Im Wettlauf gegen die Zeit

Brisant, spannend und hochaktuell: Mit „Der Solist“ beginnt Jan Seghers eine neue Reihe von Spannungsromanen

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit 2006 schreibt der Frankfurter Schriftsteller, Kritiker und Essayist Matthias Altenburg unter dem Pseudonym Jan Seghers Kriminalromane. Mit Der Solist präsentiert er seinen Leser*innen nun nach sechs Bänden um den Frankfurter Kriminalhauptkommissar Robert Marthaler (2006–2017, teilweise bereits für das Fernsehen verfilmt) einen neuen Helden. Der Mann mit dem Namen Neuhaus – einen Vornamen erfährt man nicht – gehört seit Kurzem zur Berliner Sondereinheit Terrorabwehr (SETA). Die residiert in einer Baracke auf dem Tempelhofer Feld und wurde ins Leben gerufen, damit Pannen wie die bei den NSU-Morden oder beim Attentat am 19. Dezember 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz ein für allemal der Vergangenheit angehören.

Zu Beginn des Romans schreibt man den Spätsommer 2017. Die Bundestagswahl steht unmittelbar bevor und die Gefährdungslage in der Hauptstadt ist begreiflicherweise hoch, als Neumann zu der kleinen Elitetruppe stößt. Als so genannter „Solist“ hat er allerdings noch einen anderen Auftrag als den, an der Terrorbekämpfung mitzuwirken. Auch die eigenen Leute soll er nämlich im Auge behalten, weil die deutschen Sicherheitsbehörden offensichtlich seit geraumer Zeit ein Naziproblem haben.

Kaum ist Neuhaus an seinem neuen Arbeitsplatz angekommen, passieren kurz nacheinander drei Morde an im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Personen. Die Opfer sind ein jüdischer Publizist, eine muslimische Anwältin und ein der CSU angehörender höherer Beamter des Bundesinnenministeriums. Allen drei ging in den letzten Jahren der Ruf voraus, kritische Zeitgenoss*innen zu sein und unnachgiebig für ihre jeweiligen Überzeugungen zu kämpfen. Beide Männer und die sich vor allem um die Probleme muslimischer Frauen kümmernde Juristin waren deshalb angeeckt, wo immer man nur anecken konnte. Mordmotive und potentielle Täter ließen sich demzufolge in jedem einzelnen der Fälle genug finden.

Und doch ist schnell klar, dass die drei Fälle zusammengehören. Stets war die gleiche Waffe im Spiel – eine vor 19 Jahren beim Überfall auf eine Zehlendorfer Postfiliale schon einmal benutzte und danach spurlos verschwundene Pistole. Auch weisen an den Tatorten zurückgelassene und jeweils gleich lautende Bekennerschreiben von einem den Ermittler*innen bis dahin noch unbekannten „Kommando Anis Amri“ auf ein und denselben Täter hin.

Was schließlich die Opfer betrifft, so stellt sich die Frage, ob es allein dem Zufall geschuldet ist, dass man mit einem Juden, einer Muslima und einem Katholiken die Vertreter dreier unterschiedlicher Weltreligionen ins Visier genommen hat, oder ob eine bestimmte Absicht dahintersteckt. Einen Verdächtigen gibt es jedenfalls schon bald. Der in Berlin geborene Philippe Boudia ist Deutsch-Algerier, nennt sich Salah und ist mit Anis Amri, dem einige Tage nach seinem Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Norditalien von Sicherheitskräften erschossenen tunesischen Islamisten, früher regelmäßig um die Häuser gezogen. Die Sicherheitsbehörden hatten den Mann wegen seiner Kontakte zu Angehörigen der islamistischen Szene eine Zeit lang im Visier. Letzten Endes aber glaubten sie, dass er über keine Verbindungen zu relevanten Gefährdern verfügte, und stellten seine Beobachtung ein.

Doch der Tod des Freundes hat Boudia tasächlich radikalisiert. Und so war es für die Hintermänner der Tat ein Leichtes, ihn mit einer Waffe zu versorgen und dergestalt zu indoktrinieren, dass er die Morde schließlich nicht nur wie eine willenlose Marionette ausführte, sondern sich dabei auch noch im Recht fühlte. Aber wer sind Salahs Hintermänner?  Und wie kann man ihnen auf die Spur kommen, bevor sie den nächsten Attentäter auf die Straße schicken?

Seghers‘ neuer Held gleicht seinem Vorgänger Robert Marthaler in mehr als einer Beziehung. Beide sind keine einfachen Menschen, lassen sich nur ungern in die Karten schauen und vernachlässigen ihr privates Leben, wenn ein schwieriger Fall ihre ganze Aufmerksamkeit erfordert. Bei Neuhaus kommt hinzu, dass er zwar einem Team zugeteilt ist, seinen Dienst aber als „Solist“ absolvieren muss. Wenn dringende Aufgaben anliegen, heißt das, dass er allein entscheidet, welche Spur er verfolgt und welche nicht. Nur dem Präsidenten des BKA ist er rechenschaftspflichtig. Das macht ihn unter seinen neuen Kollegen zwar nicht beliebt, hängt aber mit der besonderen Mission, die ihn in die Hauptstadt geführt hat, zusammen: Neuhaus soll nicht nur nach außen, sondern auch nach innen hin ermitteln. Denn der Eindruck, dass die Sicherheitsbehörden immer öfter auf dem rechten Auge blind zu sein scheinen, könnte letztlich auch daraus resultieren, dass man ein Problem mit rechtsradikalen Gesinnungstätern in den eigenen Reihen hat.

Knapp 250 Seiten, auf denen er 22 Kapitel untergebracht hat, benötigt der Autor für seine so brisante wie dramatische und hochaktuelle Geschichte. Wie in einigen anderen Spannungsromanen von deutschen Autor*innen in den letzten Jahren geht es auch in Der Solist letztlich um die unheilvolle Allianz zwischen rechtsnationalen Gruppierungen, ultrakonservativen Politikern und einflussreichen Kräften innerhalb der deutschen Sicherheitsbehörden. Gemeinsam sieht man seine Aufgabe schon lange nicht mehr in der Verteidigung der Demokratie, sondern in deren Verächtlichmachung und langsamen Unterhöhlung.

Dazu ist vor allen den Protagonisten rund um die Partei „Die Aufrechten“ und deren Ehrenvorsitzenden Nikolas Junker – Seghers hat dem Mann ein Profil gegeben, das deutlich an den Ehrenvorsitzenden einer aktuellen Oppositionspartei im Deutschen Bundestag erinnert – jedes Mittel recht, auch die Ausnutzung der Angst vor islamistischen Anschlägen in der Bevölkerung und die perfide Instrumentalisierung ahnungsloser Menschen für fremde Zwecke. Als Neuhaus mit Unterstützung einer türkischstämmigen Kollegin, die von ihren Mitstreitern der Einfachheit halber Grabowski genannt wird und von Anfang an einen guten Draht zu dem ansonsten eher sein Außenseitertum kultivierenden Neuling zu haben scheint, am Ende einem teuflischen Komplott auf die Spur kommt, mit dessen Hilfe sich radikale Vertreter der „Aufrechten“ Stimmen bei der bevorstehenden Bundestagswahl sichern wollen, ist zwar dieser erste Fall für den Frankfurter Ermittler in Berlin gelöst. Der Roman aber enthält genügend lose Fäden, an denen Jan Seghers mit weiteren Bänden anknüpfen könnte.

Titelbild

Jan Seghers: Der Solist.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021.
240 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783498058487

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