Eva oder Petra, das ist hier die Gretchenfrage

Isabel Rohners Kicherkrimi „Schwarze Petra“ erörtert nicht nur feministische Fragen, sondern brilliert auch mit Witz und Humor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Literaturwissenschaftlerin Isabel Rohner hat nicht nur ihren eigenen Stil, sondern auch ihr eigenes Genre kreiert: den Kicherkrimi. In ihm lässt sie ihre fiktionale Kollegin Linn Kegel an stets neuen Orten ermitteln. Hat die von Rohner erdachte Figur im ersten der bislang vier Romane in ihrer Heimatstadt Köln einE KunstmörderIn dingfest gemacht, so war Linn im zweiten Roman kriminellen Machenschaften in einem Hotel an der spanischen Küste auf der Spur. Im dritten wurde sie von ihrem Verleger zu einer Tagung mit den Größen der deutschen Literaturkritik in den idyllischen Spreewald geschickt, wo sie die Werbetrommel für ihre Romane rühren sollte und es wiederum einen unnatürlichen Todesfall zu beklagen und aufzuklären galt. Mit von der Partie war dabei stets Bettina Heidenreich, Linns beste Freundin.

Auch im neusten Band ist das nicht anders. Linn hat es nun nach Wien verschlagen. Denn die Schriftstellerin in spe des ersten Romans hat sich inzwischen zur Erfolgsautorin entwickelt, die nicht nur Krimis schreibt, sondern sogar ein Bühnenwerk verfasst hat. Dort, in Wien, soll nun ihr Stück Schwarze Petra uraufgeführt werden, und zwar nicht irgendwo, sondern in der weltbekannten Festung.

Von den Vorbereitungen der Aufführung hat Linn allerdings herzlich wenig mitbekommen, denn sie reist erst am Vorabend der Generalprobe an. Schon länger vor Ort ist hingegen Bettina, denn Linns feministische Mitstreiterin hat sich von der Chefin einer Künstleragentur zum „aufsteigenden Stern am Regiehimmel“ des Theaters gemausert und ist für die Inszenierung des Stückes verantwortlich. Wie schon in den früheren Romanen ist sie auch diesmal nicht um prägnante Formulierungen verlegen. Eine Auseinandersetzung darum, dass es ihrer Aufführung an Realismus mangele, beendet sie mit der schlagenden Bemerkung: „Wir machen hier Kunst, keine Abbildung der Realität. Wenn ich mir die reale Welt ansehen will, setze ich mich in eine U-Bahn“.

Zwar wird Linns Stück von einem überaus diversen Ensemble auf die Bühne gebracht, dem eine „sehr attraktive ältere Schwarze, eine junge Asiatin mit Nickelbrille“ und ein etwa dreißigjähriger „ehemalige[r] Travestiestar aus Köln“ mit „nordafrikanischem Einschlag“ angehören. Ja, „sogar die Statisten sind ausnahmslos Black and People of Colour“. Aber „alles dreht sich um das Schicksal einer Weißen“, wie sich Roseanne Cash ärgert, die vor langer Zeit als „erste Schwarze […] in Wien die Odette im Schwanensee tanzen durfte“, selbstverständlich „nur inoffiziell“.

Wie schon in den bisherigen Kicherkrimis tragen auch diesmal etliche der Figuren anspielungsreiche oder auch nur lustige Namen, wie etwa der „ehrgeizige Chef“ der Festung Jonathan Thalheim-Sommer, der eigentlich Sven Meier heißt, „die ebenso ehrgeizige Dramaturgin“ Trina Huhn und der natürlich „nicht minder ehrgeizige[.] Regisseur“ Jean-Claude Porter. Der Pförtner wiederum heißt schlicht Franz Bankl, was ihn allerdings nicht daran hindert, ganz eigene Ambitionen zu hegen, während die Garderobiere Peppi Walzenhuber nicht nur „immer ganz genau weiß, was und wer in der Festung umgeht“, sondern auch ästhetische Beobachtungen anstellt, die sie etwa zu der Erkenntnis führen, dass „[e]s […] niemanden [gibt], der angezogen nicht noch schöner ist als nackend“.

Die Schauspielschülerin Hoshi Takahashi wiederum hat sich ihre Deutschkenntnisse mithilfe von Telenovelas angeeignet und ein „mysteriöser Autor“ namens Matti Johannson hält sich auffällig unauffällig am Rande einer Pressekonferenz auf. Bei dem zwar nicht persönlich anwesenden, aber von einem in Nostalgie schwärmenden langjährigen Mitarbeiter mehrfach erwähnten „Klaus Maria“ wiederum kann es sich zweifellos nur um den ehemals berühmtesten Theaterregisseur Wiens handeln. „[D]ie Amstel“ ist hingegen nicht nur anwesend, sondern sogar für die Hauptrolle von Linns Stück vorgesehen, trägt aber den für eine Frau doch eher ungewöhnlichen Vornamen Vero. Ungewöhnlich ist er nicht nur, weil er selten ist, sondern weil gemeinhin nur Männernamen mit dem Vokal O zu enden pflegen, während für Frauen ein A vorgesehen ist. Übel mitgespielt wurde Linn Kegels Vorname, wurde er doch auf den Plakaten und im Programmheft zu Linu verunstaltet, was allerdings keineswegs ein Versehen war, sondern mit voller Absicht geschah. Überhaupt spielen Namensfragen immer wieder eine bedeutsame Rolle. Insbesondere derjenige der Hauptfigur des Stückes. 

Denn anders als üblich sind Linn und Bettina diesmal in einer wichtigen feministischen Frage uneins. Bettina hat die von der einzigen weißen Schauspielerin des Ensembles verkörperte und allseitig diskriminierte Protagonistin des Stückes ohne Linns Wissen von Eva in Petra umbenannt, was der Autorin des Stückes ganz und gar nicht gefällt. Hinter dem Namensstreit verbergen sich tiefgreifende Differenzen, wird das Stück durch die Umbenennung doch seiner „metaphorische[n] Deutungsebene“ beraubt, wie Linn klagt. Und dies nicht nur, weil der Name Eva erkennbar für die Frau schlechthin steht, sondern vor allem, weil in Linns Text Schwarze Petra überhaupt keine Figur mit dem titelstiftenden Frauennamen vorkommt – und die Protagonistin soll ihn schon gar nicht tragen.

„Das Publikum in der Festung ist mindestens zu neunzig Prozent weiß. Ich wollte, dass die mal einen Abend darüber nachdenken, was Rassismus für sie bedeutet“, argumentiert Bettina und Linn räumt ein, dass es sehr wohl sinnvoll sei, „sich mal vor Augen zu führen, dass Diskriminierung auch andersherum laufen könnte“, also „Schwarze und People of Colour“ eine Weiße diskriminieren. Doch sei das eben „nicht das Thema ihres Stückes“. „Ihr Ansatz“ gehe „über das Thema Rassismus hinaus“. Darum sei die Wendung „Schwarze Petra“ auch nicht auf eine bestimmte Figur zu beziehen. „Weil Frauen im Patriarchat immer die Arschkarte gezogen haben“, handele es sich bei ihr vielmehr um die „Steigerung vom Schwarzen Peter“. Karte und Spiel heißen in England übrigens Old Maid, klärt Linn Bettina auf. Mit der „Schwarzen Petra“ habe sie „vor allem eine Allegorie auf den omnipräsenten Sexismus schaffen“ wollen. Da spiele es „erst mal keine Rolle“, „[o]b Eva weiß, schwarz oder Jüdin ist“, „[d]ie Ungerechtigkeiten passieren ihr, weil sie eine Frau ist“. Bettina hält Linns Argumenten jedoch entgegen: „Nur weil die Figuren in deinem Text keine Hautfarben haben, heißt das nicht, dass sie keine Hautfarben haben“. Wie Linn erkennt, hat sie damit „durchaus einen Punkt getroffen“. Beilegen können die beiden Feministinnen ihre Kontroverse fürs Erste dennoch nicht.

Unabhängig davon geht die Generalprobe auch nicht so über die Bühne wie eigentlich gedacht. Denn die Hauptdarstellerin betritt dieselbe nicht wie vorgesehen, sondern sinkt plötzlich mit blutigen Füßen und einer Halskette aus Würstchen ‚geschmückt’ vom Schnürboden herab.

Wie es sich für einen feministischen Kicherkrimi gehört, werden nicht nur der nahezu allgegenwärtige Sexismus angeprangert und Kontroversen innerhalb der feministischen Community ausgetragen sowie Verbrechen aufgeklärt, es gibt auch immer wieder etwas zum Schmunzeln. Und nicht selten wird all das sogar miteinander verbunden. Besonders lustig ist etwa ein Gespräch zwischen Linn und Herrn Bankl über die Konstruktion oder Nicht-Konstruktion von Geschlecht. Dass Österreich noch nie eine Bundespräsidentin hatte, werde sich „ganz schnell ändern“, „[s]obald auch Männer Österreicherinnen sein können“, meint der Pförtner. Mit Fremdwörtern steht er hingegen auf Kriegsfuß, was zu dem einen oder anderen Kalauer führt und einmal mehr zeigt, dass Leute, die keine Fremdwörter beherrschen, die Konferenzen ziehen sollten. Andere Wörter wie das „Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom“ bekommen hingegen eine vollkommen unerwartete und neue Bedeutung.

Und wenn eine der Figuren erklärt, es gelte, „sich den Hass zu bewahren – um des Friedens willen“, dann erinnert dieses Paradoxon an die Dialektik in der Bienenfabel des niederländischen Nervenarztes und Satirikers Bernard Mandeville, der zufolge individuelle Tugenden dem Gemeinwohl schaden, während ihm private Laster Vorteile bringen. Doch stechen nicht nur Parallelen zu ehedem provozierenden Texten aus der Gedankenwelt der Philosophie des frühen 17. Jahrhunderts ins Auge, sondern auch Anspielungen aus verschiedenen Bereichen der Alltags- und Unterhaltungskultur. Wenn sich in einer lateinamerikanischen Telenovela Diego und Mirabella ineinander verlieben, lässt das beispielsweise sofort an die Selbstverliebtheit eines argentinischen Fußballstars denken.

Nun steht zwar nicht der Kriminalfall im Mittelpunkt des Romans, sondern die misogynen Gepflogenheiten und der Genderbias im Theaterbetrieb, mithin also der individuelle und strukturelle Sexismus, doch wird natürlich auch das an Vero Amstel begangene Vergehen aufgeklärt und es stellt sich heraus, dass es sich nicht um ein Kapitalverbrechen handelt, die üble Tat also nicht aus finanziellen Gründen begangen wurde. Doch nicht nur, wer sie vollbracht hat, auch ob sich Linn und Bettina in der Namensfrage Eva oder Petra doch noch einigen können, werden die Lesenden im Laufe der Lektüre erfahren. Und sogar, was der, oder doch zumindest ein „Unterschied zwischen Männern und Frauen“ ist. 

Zwar ist es immer bedauerlich, wenn ein Kicherkrimi von Isabel Rohner ausgelesen ist. Aber nachdem nunmehr bereits der vierte erschienen ist, dürfte wohl berechtigte Hoffnung auf weiteren Nachschub bestehen. Und da die letzten Bände im Jahresrhythmus erschienen sind, ist vielleicht sogar schon in Kürze mit einem weiteren Band zu rechnen.

Titelbild

Isabel Rohner: Schwarze Petra.
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2022.
208 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-13: 9783897414587

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