Ein romantischer Dichter, der drei Jahre um die Welt segelte
Matthias Glaubrecht stellt in seiner neuen Biografie den Naturkundler und Welterforscher Adelbert von Chamisso vor
Von Manfred Orlick
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAdelbert von Chamisso (1781-1838) (eigentlich: Louis Charles Adélaïde de Chamisso de Boncourt) kennt man in erster Linie als Autor der phantastischen Erzählung Peter Schlemihls wundersame Geschichte oder als Lyriker von meist romantischen Gedichten, Balladen und Liedern. Dass der dichtende „Franzose in preußischen Diensten“ sich auch als anerkannter Botaniker und Naturforscher betätigte, ist dagegen weniger bekannt. Also ein Mann mit doppelter Begabung, was auch zu Zeiten von Goethe und Humboldt eher selten war. In den Literaturgeschichten wird diese Tatsache jedoch meist nur mit wenigen Sätzen abgetan.
Der Evolutionsbiologe und Wissenschaftshistoriker Matthias Glaubrecht, der bereits 2012 mit Reise um die Welt (1836) Chamissos letztes Werk herausgebracht und mit einem essayistischen Nachwort versehen hatte, legt nun mit Dichter, Naturkundler, Welterforscher – Adelbert von Chamisso und die Suche nach der Nordostpassage eine umfangreiche Biografie in drei Teilen vor mit dem Schwerpunkt auf Chamissos naturwissenschaftlicher Karriere und seiner Weltreise, die er an Bord der russischen Brigg „Rurik“ von 1815 bis 1818 unternahm. Nach eigenem Bekunden war dieses Abenteuer für ihn „das Hauptstück“ seines Lebens und das bestimmende Element seiner Biografie.
In Teil Eins mit dem Titel In Humboldts Stiefeln gibt Glaubrecht zunächst einen Überblick über Chamissos Herkunft, die Kindheit auf dem väterlichen Schloss in der Champagne, die Ausbildung sowie seine schriftstellerischen und naturwissenschaftlichen Anfänge. In den Wirren der Französischen Revolution flüchtete die Familie über Belgien und Holland nach Deutschland, wo sie über Düsseldorf, Würzburg und Bayreuth schließlich nach Berlin kam. Dort nahm Königin Friederike Luise von Preußen 1796 den halbwüchsigen Chamisso als Pagen an und sorgte für einen geregelten Unterricht. Zur Militärlaufbahn (bis 1807) bestimmt, wurde er 1798 Fähnrich und 1801 Leutnant im preußischen Militär.
Um der Eintönigkeit und Leere des Soldatenlebens zu entkommen, suchte Chamisso den Kontakt zum geistigen Leben von Berlin (u.a. Julius Eduard Hitzig, Karl August Varnhagen oder Friedrich de La Motte Fouqué). Gemeinsam gründete man die literarische Gruppe Nordsternbund und gab 1804-1806 einen Musenalmanach heraus, in dem Chamisso erstmals deutsche Gedichte publizierte. Nach seinem Militärdienst versuchte Chamisso vergeblich, wieder in Frankreich Fuß zu fassen. Daraufhin ging er mit Madame de Staël einige Zeit in die Schweiz. Zurückgekehrt in Berlin begann er an der Universität mit botanischen Studien. Mit seiner Erzählung Peter Schlemihls wundersame Reise (1814) erzielte er einen großen Erfolg. Die spukhafte Geschichte von einem verkauften Schatten erlebte in schneller Folge unzählige Auflagen und wurde in viele Sprachen übersetzt.
Gleich der Titelfigur seiner Erzählung hatte Chamisso von 1815-1818 die Möglichkeit, als Naturkundler an einer Forschungsexpedition in den Pazifik und die Arktis teilzunehmen, immer auf der Suche nach einer Nordostpassage. In Teil Zwei Schlemihl auf Reisen schildert Glaubrecht nach umfangreichen Recherchen in Reiseberichten, Naturkundemuseen und Archiven die dreijährige Weltumseglung mit der unter russischer Flagge segelnden Zweimasterbrig „Rurik“, die dem Kommando des deutschbaltischen Offiziers Otto von Kotzebue unterstellt war. Auch der gerade frisch erschlossene und digitalisierte Nachlass Chamissos in der Berliner Staatsbibliothek, allen voran die Weltreisetagebücher, war hilfreich bei der detektivischen Spurensuche.
Das Schiff segelte zunächst von Sankt Petersburg nach Kopenhagen, wo Chamisso am 9. August 1815 zustieg. Ein paar Tage später ging es dann quer über den Atlantik nach Brasilien, um das Kap Horn nach Chile und von dort in den Pazifik, von der Osterinsel und den Marshallinseln bis in die Beringstraße zwischen Kamtschatka und Alaska, nach Kalifornien, Hawaii, die Atolle der Ratak-Kette und schließlich über die Philippinen und die Südspitze von Afrika zurück nach Sankt Petersburg, das am 3. August 1818 erreicht wurde.
Chamisso untersuchte während der Expedition eine Fülle von Naturphänomenen und bestätigte bzw. erweiterte damit das Wissen über die Beringsee und ihre Küsten erheblich. Er beschrieb und erklärte die nördlichen Meeresströmungen und entwickelte eine bis heute anerkannte Theorie zur Entstehung der Korallenriffe. Daneben kritisierte er aber auch den Raubbau an der Natur, womit er sicher einer der ersten Zivilisationskritiker war. Wenn auch der Hauptzweck der Reise, die Erkundung einer nördlichen Passage zwischen Pazifik und Atlantik, verfehlt worden war, so lieferte sie doch für die Navigation und Naturgeschichte reichhaltige Ergebnisse.
In Teil Drei Die Rückkehr des Königs der Stillen Inseln widmet sich Glaubrecht vorrangig der anschließenden wissenschaftlichen Tätigkeit Chamissos. Seine Reiseerfahrungen veröffentlichte er in zahlreichen Abhandlungen, u.a. in Reise um die Welt in den Jahren 1815-1818 (1821). Dieser Weltumseglungsbericht gehörte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben den Werken von Alexander von Humboldt zur gefragtesten Reiseliteratur. Für seine Verdienste wurde Chamisso zum Kustos des Königlichen Herbariums am Botanischen Garten in Berlin ernannt und zum Mitglied der Gelehrtenakademie Leopoldina gewählt. Noch heute ist eine Insel vor Alaska nach ihm benannt. In seinen letzten Lebensjahren betrieb Chamisso umfangreiche Studien über die Sprachen der Südsee und leistete damit einen wichtigen Betrag zur Überlieferung der hawaiischen Sprache.
Der Autor weist auch auf die Bedeutung der dreijährigen Reise für die weltanschauliche und poetische Entwicklung Chamissos hin. So zeichnete sich seine späte Lyrik durch eine große Breite an literarischen Themen und Formen aus. In seiner Ballade Die alte Waschfrau schlug er auch zukunftsweisend das soziale Thema an. Ein Jahr nach seiner Rückkehr hatte Chamisso Antonie Franziska Piaste (1800-1837), die Ziehtochter seines Freundes Julius Eduard Hitzig, geheiratet und aus der Ehe waren sieben Kinder hervorgegangen. Adelbert von Chamisso starb ein Jahr nach dem Tod seiner Frau am 21. August 1838 im Alter von 57 Jahren in Berlin an Lungenkrebs.
Die ausgezeichnet recherchierte Biografie, für die der Autor mit dem Sigmund Freud-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet wurde, wird im Anhang mit umfangreichen Anmerkungen und einem Register der wichtigsten Personen ergänzt. Zusätzlich lassen sich auf vier Zeitleisten Chamissos Leben und Werk sowie die Stationen der „Rurik“-Reise detailliert verfolgen.
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