Die Gewohnheiten und Rituale der Schreibzunft

Alex Johnson gibt mit seinem neuen Buch „Schreibwelten“ Einblicke in die Schreibgewohnheiten von Schriftsteller*innen

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Friedrich Schiller ist ja bekannt, dass er sich durch faule Äpfel in der Schreibtischschublade inspirieren ließ, Honoré de Balzac war bekannt für seinen exzessiven Kaffeekonsum, während Gustave Flaubert in der Wohnung oder im Garten regelrecht brüllte, um den richtigen Satzklang zu finden. Der britische Journalist und Autor Alex Johnson führt uns mit seinem neuen Buch in die Schreibwelten international bekannter Schriftsteller*innen, macht die Leser mit deren Geheimnissen und Gewohnheiten bekannt, die manchmal wie persönliche Macken wirken.

So deponierte die Schriftstellerin Margaret Mitchell die einzelnen Kapitel ihres Bestsellers Vom Winde verweht in Briefumschlägen, die sie vor neugierigen Augen in der ganzen Wohnung versteckte – im Wäscheschrank, unter den Fußbodendielen oder sie wurden zum Abstützen einer wackeligen Couch zweckentfremdet. Ray Bradbury fand für seinen Roman Fahrenheit 451 einen ablenkungsfreien Arbeitsplatz im Keller der Universitätsbibliothek, Mark Twain verkroch sich in seiner Gartenlaube, die jedoch mit Katzenklappen versehen war, damit seine Lieblinge ein- und ausgehen konnten. Überhaupt waren tierische Hausgenossen bei vielen Autor*innen hoch willkommen. Nicht selten wurde ihnen sogar die Rohfassung der Texte vorgelesen. Doch mitunter gab es auch Ärger. So fraß John Steinbecks geliebter Irish Setter bedauerlicherweise die Hälfte seines Entwurfs für Von Mäusen und Menschen.

George Orwell schottete sich für seinen Roman 1984 auf einer kleinen Hebrideninsel ab und Victor Hugo verkroch sich während seines Exils in England in ein Schreibzimmer im Dachgeschoss mit einem Fenster zur Seeseite – an klaren Tagen mit Sicht bis nach Frankreich. Isabel Allende hatte ganz unterschiedliche Schreibheiligtümer – vom umgebauten Wandschrank bis zum Poolhaus mit eigenem Bad. Andere brauchten die absolute Stille und Abgeschiedenheit nicht. J.K. Rowling suchte beim Schreiben ganz bewusst Gesellschaft und so entstanden die ersten Bände ihrer Harry-Potter-Reihe in Edinburgher Cafés. Auch Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir fanden im Kaffeehaus Inspiration. Gertrude Stein liebte beim Schreiben sogar den Straßenlärm und der Japaner Haruki Murakami hörte nebenbei Jazzmusik.

Viele Schriftsteller*innen hatten eine strenge Tagesordnung. Jack London schrieb meistens schon früh ab fünf Uhr, wenn möglich unter freiem Himmel. James Baldwin dagegen liebte den Zauber der Nacht; er machte sich erst nach dem Abendessen ans Werk und hörte vor vier Uhr morgens nicht auf. Andere gaben sich ein genaues Arbeitspensum vor. Während sich Graham Greene gerade einmal 500 Wörter pro Tag als Ziel setzte, waren für Frederick Forsyth 3000 Wörter das Minimum.

Bei der Wahl der Schreibutensilien waren die meisten ebenfalls sehr eigen. Henry James fand das Klappern der Schreibmaschine anregend. Für Rudyard Kipling war die Tinte das A und O, er bestand auf der schwärzesten Tinte, die zu haben war. Jane Austen stellte ihre Eisengallustinte selbst her. John Steinbecks Muss auf dem Schreibtisch waren dagegen Bleistifte, und zwar in rauen Mengen. Natürlich spielten auch die Sitzmöbel eine große Rolle – vom bequemen Rohrsessel bis zum harten Sitzbock, den Johann Wolfgang von Goethe gelegentlich benutzte. Nicht wenige Autor*innen schrieben gern im Liegen oder gleich im Bett, wie Marcel Proust, Truman Capote oder Edith Wharton. Auch Ernest Hemingway bevorzugte das Schlafzimmer, das mit Jagdtrophäen ausgeschmückt war. Nach getaner Arbeit (!) genehmigte er sich dann meist mehrere Martini Cocktails. Viele Werke der Weltliteratur verdanken wir dem Alkohol, denken wir nur an Charles Baudelaire, Dylan Thomas, Hans Fallada oder Charles Bukowski. Vielfach war der Alkohol aber nur ein Mittel, die Angst vor dem Versagen zu besänftigen.

Auch Kriminalautor*innen hatten mitunter ganz eigene Vorlieben. So kamen Agatha Christie, die nie ein bestimmtes Arbeitszimmer besaß, die besten Ideen beim Geschirrspülen. Stephen King litt jahrelang unter Schreibblockaden an einem übergroßen Schreibtisch. Erst als er sich von dem Riesending trennte, kehrte die Kreativität zurück. Da Sherlock Holmes-Autor Arthur Conan Doyle oft auf Reisen war, besaß er einen Kofferschreibtisch – außen ein gewöhnlicher Schrankkoffer, doch das Innenleben verbarg nicht nur einen Schreibtisch, sondern auch Schreibmaschine, Bücherregal und diverse Schubladen. James Bond-Erfinder Ian Fleming hatte als Kettenraucher beim Schreiben stets eine der eigens für ihn gefertigten Zigaretten zur Hand.

Die Auswahl präsentiert in einem bunten Reigen die Schreibgewohnheiten von über fünfzig (meist englisch- und amerikanischsprachigen) Schriftsteller*innen, wunderbar ergänzt mit ganzseitigen Farbillustrationen des Londoner Künstlers James Oses. Da Johnson durch den Besuch von zahlreichen Dichter*innenhäusern zu diesem Buch inspiriert wurde, hat er noch kurze Besucherinformationen zu einigen literarischen Museen angefügt. Abschließend jedoch noch eine besondere Schrulle von Kurt Vonnegut: An den Wänden seines Arbeitszimmers hingen fein säuberlich eingerahmt einige der vielen Absagen von Verlagen.

Titelbild

Alex Johnson: Schreibwelten. Wie Jane Austen, Stephen King, Haruki Murakami, Virgina Woolf u.v.a. ihre Bestseller schufen.
Mit Illustrationen von James Oses.
Aus dem Englischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer.
wbg Theiss, Darmstadt 2023.
192 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783806245646

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