„Künstler-Köpfe“: Billy Holiday und Wisława Szymborska

Von Simone FrielingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Frieling

Billy Holiday

Ihre Stimme wie zitterndes Glas,
ihr Leben
in unzählige Splitter gebrochen.
Ihre Würde
zertreten,
 in billigen Bordells.

Die sie liebte,
richteten sie zugrunde
und kalkulierten dabei den Gewinn.
Die eigenen Leute waren die schlimmsten.
Dann kam der Staat:
die Behörden,
die Polizei.

Das Kind,
nach dem sie sich sehnte,
blieb aus.
Eine Adoption wurde ihr verweigert.
Sie war ein Mensch ‚Zweiter Klasse‘:
Das war in Stein gemeißelt.

Nur
wenn sie sang,
veränderte sich alles:
Auf einmal war die Welt
weit und freundlich,
der Schmerz erträglich,
ein schönes Antlitz
das Leid.

Manchmal ist es schlimmer, einen Kampf zu gewinnen, als ihn zu verlieren.

 

Wisława Szymborska

Auch sie war einmal jung,
aber das Alter stand ihr am besten.
Große Irrtümer wichen den kleinen.
Die getrübten Augen
wurden langsam klar,
wussten am Ende mehr von der Welt
als die forschen der Jugend.

In ihren Augen nistete sich der Schalk ein.
Sie wurde
von Jahr zu Jahr heiterer.
Genoss
 hundert Freuden,
besonders die eigenen Schwächen:
 beim Genuss einer Zigarette
die Winkelzüge der Menschen
zu beobachten.

Aber
ihre Feder
saß auf spitzer Zunge.
Nichts blieb ihr verborgen.
Über einen möglichen Abgrund
spannte sie
fröhlich
feine Fäden der Ironie.

Als ich noch glaubte, alles oder fast alles zu wissen und zu verstehen, war ich im Grunde wehrloser und innerlich unsicherer als heute, da ich das, was ich bestimmt weiß, an den Fingern einer Hand abzählen kann.     

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Die beiden „Portraits in Bild und Wort“ erscheinen am 1. September 2022 im Rahmen eines gedruckten Buches im Verlag LiteraturWissenschaft.de .