Um einen Hofmannsthal von außen bittend
Elsbeth Dangel-Pelloquin und Alexander Honold legen eine Biografie Hugo von Hofmannsthals vor
Von Günther Fetzer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEndlich ist sie da, die Hofmannsthal-Biografie. 896 Seiten stark, davon 118 Seiten Anhang mit 2627 Anmerkungen, Literaturverzeichnis, Zeittafel, Werkregister und Personenregister. 56 Abbildungen. 1,098 Kilogramm.
Strukturiert ist das voluminöse Werk in fünf große Teile, die mit Ausnahme des Weltkriegskapitels jeweils zehn Jahre oder etwa mehr umfassen. Aufgespalten ist es in zwei Stränge, einen biografischen und einen literaturwissenschaftlichen. Den lebensgeschichtlichen Strang mit 31 Kapiteln, der durch kurze Werkbetrachtungen wie zum Beispiel zur Essayistik, über den Chandos-Brief, über Goethe als Vorbild und über Die Lästigen nach Moliere angereichert wird, hat Elsbeth Dangel-Pelloquin verfasst, die mit „Lektüren“ überschriebenen zehn Kapitel, in denen Werkformen, Gattungen und ausführlich kommentierte Einzeltexte untersucht werden, stammen von Alexander Honold. Beide sind ausgewiesene Hofmannsthal-Forscher, beide eng verbunden mit ihrem Gegenstand, sie als stellvertretende Vorsitzende, er als Vorsitzender der Hofmannsthal-Gesellschaft.
Der Rezensent hat sich für den in der Einleitung vorgeschlagenen konsekutiven Weg des Lesens entschieden und zunächst den biografischen Strang konsultiert, nicht zuletzt, weil er mit dem Briefwerk des Autors vertrauter ist als mit dessen literarischem Werk. Folglich liegt das Schwergewicht dieser Ausführungen auf dem lebensgeschichtlichen Teil.
Die biografische Darstellung durch Dangel-Pelloquin ist geprägt von rund dreißig Miniaturen, durch die Personen porträtiert werden, die in Hofmannsthals Leben eine mehr oder minder große Rolle gespielt haben. Die Liste reicht von Leopold von Andrian und Hermann Bahr über Gerhard Hauptmann und Rudolf Kassner bis zu Marie von Thurn und Taxis und Grete Wiesenthal, darunter auffallend viele Frauen, vor allem Künstlerinnen oder adelige Damen oder beides. In dieser Galerie werden „Flirtations“ des jungen Dichters wie Marie von Gompertz, Lili Schalk und Minnie Benedict genauso bedacht wie die literarischen Konkurrenten Hauptmann und Rilke. Vervollständigt werden diese gesondert lesbaren und lesenswerten Miniaturen, die oft nicht mehr als eine Seite umfassen, durch ausführliche Porträts von Stefan George, Gerty von Hofmannsthal, Ottonie Gräfin Degenfeld, Rudolf Pannwitz, Richard Strauß und Carl Jacob Burckhardt. Sehr erhellend, wie dabei der Netzwerker und Umarmungsstratege Hofmannsthal porträtiert wird.
Wenn es in der Einleitung heißt: „Die Lebensumstände und Schaffensepochen Hugo von Hofmannsthals sind gut dokumentiert, sie liegen dank ausführlicher, täglich geführter Briefkorrespondenzen gleichsam offen zutage“, so ist damit das Vorgehen treffend beschrieben: Das Leben Hofmannsthals wird aus den umfangreichen Korrespondenzen und den unzähligen Selbstexplikationen – die nicht immer unproblematisch sind – rekonstruiert, dokumentiert und kommentiert. Dass wird auch im Anmerkungsapparat augenfällig, wo sich als Belegstellen Briefwechsel an Briefwechsel an Briefwechsel reiht.
Das im zweiten Untertitel als „Biografie“ gekennzeichnete Werk von Dangel-Pelloquin und Honold hat augenscheinlich Angst vor dem Vorwurf des „läppischen Biographismus“, hatte Hofmannsthal doch am 24. April 1927 an Ruth Sieber-Rilke – sie hatte ihn gebeten, in einem Kuratorium zur Herausgabe der Briefe ihres Vaters mitzuwirken – geschrieben:
Wenn ich meinen Tod sehr nahe kommen fühlte, würde ich […] alles tun – soweit sich in dieser zerfahrenen Welt etwas tun lässt –, diese vielen schalen und oft indiskreten Äußerungen über einen produktiven Menschen und seine Hervorbringungen, dieses verwässernde Geschwätz, zu unterdrücken, zumindest ihm möglichst Nahrung zu entziehen durch Beiseite-Bringen der privaten Briefe und Aufzeichnungen, Erschwerung des läppischen Biographismus und aller dieser Unziemlichkeiten.
Glücklicherweise hat Hofmannsthal solche „Weisungen“ nicht hinterlassen, sondern im Gegenteil sogar bei der Publikation des Briefwechsels mit Richard Strauss im Jahr 1926 auswählend und redigierend kräftig mitgewirkt.
Indem Dangel-Pelloquin und Honold sich auf Hofmannsthal über Hofmannsthal fokussieren, weichen sie einerseits dem Vorwurf des „läppischen Biographismus“ aus. Die Darstellung profitiert enorm vom rund 1700 Schreiben Hofmannsthals umfassenden Briefwechsel mit den Eltern, der seit langem in Vorbereitung ist, aber leider auch nicht zum 150. Geburtstag rechtzeitig veröffentlicht wurde, sowie von dem für Ende 2024 angekündigten Briefwechsel mit Gerty von Hofmannsthal (über 1000 Schreiben). In beide hatte die Autorin Einblick und zitiert eifrig daraus. Ob aber durch ausführliches Zitieren, ob „aus dem möglichst plastischen Nachvollzug der Lebenswege die innere Welt der Dichtungen selber aufgeht“ – so die Verfasser in der Einleitung –, mag füglich bezweifelt werden. Andererseits aber vergibt man sich durch die Binnensicht die Chance, zum Beispiel den Konnex zwischen Konfliktbewältigung und Werkstruktur in den Blick zu nehmen, wie das Wolfram Mauser in seiner Studie von 1977 getan hat.
Die sehr immanente Sicht, die sich gegen eine (kritische) Außenperspektive immunisiert, schlägt sich aber auch in der sachlichen Darstellung nieder. So wird Hofmannsthals politische und kriegspublizistische Tätigkeit sowie seine literarischen Schriften von 1914 bis 1917 wie Österreichisches Festspiel, Österreichs Antwort und Prinz Eugen, der edle Ritter nur am Rand erwähnt und relativiert. Man lese diese Äußerungen „heute höchstens aus literarhistorischem Interesse oder gar als Dokumente einer Verirrung“. Im literaturwissenschaftlichen Strang des Buchs wird die Kriegspublizistik im einschlägigen Abschnitt nicht einmal erwähnt. Dabei hätte es nahe gelegen, von der Kriegspublizistik und der „Phalanx konservativer Geister“, mit der sich der Autor nach Ausbruch des Weltkriegs umgab, einen Bogen zum Hofmannsthal der „konservativen Revolution“ zu schlagen.
In den beiden letzten Teilen, die die Zeit ab dem Ersten Weltkrieg behandeln, verschiebt sich die Darstellung Dangel-Pelloquins mehr auf das Biografische, das Werkgeschichtliche wie den Turm-Dramenkomplex, die kulturpolitischen Aktivitäten rund um das Wiener Burgtheater, die europapolitischen Vorstellungen des Dichters, die Salzburger Festspiele. Aber auch hier macht sich die mangelnde Außerperspektive bemerkbar, besonders deutlich in den Passagen über Rudolf Pannwitz und Josef Nadler. Die Beziehungen zu diesen beiden erzkonservativen bis reaktionären Zeitgenossen wird auf Hofmannsthals Streben nach „Selbsterfahrung durch die Spiegelung seines Schaffens im andern“ reduziert, kein Wort zu den ideologischen Implikationen.
Dieser biografische Strang hakt Lebensabschnitt für Lebensabschnitt ab. Was man dabei schmerzlich vermisst, sind durchgängige Themen. Warum gibt es zum Beispiel kein Kapitel, das sich eingehend mit Hofmannsthals wirtschaftlicher Situation befasst? Sein immer wiederkehrendes Lamento darüber wird zwar mehrfach angesprochen, und ein Unterkapitel ist viel versprechend mit Die unaufhörliche Geldsorge betitelt. Dort sind zwar einige wenige Zahlen genannt, doch hätte man gern gewusst, was die jährliche Apanage von Gerty in Höhe von 6000 Gulden in Relation zu zeitgenössischen Preisen wirklich wert war. So bleibt die Darstellung dieser für Hofmannsthal nicht ganz unwichtigen Frage im Ungefähren: „Der Erfolg der Dramen, noch mehr der Opernlibretti, sorgte für erfreuliche Honorare. […] Absoluter Höhepunkt, auch in pekuniärer Hinsicht, war Der Rosenkavalier. In den zwanziger Jahren kamen noch Einnahmen aus Film und Rundfunk dazu.“ Etwas genauer hätte man es schon gern gewusst. Wie prekär war die ökonomische Situation wirklich? Gibt es keine entsprechenden Dokumente in den Archiven? Es stellt sich nicht nur bei diesem Thema die Frage, was über die kritische Gesamtausgabe, die Briefe, die Selbstexplikationen Hofmannsthals und den Nachlass im Freien Deutschen Hochstift hinaus für die Darstellung konsultiert wurde.
Ein weiteres interessantes Thema, das man hätte behandeln können: Steckt hinter den Lektüreratschlägen (bis hin zu Lektürelisten), die Hofmannsthal Marie von Gomperz, Ottonie Gräfin Degenfeld und Helene von Nostitz (nicht aber seiner Ehefrau Gerty) zukommen ließ, der gleiche pädagogische Eros wie bei der stilbildenden Erziehung des Lesepublikums durch die von ihm herausgegebenen Anthologien?
Der zweite, der literaturwissenschaftliche Strang des Buchs ist in die biografischen Kapitel an vier Stellen eingeblockt. Abgehandelt werden das Jugendwerk, der Andreas-Roman, die Komödien, die Opern, Der Turm, Jedermann, Das Salzburger Große Welttheater und die politische Essayistik. Schon sprachlich ist das ein heftiges Kontrastprogramm zum biografischen Strang. Dort die gut lesbare, flüssige Wissenschaftsprosa, hier die angestrengte, verkrampfte Sprache der germanistischen Literaturwissenschaft. Nur zwei Kostproben. Über die Ankunft des Protagonisten des Andreas-Fragments in Venedig heißt es:
Je mehr sich die Begegnungen und Besuche des Ankömmlings in das Gewirr der venezianischen Kunst- und Halbwelt verstricken, desto stärker nimmt im Bewegungsprofil der Figur die Anmutung der Flächigkeit gegenüber dem Zug der Linie überhand.
Oder: „Die Handlung der Soldatengeschichte […] unterliegt gleichfalls diesem Prinzip eines unerfüllten lateralen Fortgangs.“ Jedes einzelne der zehn Kapitel des literaturwissenschaftlichen Strangs in ihrem handfesten Interpretieren in gut germanistischer Manier würde zwar das Jahrbuch der Hofmannsthal-Gesellschaft als Schmuckstück zieren, in einer auf das allgemeine Publikum zielenden Biografie aber sind sie doch sehr fehl am Platz.
So kann auch die Intention der Autoren als nicht eingelöst betrachtet werden. Ziel sei es gewesen, „die Entwicklungslinien der Lebensgeschichte mit einlässlichen Werkbetrachtungen derart zu verknüpfen, dass dabei etwas von der Dynamik zwischen erreichten Gestaltungen und erneuten Verwandlungen sichtbar werden kann“. Denn die Stränge verlaufen unkoordiniert parallel, nicht einmal wechselseitige Verweise sind systematisch angelegt. Man fragt sich am Ende des voluminösen Bands, ob die vielen vielen Informationen ein neues Bild ergeben. Wo ist der Blick auf neue Zusammenhänge, auf neue Konstellationen? Ein neuer, frischer Blick auf Hugo von Hofmannsthal, 150 Jahre nach der Geburt und fast 100 Jahre nach dem Tod, wäre schön gewesen.
|
||