Die Tupamaras von Montevideo

In „Der Ursula-Effekt“ erzählt Mercedes Rosende die Geschichte ihrer mit allen Wassern gewaschenen Heldin Ursula López weiter

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Überfall auf einen Geldtransporter am helllichten Tag in Montevideo ist gewaltig schief gegangen. Wie es zu dem Verbrechen kam, wer es plante, dilettantisch durchführte und den Coup letzten Endes gegen den Baum fuhr, konnte man in Mercedes Rosendes Roman Krokodilstränen (2017, deutsche Übersetzung 2019) lesen. Auch darüber, dass eine gewisse Ursula López, in ihrer Kindheit vom Vater schwer misshandelte Übersetzerin mit überaus gut entwickeltem Appetit, durch einen Zufall in die Geschichte hineingeriet und am Ende sogar gemeinsam mit dem etwas hinterwäldlerischen Kleinkriminellen Germán die ganze Beute übernahm, durften sich die Leser des Vorgängerbuches der preisgekrönten uruguayischen Autorin freuen. Aber so einfach lässt man die beiden nicht mit dem Geld davonkommen. Und so sehen sich Ursula und ihr Kumpan alsbald nicht nur im Fadenkreuz der Polizei.

Das ist die Situation zu Beginn von Der Ursula-Effekt. Und die Lage entspannt sich keineswegs, wenn Ursulas Schwester Luz ihr auch noch eine Privatermittlerin auf den Hals hetzt, weil sie argwöhnt, dass die um drei Jahre Ältere nicht nur am Tod des gemeinsamen Vaters, sondern auch an dem ihrer Tante Irene die Schuld trägt. Fortan hat die bereits mit der immer größer werdenden Nervosität Germáns belastete Heldin des Romans zwei Frauen – die von ihrer Schwester bezahlte, sich selbst „Detektiv Jack“ nennende Jaqueline Daguerre sowie die notorisch erfolglose Kommissarin Leonilda Lima – und einen racheschnaubenden Mann mit Verbindungen in die höchsten Kreise Montevideos an ihren Fersen.   

Bei Letzterem handelt es sich um den geschniegelten Rechtsanwalt Doktor Antinucci, der den Überfall auf den Geldtransporter geplant hatte, für die Umsetzung der Aktion aber offensichtlich die falschen Leute anheuerte. Nun ist er seine Millionen erst einmal los, weiß aber zumindest, dass eine gewiefte, nicht unschöne, etwas übergewichtige Frau, die ihm kurz nach dem Überfall schon einmal ein Schnippchen geschlagen hat, hinter der Sache steckt. Ihr die Beute wieder abzujagen, wird fortan für den einen Großteil des Kokainhandels in Montevideo kontrollierenden Mann zur Obsession. Und um sein Ziel zu erreichen, schreckt er vor keiner Missetat zurück.

Der Ursula-Effekt beginnt mit einer Art Prolog, der einen Blick in die Zukunft des noch zu Erzählenden wirft und die Leser bereits ahnen lässt, dass die beiden López-Schwestern durch die hinter ihnen liegenden Ereignisse wieder enger zusammengeschweißt worden sind als sie das in der Zeit seit dem Tod des Vaters je waren. Mitten hinein in eine waghalsige Flucht, mit der Ursula offensichtlich erneut den Nachstellungen des Mannes entkommt, dessen „Augen wie harte Eier“ aussehen und der so streng gläubig wie brutal und rücksichtslos ist, blenden diese ersten beiden Seiten des Romans. Was dann folgt, ist die erzählerische Antwort auf die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass man als Leser mit den López-Geschwistern plötzlich durch einen engen unterirdischen Tunnel kriecht, den 111 Tupamaros im Jahre 1971 gruben, um aus dem Punta-Carreras-Gefängnis mitten in der Hauptstadt Uruguays zu fliehen. Sie ist – wie immer bei Rosende – kompositorisch geschickt angelegt, voller Spannung und Witz und mit der heimlichen Botschaft versehen, dass dem Einfallsreichtum und Esprit von Frauen kaum etwas entgegengesetzt werden kann, schon gar nicht von Männern.

Unterm Strich ist es ein großes, auch literarisch lohnendes Vergnügen, mitzuerleben, wie die 48-jährige Heldin des Romans sich durch die ihr begegnenden Gefahren wandelt. „Ich bin die Frau, die auf einen Anruf wartet, der nicht erfolgt, auf die immer wieder aufgeschobene Veränderung in ihrem Leben, auf ein neues Aussehen, die Frau, die endlich den fetten Schutzpanzer abstreifen und eine andere werden möchte“, heißt es an einer Stelle des Buches. Am Ende ist ihr Leben, das bis dato hauptsächlich aus Warten bestand, ein total anderes geworden und Ursula kann resümieren, dass „nichts und niemand [sie mehr] aufhalten“ kann. Da freilich auch ihr ärgster Widersacher überlebt, besteht durchaus Hoffnung auf einen weiteren Roman um Ursula López, ihren Widersacher Antinucci und den dritten, immer präsenten Helden dieses Kriminalromans, die lebenspralle Stadt Montevideo mit ihren hellen und dunklen Seiten

Titelbild

Mercedes Rosende: Der Ursula-Effekt. Kriminalroman.
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen.
Unionsverlag, Zürich 2021.
288 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783293005761

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