenschaft bei der Hochzeit seines Bruders ablehnte. Damit trat der Konflikt an die Öffentlichkeit. Als Thomas Mann, der bislang unpolitisch war, im Taumel der Kriegsbegeisterung den Aufsatz Gedanken im Krieg (1915) veröffentliche, antwortete Heinrich mit seinem Zola-Essay auf die Kriegspropaganda und es kam zum Abbruch der brüderlichen Beziehungen. Erst 1922 nach einer schweren Erkrankung Heinrich Manns kam es zur Aussöhnung.

Bereits 1906 hatte Mann mit seinem Roman Der Untertan begonnen, den er „zwei Monate vor Ausbruch des Krieges“ beendete. Mit dem Rundumschlag gegen die nationalistische Politik unter Kaiser Wilhelm II. schloss er die Reihe seiner „wilhelminischen“ Bücher ab. Einige ausgearbeitete Szenen waren bereits Ende 1911 in der Zeitschrift Simplicissimus erschienen; ein Vorabdruck in der Zeitschrift Zeit im Bild kurz nach Kriegsbeginn wurde abgebrochen, weil man derzeit „nicht in satirischer Form an deutschen Verhältnissen Kritik üben“ könne (so die Redaktion in einem Brief an den Autor). So konnte der Roman erst 1918 nach Ende des Krieges und dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches im Kurt Wolff Verlag erscheinen und wurde ein durchschlagender Erfolg. Bereits 1915 hatte Mann einen russischen Verlag in St. Petersburg für seinen kaiserkritischen Roman gefunden.

Die satirische Entlarvung des Untertans und Emporkömmlings Diederich Heßling, der schwächliche Spross eines kleinen Papierfabrikanten, bildet den Mittelpunkt des Romans. Feige Kriecherei gegenüber den Mächtigen und unerbittliche Brutalität gegenüber Untergebenen – immer nach dem Motto: Nach oben buckeln und nach unten treten. Minderwertigkeitskomplexe und Größenwahn gehen bei Heßling Hand in Hand. Der Roman enthält eine Reihe karikiert zugespitzter Szenen, wie die Begegnung Heßlings mit dem jungen Kaiser Wilhelm II., hoch zu Ross:

„Hurra!“ schrie Diederich, denn alle schrien es; und inmitten eines mächtigen Stoßes von Menschen, der schrie, gelangte er jäh bis unter das Brandenburger Tor. Zwei Schritte vor ihm ritt der Kaiser hindurch. Diederich konnte ihm ins Gesicht sehen, in den steinernen Ernst und das Blitzen; aber ihm verschwamm es vor den Augen, so sehr schrie er. Ein Rausch, höher und herrlicher als der, den das Bier vermittelt, hob ihn auf die Fußspitzen, trug ihn durch die Luft. Er schwenkte den Hut hoch über allen Köpfen, in einer Sphäre der begeisterten Raserei, durch einen Himmel, wo unsere äußersten Gefühle kreisen. Auf dem Pferd dort, unter dem Tor der siegreichen Einmärsche und mit Zügen steinern und blitzend ritt die Macht! Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen!

Die DEFA-Verfilmung (1951, Regie Wolfgang Staudte) mit Werner Peters in der Hauptrolle hielt sich eng an die Vorlage des Romans. In der BRD kam der Film erst 1957 in die Kinos. Gemeinsam mit den späteren Romanen Die Armen (1917) und Der Kopf (1925) fasste Mann den Untertan zu der Trilogie Das Kaiserreich (1925) zusammen.

Zu Beginn der 1920er Jahre widmete Mann sich wieder zunehmend einer publizistischen Tätigkeit; daneben entstanden zahlreiche Novellen. 1923 verstarb seine Mutter Julia und 1927 starb seine Schwester Julia, ebenfalls durch Suizid. 1928 zog Mann nach Berlin. Hier lernte er, ein Jahr vor der Trennung von Maria Kanová (1930), seine spätere Frau, die 27 Jahre jüngere Bardame Nelly Kröger kennen. Da Nelly aus einfachen Verhältnissen stammte, wurde sie in Manns großbürgerlicher Familie nicht akzeptiert. Mann selbst engagierte sich zunehmend politisch; so unterzeichnete er gemeinsam mit Käthe Kollwitz und Albert Einstein Aufrufe zur Aktionseinheit von KPD und SPD gegen die Nationalsozialisten. 

Am 15. Februar 1933 wurde Mann gemeinsam mit Käthe Kollwitz und Max Liebermann zum Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste gezwungen. Einige Tage später verließ der Schriftsteller ohne großes Gepäck Deutschland und ging ins Exil nach Frankreich. Nelly Kröger folgte ihm kurz darauf. Als verfemter Dichter wurden seine Bücher in Deutschland von den Nationalsozialisten ins Feuer geworfen und im August wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt.

Im südfranzösischen Exil resignierte Mann jedoch nicht; neben tagespolitischen Texten, die in linksorientierten Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurden, begann er mit der Arbeit an dem zweiteiligen Roman zum Leben und Wirken des französischen Königs Henri IV.: Die Jugend des Königs Henri Quatre (1935) und Die Vollendung des Königs Henri Quatre (1938). Bereits bei seiner ersten Frankreichreise 1893 war Mann auf die faszinierende Lebensgeschichte des französischen Königs gestoßen. Nun entwarf er ein großes Geschichtspanorama der gesellschaftlichen Verhältnisse Frankreichs in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Den historischen Roman mit einer gewaltigen Stofffülle an Ereignissen und Personen nutzte Mann aber auch zur kritischen Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Terrorregime in Deutschland.

1939 heirateten Nelly und Heinrich Mann in Nizza. Als ein Jahr später die Wehrmacht nach der französischen Kapitulation auch nach Südfrankreich vorrückte, flohen die beiden mit anderen Literaten über die Pyrenäen und Spanien nach Portugal, wo sie ab Lissabon mit dem Schiff in die USA gelangten. In New York nahm sie sein Bruder Thomas in Empfang, der bereits 1938 in die USA emigriert war. Im kalifornischen Santa Monica erhielt Heinrich Mann zunächst einen Vertrag als Drehbuchautor bei der Filmgesellschaft Warner Brothers, doch keine seiner Drehbuchideen wurde umgesetzt. Nach Aufkündigung des Vertrages und dem Ausbleiben von Honoraren aus dem Ausland setzten die Geldsorgen ein. Nun musste Nelly als Schneiderin oder Krankenschwester den Familienunterhalt bestreiten; auch der Bruder steuerte monatliche Zuwendungen bei. Nelly kam mit dieser Situation nicht zurecht, sie fing an zu trinken und nahm sich am 16. Dezember 1944 das Leben.

Heinrich Mann, der sich in den USA nie heimisch fühlte, war dennoch schriftstellerisch sehr aktiv. So entstanden die Romane Lidice (1942), Empfang bei der Welt (1945), Der Atem (1949) sowie sein Erinnerungsbuch Ein Zeitalter wird besichtigt (1946). Dazu kamen noch Arbeiten an dem Fragment Die traurige Geschichte von Friedrich dem Großen (1948). Aber keines der Werke wurde in den USA veröffentlicht. Nach Kriegsende wurde Mann von der sowjetischen Besatzungszone (später DDR) umworben – u.a. mit einer Berufung zum Präsidenten der neu gegründeten Akademie der Künste in Ost-Berlin und der Verleihung des Nationalpreises I. Klasse für Kunst und Literatur der DDR. Besonders Johannes R. Becher, der sich als Präsident des neu gegründeten Kulturbundes um die Rückkehr emigrierter Schriftsteller bemühte, versuchte Mann zu überzeugen. Doch wenige Wochen vor seiner geplanten Rückkehr nach Berlin starb Heinrich Mann am 12. März 1950 in Santa Monica/Kalifornien. Die Urne mit seiner Asche wurde 1961 auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin beigesetzt.

Die Verlage feiern den diesjährigen 150. Geburtstag von Heinrich Mann mit zahlreichen Neuerscheinungen; dabei beschränken sich die Print-Ausgaben zumeist auf die beiden Romane Professor Unrat und Der Untertan. Neben den Taschenbuchausgaben der beiden Romane des Insel Verlages überrascht der S. Fischer Verlag mit einer repräsentativen Untertan-Neuausgabe (in grünem Leinen) mit einem umfangreichen (über 200 Seiten) Bild- und Materialienanhang. Die zahlreichen Bild- und Zeitdokumente geben Einblicke in die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte sowie in die zeitgenössische Wirkungsgeschichte des Romans – darunter Aufzeichnungen und Entwürfe zum Untertan, die Mann in drei Notizbüchern festgehalten hatte. In ihrem Nachwort weist die Herausgeberin Ariane Martin darauf hin, dass viele der vorgestellten Dokumente bisher unbekannt oder unveröffentlicht waren und nun neue Informationen bieten. Da der Freundeskreis und auch sein Bruder mit Anregungen und Hinweisen regen Anteil an der Entstehung des Romans nahmen, existiert hierzu auch eine umfangreiche Korrespondenz, von der eine Auswahl in den Anhang aufgenommen wurde. Eine mehrseitige Zeittafel gibt abschließend einen Überblick über die Biografie des Autors.

Der Reclam Verlag hat ebenfalls eine bibliophile Ausgabe des Untertan-Romans vorgelegt, deren Textgrundlage  erstmals seit vielen Jahrzehnten  die von Heinrich Mann autorisierte erste öffentliche Ausgabe von 1918 ist. Der Herausgeber Werner Bellmann hat mit ausführlichen Anmerkungen die geistesgeschichtlichen und politischen Hintergründe aufgeschlüsselt – ergänzt durch einige historische Abbildungen. Es handelt sich dabei um die erste kommentierte Ausgabe des Romans überhaupt. Die umfangreichen Anmerkungen (immerhin über 60 Seiten) sind äußerst hilfreich für das heutige Leseverständnis. Die brisanten, kaiserkritischen Passagen der Handschrift, die für den Vorabdruck in der Zeitschrift Zeit im Bild abgemildert oder gestrichen wurden und in spätere Buchausgaben nie wieder integriert worden waren, werden im Abschnitt Zu dieser Ausgabe (Unterabschnitt Varianten) endlich vollständig wiedergegeben. Die Literaturwissenschaftlerin Andrea Bartl betont in ihrem Nachwort Der Untertan – Klassiker und hochaktuell, dass „Heßling als Paradebeispiel eines feigen Opportunisten bis heute weiter lebt: […] vielleicht buckelt er sich in politischen Parteien auch unserer Gesellschaft nach oben […] vielleicht wird er in der Uferlosigkeit des Internets zum notorischen Nörgler, Querulanten und Verschwörungstheoretiker“. Das i-Tüpfelchen der Ausgabe sind die ganzseitigen Schwarz-Weiß-Illustrationen, mit denen der Filmregisseur, Autor und Illustrator Arne Jysch nicht nur zentrale Szenen und Figuren des Romans sondern auch das Wilhelminische Zeitalter eingefangen hat. (Dieser Abschnitt wurde nach einer Richtigstellung des Herausgebers aktualisiert.)

Die Hörbuch-Verlage liefern ebenfalls ihren Beitrag zum Heinrich-Mann-Jubiläum. Der Leipziger Buchfunk Verlag steuert eine vollständige Lesung des Romans Professor Unrat bei. Bewusst hat man mit der Schauspielerin, Musikerin und Autorin Marina Frenk eine weibliche Sprecherin eingesetzt, der es mit ihrer vielseitigen Stimme gelingt, der Lesung fast einen Hörspielcharakter zu verleihen. Der Audio Verlag hat in seiner Reihe Große Werke. Große Stimmen eine historische Lesung des Romans Im Schlaraffenland. Ein Roman unter feinen Leuten herausgebracht. In der Produktion des Rundfunks der DDR aus dem Jahre 1970 lesen die damals sehr bekannten SprecherInnen Inge Keller (Grande Dame des (Deutschen) Theaters), Norbert Christian, Renate Richter und Hans Oldenbürger unter der Regie von Renate Thormelen.

Das bemerkenswerte Hörbuch Das Gute im Menschen aus dem JUMBO Neue Medien & Verlag dagegen präsentiert Heinrich Mann mit einer Auswahl von sechs Texten als Novellist und Essayist. Im Mittelpunkt stehen dabei die beiden Erzählungen Der Tyrann und Abdankung. In der psychologischen Novelle Der Tyrann aus dem Jahre 1907, die Mann später dramatisierte und in dieser Form hier zu Gehör kommt, empfängt ein kaltblütiger Herzog die junge Raminga. Eine seltsame Begegnung zwischen Liebe und Tod. In der Unterredung zeigt sich der Herzog durchaus menschlich, aber am Ende übergibt er Raminga den Henkern. Die 1905 geschriebene Novelle Abdankung erschien Anfang 1906 im Simplicissimus. Obwohl der Handlungsort eine Schulklasse ist, geht es auch hier um Herrschen, Unterwerfung und Gehorsam. Die unterschiedlichen Texte des Hörbuches werden von Volker Hanisch und Julia Nachtmann gelesen.

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Heinrich Mann: Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen. Roman.
Insel Verlag, Berlin 2021.
252 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783458681335

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Heinrich Mann: Der Untertan. Roman.
Insel Verlag, Berlin 2021.
510 Seiten, 11,00 EUR.
ISBN-13: 9783458681342

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Heinrich Mann: Der Untertan. Roman. Illustriert von Arne Jysch.
Hg. von Werner Bellmann.
Reclam Verlag, Stuttgart 2021.
494 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-13: 9783150113264

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Heinrich Mann: Im Schlaraffenland. Ein Roman unter feinen Leuten. Lesung mit Inge Keller, Norbert Christian, Renate Richter und Hans Oldenbürger.
Der Audio Verlag, Berlin 2021.
1 mp3-CD, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783742418289

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Heinrich Mann: Das Gute im Menschen. Autor, Rebell, Vorreiter. Erzählungen und Essays.
Jumbo Verlag, Hamburg 2021.
2 CDs, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783833743238

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Titelbild

Heinrich Mann: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen. Gesprochen von Marina Frenk.
Buchfunk Verlag, Leipzig 2021.
1 CD, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783868471977

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Heinrich Mann: Der Untertan. Roman.
Große Neuausgabe. Mit einem Nachwort und Materialienanhang von Ariane Martin.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2021.
640 Seiten , 48,00 EUR.
ISBN-13: 9783103970425

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