Interviews, Doppelbiografie, Lai-tu und Berlin

Der 125. Geburtstag von Bertolt Brecht wird mit einigen Neuerscheinungen gewürdigt

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bertolt Brecht, geboren am 10. Februar 1898 in Augsburg, war einer der einflussreichsten deutschen Dramatiker und Lyriker des 20. Jahrhunderts. Er gilt als Mitbegründer und maßgeblicher Theoretiker des sogenannten epischen Theaters. Bis heute werden seine zahlreichen Stücke auf den Theaterbühnen gezeigt und seine Gedichte wurden in fast alle Sprachen der Welt übersetzt. Sein Geburtstag jährt sich in diesem Jahr zum 125. Mal und das Jubiläum wird mit einigen Neuerscheinungen gewürdigt.

Seit Jahren publiziert der Suhrkamp Verlag sämtliche Notiz- und Adressbücher Bertolt Brechts. Als Scans werden alle beschriebenen Blätter abgebildet und ihnen eine genaue Transkription als Lesehilfe zur Seite gestellt. Ein ausführlicher Stellenkommentar erschließt wichtige Hintergründe und rekonstruiert Brechts Schreibprozess. Im August 2023 erscheint Band 6 (1927-29) der auf 14 Bände angelegten Edition.

Pünktlich zum Brecht-Jubiläum ist dagegen der Band Unsere Hoffnung heute ist die Krise erschienen, der 91 größtenteils bisher unbekannte Interviews des Dichters versammelt. Brechts erstes Gespräch mit einem Pressevertreter stammt vom Februar 1926. Doch das Interview mit dem italienischen Journalisten Raimondo Collino Pansa war ein Fehlschlag, sodass Collino Pansa davon nur in einer Kolumne berichtete. Ein Vierteljahr später interviewte die polnische Kritikerin Regina Reicherówna den jungen Brecht. Thema war das moderne Theater, von dem Brecht forderte, dass es sich „eigene Schauspieler und ein eigenes Publikum heranziehen“ müsste. Für die Zeitschrift Wiadomości Literackie (dt. Literarische Nachrichten) führte Reicherówna später auch noch Gespräche mit Alfred Döblin, Bernard Kellermann, Jakob Wassermann und – offenbar auf Brechts Empfehlung – mit Gottfried Benn.

Mit Ausnahme seiner schriftstellerischen Anfänge in Augsburg und München gab Brecht in jeder Phase seiner Karriere Interviews, die der Herausgeber Noah Willumsen in die vier Wirkungsbereiche Brechts unterteilt hat: Berlin (1926-1932), Exil (1933-1947), Wiederkehr (1947-1949) und DDR (1949-1956). Die Gespräche während der Weimarer Republik zeigen oft einen streitsüchtigen Dichter, der sich der Wirkung der journalistischen Befragung durchaus bewusst ist: „Ich werde mich an allen Umfragen beteiligen, von der Qualität einer Zahnpasta bis zu politischen Problemen. Alle Umfragen sind mir lieb, gleich lieb!“ Das sogenannte „Dreiergespräch“ (15. April 1928) zwischen Bertolt Brecht, dem Theaterleiter Richard Weichert und dem bekannten Kritiker Alfred Kerr war eines der herausragenden Medienereignisse der Weimarer Republik. Durch die spontane Improvisation der Rede und Gegenrede war die „Disputation zwischen bedeutenden Fachleuten“ ein echtes Interview, in dem sich Brecht wiederum vehement für das „neue Theater“ einsetzte, das keine „bloße Amüsierbude“ sein sollte. Auch in dem Interview vom 11. Januar 1929 mit Ernst Hardt, Herbert Ihering und Fritz Sternberg verteidigte Brecht seine Ansichten und wies darauf hin, dass das epische Theater keine Erfindung des 20. Jahrhunderts sei. China und Indien pflegten diese moderne Form schon vor 2000 Jahren.

Das erste Interview im Exil (30. Juli 1933) führte Brecht mit dem dänischen Komponisten und Musikjournalisten Helge Bonnén; hier schilderte er die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Komponisten seiner Werke. Zahlreiche Interviews der Exiljahre wurden anlässlich der amerikanischen Inszenierungen seiner Werke (Dreigroschenoper, Die Mutter und Leben des Galilei) geführt. Das letzte Interview in den USA (21. Juli 1947) mit der Theater- und Filmkritikerin Virginia Wright war dann das erste Lebenszeichen von Brecht, das im Nachkriegsdeutschland wahrgenommen wurde.

Nach seiner Rückkehr nach Europa wollte sich Brecht zunächst ein Bild von der geistigen, artistischen und technischen Situation der deutschen Bühnen verschaffen, wie er in einem Interview 1947 bekannte, das noch in den USA geführt wurde, aber in der Schweizer Zeitschrift Die Tat erschien. Als Brecht selbst in der Schweiz ankam, nahmen Presse und Rundfunk kaum Notiz davon. Erst langsam interessierten sich die Lokalzeitungen für den Besucher, der hier jedoch nicht heimisch wurde. Auch seine Stücke stießen in der Schweiz kaum auf Resonanz.

Die knapp vierzig Interviews zu DDR-Zeiten füllen einen Großteil der Neuerscheinung. Darunter acht Interviews und Pressekonferenzen, die er während der Gastauftritte des Berliner Ensembles 1954 und 1955 in Paris gab und die ihm erstmalig eine globale Reichweite verschafften. Während einer Polenreise (mit Helene Weigel) 1952 kam es zu einem Zusammentreffen mit dem Kritiker Marcel Reich-Ranicki, der sich u.a. über das Theaterleben in der DDR erkundigte. Im Mittelpunkt des „1949-1956“-Kapitels steht ein inoffizielles west-östliches Kulturgespräch im Westberliner Hotel „Sachsenhof“ im Dezember 1954, an dem von DDR-Seite auch Brecht teilnahm. Unter der Leitung des DDR-Kulturministers Johannes R. Becher wurde über die Probleme des Gesamtberliner Kulturlebens diskutiert; doch mit teilweise persönlichen Anschuldigungen offenbarten sich hier die unterschiedlichen Ansichten. Das wohl letzte Interview mit Brecht (27. oder 28. Juni 1956) führte der englische Kritiker Ronald Hayman, der schon zwei Brecht-Monographien vorgelegt hatte. Das wenig aufschlussreiche Interview erschien aber erst ein Vierteljahr nach Brechts Tod. Seltsamerweise hat Hayman dieses Treffen in seiner eher „feindseligen“ Biografie Bertolt Brecht – Der unbequeme Klassiker (1983) nicht erwähnt.

In seinem Nachwort Ich entstehe in der Form einer Antwort beleuchtet Willumsen Brechts Medienpraxis. Seine Verschlossenheit wie auch seine Bekleidung (Leder- bzw. Drillichjacke), mit der er seine Ablehnung des Bürgerlichen zum Ausdruck brachte, sorgten immer wieder für Verwirrung unter den Interviewern. Vorrangig wurden seine Werke und Inszenierungen in den Interviews und Gesprächen diskutiert, aber stets eingebunden in seinen Lebens- und Schaffensprozess. So sind die Interviews auch als Biografie lesbar. „Jedes Gespräch ist selbst ein (zumeist vergessenes) historisches Ereignis“, so der Herausgeber, der sich auch mit dem Prozess der Verschriftlichung der Interviews und Gespräche auseinandersetzt. Daneben gibt es aber auch unzählige weitere Gespräche mit Brecht, die zeitnah in Gedächtnisprotokollen, Stenogrammen oder sogar Tonaufnahmen festgehalten wurden. Neben zahlreichen Anmerkungen wird jedes Interview außerdem durch Informationen zu dem jeweiligen Interviewer ergänzt.

Der Leiter der Brecht-Forschungsstätte Augsburg Jürgen Hillesheim hat zum Brecht-Jubiläum die Doppelbiografie Lotte Lenya und Bertolt Brecht vorgelegt. Dabei hat er trotz spektakulärer Unterschiede überraschende Gemeinsamkeiten festgestellt. Auf der einen Seite Brecht, einer der bedeutendsten Dramatiker und Theatertheoretiker des 20. Jahrhunderts, auf der anderen Seite Lotte Lenya, die außergewöhnliche Sängerin und Schauspielerin.

Das gemeinsame Geburtsjahr 1898 ist nur der Startpunkt für die beiden Lebensläufe, die sich dann parallel entwickelten. Zunächst werden die ersten beiden Lebensjahrzehnte von Brecht und Lenya getrennt beleuchtet. Brecht wuchs zwar in einem bürgerlichen Elternhaus auf, doch eine intakte Familie gab es nicht. Bereits mit 14 Jahren fasste er den Entschluss, ein großer Dichter zu werden. In diesem frühen Alter suchte er schon Freunde und Bewunderer als Publikum für seine ersten literarischen Gehversuche. Als Jugendlicher hatte er zahlreiche Liebschaften, eine „verworrene und komplexe Gemengelage“, wie es Hillesheim nennt. Der „Bürgerschreck“ Brecht verfasste erste Stücke, z.B. das Drama Trommeln in der Nacht, das 1922 in München uraufgeführt wurde und für das Brecht mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet wurde. Damit war der erst 24-Jährige einer der bekanntesten deutschen Dramatiker.

Lotte Lenya (eigentlich Karoline Blamauer) wuchs dagegen in einem Wiener Arbeiterviertel in ärmlichen Verhältnissen auf. Im Gegensatz zu Brecht sind ihre Kindheit und Jugend unzureichend dokumentiert. Die Mutter war Waschfrau, der Vater ein alkoholkranker Kutscher. Mit 15 Jahren kam das Mädchen, das von einer Schauspielausbildung träumte, zu einer kinderlosen Tante in Zürich. Hier nahm Karoline Ballettunterricht und schon bald gehörte sie zur Züricher Boheme. Doch 1921 ging sie nach Berlin, wo sie den Künstlernamen „Lotte Lenja“ (später Lenya) annahm. 1924 lernte sie den Komponisten Kurt Weill kennen und aus der Zusammenarbeit wurde schnell eine Liebesbeziehung. Zwei Jahre später heirateten sie das erste Mal (nach der Scheidung 1933 heirateten sie 1937 in den USA ein zweites Mal). 1927 lernte das Ehepaar schließlich Bertolt Brecht kennen und es entwickelte sich eine erfolgreiche Zusammenarbeit (Mahagonny und Dreigroschenoper). Ausführlich schildert Hillesheim, wie das Dream-Team des epischen Theaters der 1920er Jahre um jedes Detail der beiden Opern stritt. Ständig Veränderungen und neue Fassungen. Das Resultat: Die Dreigroschenoper wurde der größte Bühnenerfolg der Weimarer Republik.

Unmittelbar nach dem Erfolg machte man sich an die Vermarktung (vor allem Brecht), der Lebensstandard des Trios stieg, aber auch die politische Instabilität im Deutschen Reich. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme mussten Lenya, Brecht und Weill ins Exil gehen, deren einzelne Stationen vom Autor kurz veranschaulicht werden. Nach Kriegsende versuchte jeder, die Karriere fortzusetzen. Brecht kehrte 1949 nach Deutschland (Ost-Berlin) zurück und konnte am neugegründeten Berliner Ensemble seine Vorstellungen von Theater erproben. Weill starb bereits 1950 in New York. Für Lotte Lenya ein schwerer Verlust, doch sie entschied sich weiterhin für ein Leben in den USA. Mit Erfolg konnte sie hier eine neue künstlerische Identität als Sängerin aufbauen. Im April 1955 reiste sie mit ihrem zweiten Ehemann George Davis nach über zwanzig Jahren das erste Mal wieder nach Europa – nicht zuletzt, um Brecht zutreffen. Zu einer Zusammenarbeit kam es jedoch nicht mehr: Brecht starb ein Jahr später. Mit zahlreichen Funk- und Schallplattenaufnahmen trug Lenya in den folgenden Jahren zur Wiederverbreitung der Brecht/Weillschen Werke in Deutschland und Europa bei. Sie starb 1981 in New York.

Hillesheim gelingt es mit seiner Doppelbiografie, die in weiten Teilen eine Dreifachbiografie ist, die Lebensläufe der drei Künstlerpersönlichkeiten anschaulich und anhand zahlreicher bislang unveröffentlichter Dokumente zusammenzuführen und überraschende Gemeinsamkeiten und grundlegende Unterschiede darzustellen.

Der Beitrag des Eulenspiegel Verlages zum Brecht-Jubiläum ist eine erweiterte Neuausgabe des Titels Brechts Lai-tu, der bereits 1987 im Verlag und zwei Jahre zuvor bei Luchterhand erschienen war. Lai-tu, so nannte Brecht seine langjährige Mitarbeiterin und enge Vertraute Ruth Berlau (1906-1974). Im Sommer 1933 begegnete die dänische Schriftstellerin und Schauspielerin erstmals Brecht, der mit seiner Frau Helene Weigel nach Dänemark geflohen war. Zwei Jahre später war sie seine Geliebte. Von nun an war sie voll integriert in Brechts Stab von Mitarbeiterinnen. Sie organisierte den Alltag, fotografierte die Proben und Aufführungen, schrieb und inszenierte seine Dramen. Als Brecht über Schweden, Finnland und die Sowjetunion in die USA floh und nach dem Krieg nach Deutschland zurückkehrte, war Ruth Berlau immer dabei. Zurück in Deutschland, gründeten Weigel und Brecht 1948 das „Berliner Ensemble“. Berlau, die sich zu einer bedeutenden Theaterfotografin entwickelt hatte, wurde mit dem Aufbau eines Archivs betraut. Nach Brechts Tod 1956 wurde es still und einsam um sie und 1974 kam sie bei einem Schwelbrand in ihrer Wohnung ums Leben.

Hans (Hans-Joachim) Bunge (1919-1990), der Anfang der 1950er Jahre in Greifswald Germanistik und Theaterwissenschaften studiert hatte, wurde auf Vermittlung von Berlau zunächst Regie- und Dramaturgieassistent am Berliner Ensemble und leitete später das Bertolt-Brecht-Archiv. Dabei konnte er zahlreiche Interviews mit Mitarbeitern des Ensembles (u.a. mit Hanns Eisler, Paul Dessau, Therese Giehse, Helene Weigel und Bertolt Brecht) führen und diese teilweise auf Tonbändern aufzeichnen. Bunge gelang es auch, Berlau ihre Erinnerungen abzuverlangen. Zwischen Mitte September und Mitte Oktober 1959 erzählte sie in sieben Sitzungen ihre Lebensgeschichte in Form eines Interviews. Daneben berichtete sie auch von ihrer Arbeit mit Brecht, den Werken, an denen sie saßen, und der Praxis am Theater.

In der Buchausgabe hatte Bunge dann seine Fragen gestrichen, um eine durchgängige Erzählung zu erreichen. Berlau hatte volles Vertrauen zu ihm und ließ ihm freie Hand bei der Redaktion und Niederschrift. Da Bunge „das gute Recht jedes Memoirenschreibers, seine Geschichte so zu erzählen, wie sie in seiner Erinnerung lebt“, akzeptierte, stellte er auch keine Irrtümer richtig. So hatte Berlau drei Jahre nach Brechts Tod sicher auch manches verschwiegen. Doch in seinem Nachwort betonte Bunge ausdrücklich Berlaus große Wahrheitsliebe: „Dass sie sich selbst nicht schonte, wird man in diesem Buch finden.“

Die Neuausgabe erscheint beträchtlich erweitert durch einen kommentierenden Anhang, der auch weitere Dokumente enthält. So beleuchtet der Herausgeber und Leiter der Arbeitsstelle Bertolt Brecht (ABB) am Karlsruher Institut für Technologie Jan Knopf neben einer Chronik mit den wichtigsten Lebensdaten von Ruth Berlau auch den Fachterminus „Bio-Interview“, der in der Literaturwissenschaft bisher unbekannt ist. In seinem Nachwort Arbeiten mit Brecht würdigt er ausdrücklich Berlaus Beitrag beim Aufbau des Bertolt-Brecht-Archivs.

Der reich illustrierte Band Brechts Berlin von Michael Bienert erschien zwar schon vor fünf Jahren zum 120. Geburtstag des Dichters, da der Titel aber auf literaturkritik.de noch nicht vorgestellt wurde, soll das neuerliche Jubiläum dazu genutzt werden. Seit vielen Jahren lädt der Publizist und Kulturwissenschaftler Bienert zu literarischen Spaziergängen durch Berlin auf den Spuren von Kleist, Fontane, Keun, Döblin oder Kästner ein. Zuletzt machte er mit den literarischen Schauplätzen des aufgeklärten Berlins bekannt. 2018 hatte sich der „Berlinologe“ Bienert auf die Brecht-Spurensuche in Berlin gemacht. Es war aber nicht seine erste Beschäftigung mit dem Dichter. Bereits 1998 (zum 100. Brecht-Geburtstag) hatte er mit Mit Brecht durch Berlin seine Erkenntnisse in einem Insel-Taschenbuch veröffentlicht, das sich weitgehend an Brechts schriftstellerischer und dramaturgischer Arbeit in Berlin orientierte. In seinem neuen Buch wurden die Leser*innen nun in die Spurensuche eingebunden.

Im Februar 1920 reiste Brecht zum ersten Mal nach Berlin, um mit Verlagen und Theatern zu verhandeln. Ab 1924 war Berlin für Brecht mit mehreren Unterbrechungen (nicht zuletzt 1933-1949 durch das Exil) bis zu seinem Tod 1956 sein Lebensmittelpunkt und der Wirkungsort seines künstlerischen Schaffens. Zunächst kommt Brecht auf dem Buchumschlag selbst zu Wort mit einer Geschichte vom Herrn Keuner:

Herr Keuner zog die Stadt Berlin der Stadt Augsburg vor. In der Stadt Augsburg, sagte er, liebte man mich; aber in der Stadt Berlin war man zu mir freundlich. In der Stadt Augsburg machte man sich mir nützlich; aber in der Stadt Berlin brauchte man mich. In der Stadt Augsburg fand man, dass ich gut sprach; aber in der Stadt Berlin verstand man, was ich sagte. In der Stadt Augsburg bat man mich an den Tisch; aber in der Stadt Berlin bat man mich in die Küche.

Bienert teilt Brechts Berlin-Schauplätze in „Westen“ und „Osten“ ein. Im Westteil der Stadt wohnte Brecht ab 1924 bis zu seiner Emigration im Februar 1933 an verschiedenen Adressen. Der Ostteil der Stadt war dann sein Lebensmittelpunkt nach der Rückkehr aus den USA (über Zürich und Salzburg) in die DDR. Die „westlichen“ Erkundungsstationen sind meist Brechts frühe Wohnadressen – u.a. Spichernstraße 16, Hardenbergstraße 1a oder Leibnizstraße 108. Die Gebäude sind jedoch alle zerstört; am Neubau in der Spichernstraße ist aber eine Gedenktafel angebracht. Die wichtigste Wohnadresse im Ostteil der Stadt ist die Chausseestraße 125 in Berlin-Mitte, wo Brecht mit Helene Weigel von 1953 bis zu seinem Tod wohnte (Weigel bis zu ihrem Tod 1971). Heute können in dem „Brecht-Haus“ bei Führungen einige Räume im Originalzustand besichtigt werden.

Zwischen den beiden Teilen führt Bienert zu den Theaterstätten, in denen Brecht während seiner Berliner Zeit wirkte. 1928 feierte er mit der Dreigroschenoper im Theater am Schiffbauerdamm einen seiner größten Erfolge. Seit 1954 ist das Haus Spielstätte des 1949 von Helene Weigel und Bertolt Brecht gegründeten Berliner Ensembles. Andere Wirkungsstätten waren das Deutsche Theater, die Volksbühne oder die ehemalige Piscatorbühne am Nollendorfplatz. Natürlich fehlen in dem Band auch nicht Ausflüge zu den Brecht-Pappeln am Karlsplatz, zum Müggelsee (Drehort des Filmes Kuhle Wampe, für den Brecht das Drehbuch schrieb) oder zum Brecht-Weigel-Haus ins märkische Buckow.

Bienert verknüpft seine äußerst informative Spurensuche mit Adressen, Zitaten, zahlreichen historischen Fotografien und Fundstücken aus Brechts Nachlass, sodass daraus auch eine spannende Entdeckungsreise in die Literatur- und Kunstgeschichte Berlins geworden ist.

Neben diesen Neuerscheinungen würdigen auch zahlreiche Veranstaltungen den 125. Geburtstag des Dichters. In seiner Geburtsstadt Augsburg beginnt das Brechtfestival in diesem Jahr genau am 10. Februar, unter anderem mit einem abendlichen Festbankett. Ab Februar startet in Brechts Geburtshaus ein „Artists in Residence“-Programm. Erster Gast ist in Anlehnung an Brechts eigene Exil-Erfahrung die Moskauer Theaterregisseurin Anastasia Patlay, die sich derzeit in Spanien im Exil befindet. Zudem wird in diesem Jahr mit der Sanierung des Museums im Brechthaus begonnen. Ziel ist die Wiedereröffnung mit neugestalteter Ausstellung zum 70. Todesjahr Brechts 2026. Das Staatstheater Augsburg veranstaltet ab dem 4. Februar eine Festwoche unter dem Titel „Bier mit Bert“. Am 20. April vergibt die Stadt Augsburg dann den Bertolt-Brecht-Preis, der alle drei Jahre an Persönlichkeiten verliehen wird, die sich in ihrem literarischen Schaffen durch die kritische Auseinandersetzung mit der Gegenwart auszeichnen.

Im Berliner Ensemble findet vom 10. bis 12. Februar ein Brecht-Wochenende statt. Auf dem Programm stehen drei Brecht-Inszenierungen aus dem Repertoire, der inszenierte Audioworkshop „Brecht to go“ auf dem Bertolt-Brecht-Platz sowie ein Thementag mit drei Podiumsdiskussionen zur Aktualität von Brechts Denken. Das Berliner Literaturforum im Brecht-Haus würdigt das Jubiläum mit einer Feierstunde, mit Sonderführungen durch das Brecht-Weigel-Museum sowie Gedichten und Liedern, vorgetragen von Schauspiel-Studierenden. Am Vorabend findet im Plenarsaal der Akademie der Künste am Pariser Platz die Vorstellung des Sonderpostwertzeichen und der Sondermünze zum 125. Geburtstag des Dichters sowie die Buchpräsentation Bertolt Brecht: Unsere Hoffnung heute ist die Krise. Interviews 1926–1956 statt.

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Bertolt Brecht: »Unsere Hoffnung heute ist die Krise«. Interviews 1926-1956.
Herausgegeben von Noah Willumsen (suhrkamp taschenbuch 5159).
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023.
750 Seiten , 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783518471593

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Jürgen Hillesheim: Lotte Lenya und Bertolt Brecht. Das wilde Leben zweier Aufsteiger.
Mit 40 s/w-Abb.
wbg Theiss, Darmstadt 2022.
304 Seiten , 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783806245356

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Michael Bienert: Brechts Berlin. Literarische Schauplätze.
Mit 195 Illustrationen.
Quintus-Verlag, Berlin 2018.
200 Seiten , 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783947215270

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Hans Bunge: Brechts Lai-tu. Erzählt von Ruth Berlau, aufgeschrieben von Hans Bunge.
Mit Abbildungen. Hg. von Jan Knopf.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2023.
384 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783359030324

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