Nerd 503

Hingabe und Widerstand in Jewgeni Samjatins „Wir“

Von Marcus JensenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcus Jensen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1. Groteske des Futurismus

Wir ist Samjatins bei weitem bekanntestes Buch, geschrieben 1920, erschienen erstmals vor jetzt hundert Jahren. Mit seiner Vision einer gläsernen Riesen­stadt der grau unifor­mierten, kahl­köpfigen, im Takt mar­schierenden, kopu­lierenden und Kunst­nahrung kauenden Unter­tanen gilt er als der erste klassi­sche Dystopist über­haupt – aber wollte er einer sein? Sein Verhältnis zu diesem namen­losen Ameisen­staat wirkt zwiespältig. Mal beschreibt er die kalte, glatte Welt des „Wohltäters“ und seiner zehn Millionen „Nummern“ sati­risch bis burlesk, mal stellt er sie klar als un­mensch­lich dar, aber letztlich nimmt er diese glitzernde Kammer­spiel­diktatur doch hin als eine stabile Welt. Der Autor (1884-1937) hatte zum sowohl utopischen als auch zum dysto­pischen Charak­ter des Stoffs unter­schied­liche Haltun­gen, so wech­selt etwa die domi­nante Heldin irri­tierend zwischen System und Sub­version. Zumin­dest gilt: Wir versam­melt bereits alle Elemente eines ab­schre­ckenden Kontroll­staats in einer zwar nicht gut durch­gearbei­teten, aber höchst beein­drucken­den Vorschau.

Ganz wesent­lich Aldous Huxley und teilweise George Orwell haben sich an dieser Palette des Totali­tarismus Jahre später abge­arbeitet – und sogar der Schöpfer des Star Wars-Univer­sums, George Lucas, folgte Samjatin. In seinem frühen Spiel­film THX 1138 von 1971 sind die Personen dieser Labor­welt ebenfalls durch­num­meriert, die Haar­losig­keit und die grauen Uni­for­men der Roman­figuren wurden wie das Klaustro­phobi­sche über­nommen. Aller­dings ließ Lucas nirgendwo durch­blicken, er habe Wir gekannt. Auch der weit popu­lärere Science-Fiction-Holly­wood­streifen Logan’s Run (Flucht ins 23. Jahr­hundert), in dem nur junge Menschen in einer abge­schot­teten Welt leben dürfen und der auf William F. Nolans gleich­namigem Roman von 1967 basiert, ist ohne Sam­jatins Vorlage kaum denkbar.

Wir, dieses Werk der vielen ersten Male, gilt laut der New York Times (2021) außer­dem als das erste, das die junge Sowjet­republik offi­ziell verbot. Es wurde zunächst Ende 1924 im ökono­mischen Herzen des Klassen­feindes gedruckt, in New York City. So erschie­nen alle drei Romane, die das Genre der Dysto­pie begrün­deten (Samjatin-Huxley-Orwell), im Zeit­raum eines Viertel­jahr­hunderts auf Englisch. Wir durfte erst während der Peres­troika eine vollstän­dige russische Ver­öffent­lichung erleben.

Jewgeni Samja­tin über­schätzte tragi­scherweise die Hoch­blüte des frühen sowjet­russi­schen Kultur­lebens, in dem der anti­bürger­liche Futuris­mus fortge­setzt werden durfte – bis Stalin alle Kunst ein­ebnen ließ zuguns­ten lachender Trak­toris­t:innen. Warum reagierte die Sowjet­zensur auf Wir so heftig?

Zumindest anfangs bestimmt purer Futuris­mus ­den Roman. Es herrscht eine erbar­mungs­lose Reduk­tion auf instru­mentelle Vernunft, eine Radi­kalität, die der Begrün­der der Futuris­mus, Mari­netti (1876-1944), mit seiner Vor­stel­lung vom Massen­tod als Welt­hygiene, begrü­ßen müsste – aber es ist gallige Satire. Waren es Details, die für die Macht­haber zu nahe dran waren? Einer der bekann­testen ketze­rischen Aus­sprüche des Buches lautet: „Es gibt keine letzte Revo­lution.“ Ver­mut­lich reichte der allge­meine Spott des Autors für dessen Blockade. Noch im Er­schei­nungsjahr 1924 rief Trotzki ernst­haft den kom­menden sowje­tischen „Über­menschen“ aus. Samjatin, Tech­niker wie sein Held und anfangs begeistert von den 1917er Revolu­tionen, stand zum Zeit­punkt der Nieder­schrift 1920 bereits auf der anderen Seite und lobte „die Häresie“ als unver­zichtbare Kraft gegen die Forde­rungen nach Ein­stampfung des Alten. Er reflek­tierte den Futuris­mus, den er bereits 1921 „unter­gegangen“ nannte, und im selben Essay warf er dem Prolet­kult dessen „sehr reaktio­näre Form“ vor. Ein­deutig ist Sam­jatins „Häresie“ bürgerlich, indivi­dualis­tisch. Wir ist bei aller heute bedrücken­den Vor­schau ein sarkas­tischer Roman, der auch von der – viel­leicht schuld­bewussten – Selbst­ironie des Autors als Nerd und Ex-Bol­schewik lebt.

Trotz Zensur durfte Samjatin zunächst weiter­schreiben – was un­glaub­lich ist angesichts seiner Glossen und satiri­schen Erzäh­lungen. 1922 wurde er aller­dings kurz­zeitig inhaf­tiert. Aber erst als Wir Ende der Zwan­ziger­jahre verstüm­melt und stark redigiert in einer Emi­gran­ten­zeitung auf Russisch erschien und in die UdSSR ein­sickerte, also für Sowjet­menschen greif­bar wurde, musste der Autor um sein Leben fürchten. 1931 war er bereit, das Land zu verlas­sen. Im Ausreise­antrag an Stalin persön­lich betonte er geschickt seine Zuge­hörig­keit zur Auf­bruchs­phase der sowje­tischen Welt. Durch Hilfe seines Freun­des Gorki wurde der Antrag geneh­migt, Samjatin ent­ging dem Schick­sal so vieler anderer sow­jeti­scher Künst­ler. In Paris starb er ein paar Jahre später mit Anfang fünfzig, krank und verarmt. 

2. Was bedroht den Einzigen Staat?

Was machte die Provokation aus? Das Buch beginnt als eine helle, zwar erkenn­bar ironisch ange­legte, aber doch – fatalis­tisch be­trach­tet – gel­tende, stabile Aus­sicht auf eine funk­tionie­rende durch­ratio­nali­sierte Welt, circa anno 3000. Anders als bei Orwell ist sie nicht sofort erkenn­bar häss­lich. Der 32-jährige Raketen­ingenieur D-503 iden­tifi­ziert sich so sehr mit seiner Zeit, dass er jubelt: „(…) ich allein hatte den alten Gott und das alte Leben besiegt.“ Er ist der unver­zicht­bare Er­bauer des Raum­schiffs Integral, diesem „Elip­soid aus unserem Glas, dauer­haft wie Gold und bieg­sam wie Stahl“, dessen Test­läufe Men­schen­leben verschlingen. Was aber alle hin­nehmen, da sich für die große Sache jeder gerne „opfern“ würde.

Die Fülle von Samja­tins Erfin­dungen ist beein­druckend: Die Men­schen bewoh­nen riesige Blocks aus Glas­kuben, der Nach­wuchs entsteht durch eltern­lose „Kinder­zucht”, eine KI kompo­niert „drei Sonaten in der Stunde“, es gibt senk­recht startende Flug­zeuge wie Drohnen­taxis und Bewusst­seins-OPs: „Zentrum der Phan­tasie ist ein winziger Knoten an der Gehirn­basis. Eine drei­malige Bestrah­lung dieses Knotens – und ihr seid von der Phanta­sie geheilt.“ Mit Phan­tasie ist die künst­lerische, aus­malende gemeint, nicht die tech­nische, die den Inte­gral hervor­bringt. Mit dem hier herr­schenden Stech­uhr­leben feiert man eine histo­rische Person, den US-Inge­nieur Taylor (1856-1915) und dessen Ideen zur Zeit­wirt­schaft in Fabri­ken. Unter dem Ein­fluss von H. G. Wells, dessen Werk Sam­jatin sehr gut kannte, schrieb er sati­risch über den anglo-amerika­nischen Kapita­lismus, eine scheinbar so gnaden­los durch­getak­tete Welt wie der Einzige Staat in Wir. Dessen „Taylor-Exerzi­tien“ erlau­ben zwei „persön­liche Stunden“ täglich. Die Ein­heits­nahrung „Naphta“, die kollek­tiv einge­löffelt wird, erinnert an heutige Hipster-Konzen­trate, aber auch an den staat­lich verab­reich­ten täglichen Riegel Kinder­scheiße in Wladi­mir Soro­kins Sowjet­groteske Norma, ent­standen vor über vierzig Jah­ren. Inkonse­quen­terweise gibt es spre­chende Kochbücher, wo doch niemand selber kocht. Oft kippt etwas um in gro­tesken Situatio­nen à la Gogol. Dass Samja­tin Kafka gelesen haben könnte, ist extrem un­wahr­scheinlich, aber ein Gogol-Kenner war er­. So schrieb er zum Beispiel das Libretto zu Schosta­kowitschs Opern­fassung von Die Nase.

Die jährliche Wieder­wahl des „Wohltäters“, der „weise, gütig und streng wie der Gott der Alten“ sei und auch mit „Sokra­tes“ vergli­chen wird, ist ein symbo­lischer, schöner Akt. Das „segens­reiche Joch der Vernunft“ muss schein­bar gar nicht vertei­digt werden – die Geheim­dienst­truppe der „Beschützer“ ist eine ziemlich matte Version der sow­jeti­schen Tscheka. Kurz: Es herrscht nahezu luft­dichte Einheit, der Staat dürfte vor nichts Angst haben.

Mit dem eifrigen Spitzen­techni­ker hat Samjatin auch etwas perso­nell Neues einge­führt: den Nerd. Bisherige Fach­idioten, die in Roma­nen ihre Lebens­sicht als absolut setzen durften, waren Wissen­schaftler gewe­sen, in ihren Zirkeln inte­griert oder gekenn­zeich­net als Aus­gesto­ßene.­­ Wells schickte For­scher durch Raum und Zeit oder ließ sie sich als Mad Scien­tists verste­cken – aber Samjatins Protagonist D-503 ist Tech­niker. Er stellt zu seiner Kör­per­lich­keit immer wieder Maschi­nenver­gleiche an. Die Perspek­tive des anfangs groß­spuri­gen Ich-Erzäh­lers (oft mehr Geek als Nerd), seine bis zum Schluss nahezu unge­brochene Bejube­lung des KI-Staats und des Wohl­täters ist die eines Betriebs­blinden, der sich selbst als humor­los lobt, aber erkenn­bar lächerlich ist. Er will die Bot­schaft seiner Welt ins All tragen und würde die weni­gen Störri­schen zu ihrem Glück im „mathe­matisch voll­komme­nen Leben“ zwingen.

Sein offenbar staatlicherseits gar nicht verbotenes Tagebuch, das sich an die Reiseziele seines Raum­schiffs wendet, an „Venus­bewohner“ und „Uranus­menschen“, liest sich anfangs wie eine gro­teske Umkeh­rung der Ver­zweif­lungs-Auf­zeich­nungen, die Orwell seinen Helden Winston Smith in 1984 geheim schrei­ben lässt. D-503 benutzt die Noti­zen aber auch zur Selbst­kontrolle, als „Seismo­graph“. Was bedeutet, dass er seinen letzten anima­lischen Antei­len miss­traut, den Schatten eines diffus vor-ratio­nalen, schmut­zigen Lebens. Er möchte prüfen, ob auf dem Papier etwas aufscheint, das in seinen reinen Gedanken keinen Platz hat. Der Erzäh­ler schämt sich für seine „häß­liche Affen­hand“, weil sie behaart ist und ihn an eine „Pfote“ erin­nert.

Samjatin, zur Zeit der Nieder­schrift schon auf Gegenkurs zu 1917, fast schon Dissi­dent, schrieb mit Wir keine reine Satire, denn D-503 ist auch eine bittere Eigen­karikatur im Sinne einer bereits zurück­schau­enden Ausein­ander­setzung mit dem Lebens­weg des Autors. Die aus­ge­stellte Kunst­figur, die sich anfangs ganz mit dem Nihilis­mus (statt Gott gibt es nur „das nackte Nichts“) und der „Entro­pie“ dieser insek­toiden Riesen­sekte identi­fiziert, soll gar nicht realis­tisch sein. Seine Sicht auf Weib­lichkeit ist ent­weder gering­schät­zig oder unter­würfig. Seine handfeste, auf ihn seit drei Jahren „einge­tragene“ Lieb­haberin O-90 betrach­tet er als roman­tisch Daher­plap­pernde, und die ele­gante I-330 über­rascht ihn mit ihrer intel­lektu­ellen Ironie, sie sei „rätsel­haft“. Das Frauen­bild hat sich im tausend­jährigen Fort­schritts­schub kein Stück ent­wickelt.

D-503 ist so alt wie der Autor unmit­telbar vor den 1917er Revo­lutio­nen, als Samjatin in der Phase der Auf­bruchs­eupho­rie von sich und seinem Einfluss begeis­tert war. Da das Alter 32 expli­zit genannt wird und Samjatin zum Zeit­punkt der Februar­revolu­tion, die die Zaren­macht been­dete, gerade 33 gewor­den war, könnte die 32 darauf hin­deuten, dass der Roman­held eben noch nicht ganz der neuen Welt ange­hört. Wahr­schein­lich hatte der kurz­zeitig über­zeugte Bolsche­wik Sam­jatin nach den ersten zwei Jahren unter Lenin und dem Zurück­drän­gen der Konter­revolte der Weißen Armee das Gefühl, das Neue habe sich durch­gesetzt und könne Ironie ver­tragen. Ein fataler Irr­tum. Im Er­schei­nungs­jahr 1924 schrieb er in einem Aufsatz: „Ketzer sind die ein­zige (bittere) Medizin gegen die Entro­pie des mensch­liches Den­kens.“ Der Autor verstand Wir ver­mut­lich als einen lockern­den Dienst an der einmal gelieb­ten Sache. Sein erstes Thea­terstück, ent­standen gleich danach, spielt dann schon zur Zeit der spani­schen Inqui­sition.

Im Roman wird ein sündi­ger Dichter – dessen Aufgabe darin bestan­den hätte, den Staat zu bejubeln – vom Wohl­täter, der dafür offen­bar Zeit hat, persön­lich hingerich­tet mit einer Plasma­strahl-Ma­schine. Das habe etwas „Reini­gendes“, und der Unter­tan, der „die logi­schen Folgen seiner Wahn­sinns­tat erwar­tete“ und ein­sah, „zer­schmolz“ dann. Was genau ist das Ver­gehen? Wohl­täter und Staat sind zwar deckungs­gleich, aber mit dem Tode be­straft werden noch keine „Gedan­kenver­brechen“ wie bei Orwell, sondern Mani­festa­tionen des Eigenen, in Handlungen, Schriften oder Aus­sprüchen. Dieses Gemein­wesen der vollen bejahten Kontrolle hat keine expli­zite Ge­setz­gebung und zeigt kein Ziel außer Expan­sion ins All (nicht etwa in die Welt!). Aber Samja­tin mit seiner Ausrich­tung gegen den Futu­rismus brauchte für die erhoff­te Leser­schaft nicht zu begrün­den, was hier Sünde ist: Indivi­dua­lismus.

Der Staat fürchtet dabei nichts Körper­liches. Die Sexua­lität ist zwar getak­tet, wird aber nicht beob­achtet. Es sind kurze, harm­lose Dok­tor­spiele. Die kaum skiz­zierten Kopula­tionen des Nerds mit seiner O-90, die ihn liebt und sogar ein verbo­tenes leib­liches Kind mit ihm haben will, wirken wie populäre Ver­rich­tungen, „nur selten“ vernehme man das „wilde Echo des Affen“. In diesem Dualis­mus aus ratio­nalen Nack­ten und haa­rigen Wilden müssen alle Staats­treuen vor dem Akt ein „rosa Billett“ lösen und in ihren gläser­nen Zellen einen Vorhang zuzie­hen für eine Viertel­stunde.

Das ist unlo­gisch, unfutu­ristisch.

Die Rosa-Billett-Minuten sagen nichts über den Sex in dieser Welt aus, ob er lust­voll ist oder unter „taylo­risti­schen“ Zwängen steht. Leider, denn das wäre litera­risch höchst inter­essant gewesen, aber Anfang der 1920er natür­lich zu gewagt. Immerhin gibt es ein Recht auf Sex und offi­ziell keine Eifer­sucht; die ver­ordne­ten Verbindungen wech­seln. Es ist im Rahmen dieser leiden­schafts­ent­schärf­ten Regel­welt wider­sprüchlich, dass dies kein Riesen­swinger­club sein soll, in dem die heiteren Glatz­köpfigen alle anderen gleich­gültig bei der offen­bar immer unpro­blema­tischen Verrich­tung betrach­ten. Denn schließ­lich bestä­tigt es das System, da die Paa­re von der KI verkup­pelt wurden je nach dem von „Labora­torien“ ermittelten „Gehalt an Geschlechts­hormonen“. O-90 „geniert“ sich ohne das feste Ritual. Sam­jatin kannte natür­lich das kind­liche Volk der „Eloi“ aus Wells‘ Zeit­maschine.

Sex dient – anders als bei Huxley – nicht zur Ruhig­stellung, und auch Huxleys „Reservat“ ist als eine bewusste Ausla­gerung gemeint. D-503 weiß zwar von „der wilden, unbe­kannten Weite jenseits der Grünen Mauer“ um die Stadt, aber da diese Anarchie kein Gesicht und keinen Namen hat und „keiner von uns“ je drüben gewesen ist, greift die Alter­nativ­welt weder an, noch provo­ziert sie gedank­lich. Die Mauer aus dem Staats­material Glas schließt „Bäume, Vögel und Tiere“ aus, Letz­tere schauen gerne ab und zu durch dieses riesige Schau­fenster hinein, mehr nicht.

Wozu gibt es tausend sichere Jahre in der Zukunft noch „Historiker“ und „Archäo­logen“, die aber nicht wissen, was Brot war? Warum kennt D-503 Kant, Pusch­kin, Shakes­peare, Dosto­jewski, Buddha, die Zehn Gebote und die „assyri­schen Reliefs“? Viele der unlogi­schen Elemente des Romans sind regres­siv wie behaarte Hände.

Drama­tur­gisch dienen alle Perso­nen außer I-330 als Staf­fage, greifen nie ver­ändernd ein, schubsen den Helden nicht, sondern bilden höchs­tens Prall­körper für eine zwar tech­nisch kluge, aber sozial dümm­liche Kugel, die durch einen Flipper­auto­maten schießt. Der Held lässt an Neuem allein das zu, was I-330 ihm auf­drückt oder ein­flüstert. Nicht mal die von ihm ge­schwän­gerte O-90 rettet er dadurch, dass er sie im Naturvolk jenseits der Mauer unter­bringt, wo sie ihr illegales Kind bekom­men dürfte. I-330 über­nimmt dies für den Willen­losen.

Insofern bewahr­heitet sich tat­säch­lich dessen Sicht auf diese Welt: nämlich als einer gesetz­mäßig­en. Angeb­lich sei das Problem des Helden dessen „Phan­tasie“, die ihm später aus­gebrannt wird. Aber er war, ist und bleibt ein Gefü­giger – es geht um Verfüh­rung von außen, nicht um Phan­tasie. Ohne I-330 täte sich nichts in Wir, diesem Kammer­spiel aus zwei Personen – denn O-90 ist lediglich eine Nebenfigur. Der immer harm­lose D-503 ent­wickelt keine eigenen Gedan­ken, die zu Hand­lungen führen. 

3. Der Bruch: Skrjabin gegen Integral

Der erste Stoß ist ein Skrjabin-Gesell­schafts­abend. Die omni­potente I-330 als Pianis­tin trägt his­torisie­rende, weil körper­beto­nende Kleidung und spielt das antike Instru­ment. Sie war es, die D-503 ins „Audito­rium“ per „Befehl“ beor­dert hatte. Es ist ganz legal. Der Einzige Staat hat nichts gegen Skrja­bin, obwohl alte Musik an die Ära vor der KI-„Musik­fabrik“ erinnert, als Begeis­terung „eine Form der Epilep­sie“ war, also gefähr­lich sein müsste. Der ur­bür­ger­liche Abend – ein wei­teres wider­sprüch­liches Element – wird von fast allen Nummern schmun­zelnd beglei­tet, aber nicht ge­stört. Das ist alles andere als glä­serner Prolet­kult. Der Name des Kom­ponis­ten ist dem Helden offen­bar bekannt. Der hier ent­spannt wir­kende Staat duldet, dass Skrja­bin als Vertre­tung des vor­revo­lutionä­ren Mütter­chen Russ­land diesen treuen Diener D-503 auf eine unerklärliche Weise packt „wie ein Biß“, während die Num­mern um ihn herum „lachten“. Dann rastet er vor­läufig wieder ein. Leider bleibt offen, welches Stück die Ver­führe­rin I-330 spielt, oder ob es eine bestimm­te Stelle war, die den Eiferer auf einen Trip setzte. Der nun ver­wirrte D-503 ent­schul­digt sich für seine anar­chisti­schen Anflu­tungen und auch für bloße Träume. Ein Arzt des Staates, Lieb­haber von I-330, stellt fest – und es ist das bekann­teste Bild aus dem Roman neben den rosa Billetts: „‚Bei Ihnen hat sich offen­bar eine Seele gebildet.‘“

Ein sehr Gogol­scher Einfall.

Verhaftet wird der Held des­wegen nicht. Als wüsste der smarte Staat, dass D-503 weder eine unheil­bare „Seele“ noch eine gefähr­liche „Phan­tasie“ hat, sondern beides nur dann zeigt, wenn die Ge­liebte um ihn ist und Abwei­chungen einfor­dert. Sein Kippen wird allein durch eine freie Frau einge­leitet. Der Nerd wehrt sich gegen nichts.

Die staats­gefähr­dende Staats­vertre­terin I-330 ist eine un­aus­gear­beitete Figur, die beliebig aus dem System heraus D-503 in scho­ckie­rende Situa­tionen ent­führen darf. Also geneh­migt nach der Roman­logik die ratio­nale Kontroll­welt den Kontakt zur über­wunden ge­glaub­ten emotio­nalen, altrussi­schen Welt.

Die Doppel­agentin reißt den Helden mit sich, sie fliegen mit einem der Drohnen­taxis Rich­tung „Wirrwarr“, zum einzigen Über­bleibsel des Nicht­gläser­nen, sie besu­chen das „Alte Haus“. Dort treffen sie auf deren Con­cierge, die „Alte“, die die „toll­kühne“ I-330 als Stamm­gast begrüßt. Sie ist wie Skrja­bin ein Mütter­chen Russ­land und neben dem Wohl­täter die einzige alte Person im Kammer­spiel. Dieser Alt­bau, der Samjatins gut­bürger­liche Kindheit und Jugend spie­gelt, ist nichts Ver­botenes, er liegt zwar an der Grünen Mauer, aber eben inner­halb. Selbst die „end­losen Korri­dore“ im Keller lassen den Helden nie daran denken, sie könn­ten unter der Mauer hin­weg ins Neue ver­laufen. Er sucht solche Wege gar nicht. Immer­hin erlebt der Nerd mit I-330 nun Eifer­sucht, er will sie nicht teilen. „Ich bestehe doch nur aus Glei­chungen, Formeln und Zahlen – und nun plötz­lich dies! Ich begreife es nicht!“

Das Gefühl von kör­perli­cher Herkunft und Ver­gangen­heit über­haupt sickert ein. Die mit dem Staat irri­tie­rend eng zusam­men­hän­gende Honig­falle I-330, die mit vielen schläft, wirkt lange Zeit wie eine Fu­sion aus Julia und O’Brien in Orwells Dys­topie. Sie hat Macht und die Befug­nis, Regeln zu bre­chen, raucht Zigaret­ten, trinkt grünen Likör (Ab­sinth?), und ihre Wider­ständig­keit ist recht offen. Es bleibt rätsel­haft, wieso die Beschüt­zer nichts gegen den Vamp und ihre freie, alte Lebens­form unter­nehmen.

Einem dieser Revolu­tions­wächter petzt der ver­führte Held sein Erleb­nis münd­lich – und der ist amü­siert, ja gratu­liert ihm dazu, man kenne die I nicht anders. Mit ihr will D-503, ab jetzt ein Sklave, nun „reifen“. Sie lässt sich staat­licher­seits auf ihn „ein­tra­gen“, wird als Intim­partnerin unter­stützt, obwohl der nach allen Seiten gehor­same Held sie bereits privat ange­schwärzt hatte, ohne Folgen. Mehr noch: Sie droht ihrem neuen Lover, weil er sie eben nicht for­mell ange­zeigt hatte, was aber doch seine Pflicht gewes­en wäre.

I-330 betreibt belie­big auch die Geschäfte des Staa­tes, sie ist nicht nur ein wider­sprüch­licher Charak­ter, sondern nach den Bedin­gun­gen des Romans geradezu absurd. Wie konnte diese zwi­schen Sys­tem und Revolte wech­selnde Domina vom Autor ange­legt sein?

Wir, eine Versuchs­anord­nung, ist sehr schnell ent­standen, was wieder auf eine Meta-Weise zu dem Nerd passen würde, der vom Autor hin­durch­getrie­ben wird, im kompak­ten Zeit­raum von etwa vier Monaten. Ver­mut­lich konzi­pierte Samja­tin die Heldin kaum. Sie verkör­pert das Prinzip der maxi­malen Durch­rütte­lung des Nerds, emo­tional wie mora­lisch. Aber: Episch betrach­tet ist die Figur unhalt­bar. Was bleibt vom Konzept dieses Staates, wenn dessen Dys­funk­tion stets möglich ist?

Orwell stellte in einem Tribune-Arti­kel vom 4. Januar 1946 fest, dass seine (kom­mende) Haupt­konkurrenz­dysto­pie von 1932, Huxleys Brave New World, Sam­jatins Buch als Vorlage benutzt haben müsse: „The atmo­sphere of the two books is similar, and it is roughly speaking the same kind of society that is being descri­bed, though Huxley’s book shows less political aware­ness and is more influen­ced by recent biolo­gical and psycho­logical theories.”

Auf der anderen Seite hält Orwell die Todes­strafe und die Gott­figur als Kenn­zeichen des Totalita­rismus für so wesent­lich, dass diese Dysto­pie die Brave New World doch aus­sticht: „that makes Zam­yatin’s book supe­rior to Huyley’s.“

Wir ist rein litera­risch ein nicht sehr durch­gearbei­teter Schnell­schuss mit vielen Wider­sprüchen und manchen nur geträum­ten Szenen (Orwell: „it has a rather weak and episo­dic plot“), aber als Welt­ent­wurf strate­gisch genial. Der Staat fühlt sich nicht vom wilden Mütter­chen Russ­land bedroht, aber kann gar nicht auf etwas anderes rea­gie­ren, mangels äußerer Feinde und mangels Expan­sions­drang. Die Be­rührung der strup­pigen, anarchis­tischen Wilden von jen­seits der Mauer mit den glatz­köpfi­gen, unifor­mierten Nummern liegt bei: null. Der Welten­wand­lerin I-330 geht es gut, sie darf tun und lassen, was sie will, und den Nerd beglückt jeder Dienst. Wozu eine Rebel­lion? 

4. Der Aufstand: nutzloser Integral

Nicht mal die versuchte (Konter-)Revolution im Buch kann D-503 mitreißen. Während der großen 48. Wiederwahl des Wohltäters erheben sich in dessen Anwesen­heit plötz­lich „Tau­sende von Händen“, die „dage­gen“ sind, gegen die Bestä­tigung des ratio­nalen Gottes. Die Heldin hatte sich auch gemel­det – der Held nicht. Die Gegner lösen einen Tumult aus, unmo­tiviert, da bisher keine latente Unzu­frieden­heit der Masse mit diesem Staat spür­bar war. Struktur und Aus­rich­tung der Wider­stands­gruppe „Mephi“ werden kaum erklärt. Über ihre Ziele heißt es nur: „(…) auf daß der frische, grüne Wind die ganze Erde erfasse.“ Das ist das Pro­gramm. Die behaar­ten Mephis wollen nichts Böses, sondern fürchten ledig­lich, dass die Glas­welt sich auch noch aufs ganze All aus­breiten könnte. Aber im sie ernährenden Wald waren und wären sie sicher, der Staat greift sie nie an, dessen Truppe beschäf­tigt sich bloß mit der Groß­stadt­blase.

Die Wilden dringen offen­bar über das von den Beschüt­zern nie unter­suchte Tunnel­system des Alten Hauses in die Glas­welt ein und plaka­tieren dort freund­licher­weise zunächst ledig­lich ihren Namen auf die Schei­ben. Anfangs werden sie kaum ver­folgt, die Beschüt­zer brau­chen sehr lange, um zu rea­gieren. Die – wieder so inkon­se­quente – Schwäch­lich­keit dieses KI-Kom­munis­mus liegt trotz der Todes­strafe auf der Hand. Orwell schüt­telte 1946 den Kopf: „it is diffi­cult to believe that such a society could en­dure.” Aller­dings hatte Orwell Stalins Herr­schaft vor Augen, und als Wir ent­stand, hieß der Dik­tator noch Lenin, und nicht einmal die Neue Ökono­mische Politik war aus­gerufen – Samjatin schrieb in chao­tischen Zeiten.

Erst jetzt, nach dem Auf­stand, geht es hinaus: I schnappt sich D und führt ihn unter der Mauer hin­durch auf eine Wiese, „etwas wider­lich Weiches, Leben­diges, Grünes“. Was „hinter der grünen Mauer” liegt, erin­nert an Orwells „Gol­denes Land“ in 1984, ersehnt vom Helden Wins­ton Smith. Der phan­tasie­lose Held in Wir dage­gen hat sich wieder leiten lassen, und seine angeb­liche „Seele“ freut sich keines­wegs. Er trifft behaarte Nackte, die­­ seine Sprache spre­chen, die einen sind arka­disch Wei­dende, die anderen wilde Kämp­fer. Samja­tin als Kenner von H. G. Wells hat mit den Mephis eine Fusion aus Eloi und Mor­locks geschaf­fen. Endlich wird dem Helden die Lebens­alter­native leib­haftig vorge­führt – aber er denkt auch jetzt nicht über einen Aus­bruch nach, alles Wilde wird bloß an ihn heran­getra­gen. Was I-330 ihm ein­flüs­tert („Auch in dir ist wahr­schein­lich ein Tropfen Sonnen- und Wald­blut“) und was der Grund gewe­sen sein soll, weshalb sie ihn aus­suchte, erweist sich als blindes Motiv. Selbst lange nach seinem Aus­flug bleibt er staats­treu: „(…) in meiner letzten Minute werde ich dank­bar und erge­ben die stra­fende Hand des Wohl­täters küssen.“ Eine Schwer­kraft zieht ihn immer ins Glas­leben zurück. I-330 als sein größ­tes Aben­teuer ist eine nur halb ver­botene Affäre mit dem Unbe­kannten. Ihr Status bleibt bis zum Ende uner­klärt, aber seiner lautet: passiv.

Selbst als es um seinen hei­ligen Integral geht.

I als Anfüh­rerin des Wider­stands will das Raum­schiff kapern für den Angriff, wie einen Kampf­jet. Ihre inhalts­arme Begrün­dung: „Der Inte­gral ist unsere Waffe, mit deren Hilfe wir allem mit einem Schlag ein Ende machen können.“ Auch wohin es gehen soll, wird nicht gesagt. Die Kämp­ferin zieht D-503 in diesen diffus vita­listi­schen Wider­stand hinein, was dieser sofort akzep­tiert, seiner­seits auch ohne Begrün­dung. Sie erzählt ihm die MEPHI-Ge­schichte: Men­schen konnten sich dem System ver­wei­gern und sich jenseits der Mauer ent­ziehen: „Nackt flohen sie in die Wälder.“ Sie erklärt MEPHI mit „Anti­chris­ten“, was auf ein ehe­mals reli­giöses System hin­deutet („eure Vor­fahren, die Chris­ten“), also eine ganz andere Welt über tausend Jahre zuvor meint.

Selbst der Start des Raum­schiffs mit einge­schmug­gelten Rebellen an Bord ist ein totes Gleis. Er dient nur dazu, den Integral in die Hand­lung zu inte­grieren, denn es passiert nichts. Der Jung­fern­flug des glä­sernen Symbols erinnert an das Abhe­ben einer Mischung aus Kreuzer und U-Boot, wie eine Vor­weg­nahme des Steam Punk. Es startet und fliegt über echte Land­schaft und echte Menschen auf Pferden, dann sinkt die Maschine auf die Erde zurück, Bord­inge­nieur D-503 wird ohn­mäch­tig und erwacht in seinem Glas­zimmer in der Stadt. Gab es eine Bruch­landung? Das scheint den Er­bauer des Juwels gar nicht zu interes­sieren.

Was wurde inzwi­schen aus der Rebel­lion? Nicht sehr viel, außer dass man die Grüne Mauer „nieder­gerissen“ und viele Gebäude zer­stört hat, auch Billett-freie Liebe gibt es nun an eini­gen Stellen, aber die echten Men­schen lös­ten keine Massen­bewe­gung unter den Domes­tizierten aus.

Der angegrif­fene Staat scheint sogar Zeit zu haben: Der Wohl­täter ruft den ver­räteri­schen Held, der die Kape­rung des Integral durch die Mephis zuließ, per­sön­lich an und beor­dert ihn zu sich. Nach einer Pre­digt des Dikta­tors über die Sehn­sucht der Menschen nach Füh­rung darf D-503 raus­laufen, wird nicht bestraft. Weiß der Wohl­täter, dass seine lenk­bare Nummer nur aus Anstif­tung seine Ma­schine miss­brauchte? Der Herr­scher ist nicht mal bei seiner Abschluss­rede Auge in Auge mit dem Sünder ein Groß­inqui­sitor, sondern eher ein Grüß­august eines un­sicht­baren Algorith­mus, er fällt keine Ent­schei­dungen.

D-503 findet I-330 in seinem Glas­kasten vor. Sie hat zwar zunächst über­lebt, aber weiß, dass sie nun plötz­lich doch abge­holt werden soll, obwohl sie zuvor noch frei gewe­sen war. Man geht aus­ein­ander ohne Aus­sprache. Er selbst wird geschnappt für die Phan­tasie-Extrak­tion. Die OP verwan­delt ihn wieder in eine hinge­bungs­volle Nummer – so kannte man ihn eh. Er schaut zu, wie I-330 durch Gas gefol­tert, aber nicht gebro­chen wird, und weiß, dass ihr am nächs­ten Tag die Hin­rich­tung droht. Wozu die Folter? Warum soll sie ein „Geständ­nis“ ablegen und wel­ches sollte das sein? Es bleibt unklar, warum der fast all­mäch­tige Staat die Wider­ständler nicht einfach zwangs­ope­riert, was ratio­nal billi­ger und effek­tiver wäre, denn die Blitz­gehirn­wäsche ist bloß ein Bestrah­lungsakt. Der Autor brauchte offen­bar das drama­tische Element.

5. Rückblick

Samjatin bietet keine anrei­zende Alter­native zu diesem Staat, und das ist ja auch nicht die Auf­gabe einer Dysto­pie, aber es geht darüber hinaus, denn er hielt einen solchen Staat für lebens­fähig, zumin­dest für denk­bar. Das Alte Haus, die Alte, Skrjabin und Sex mit der hei­ßen I sind erlaubt, vor allem letzt­lich auch die gesamte dre­ckige Welt außer­halb. Drama­turgisch wurde Wir mit heißer Nadel ge­strickt und ist unter den großen Dysto­pien die hand­werk­lich schwächste. In der hasti­gen Zusam­men­fügung genia­ler erster Ideen erin­nert Sam­jatin an Philip K. Dick. Die Fülle von zeit­geisti­gen Würfen beein­druckt über hun­dert Jahre noch: Jedes seiner ein­geführ­ten futuris­tischen Ele­mente erweist sich heute als erhaben. Im Gegen­satz zu seinen fol­genden Konkur­renten im Ratten­rennen um die zutref­fendste Dysto­pie wagte Sam­jatin eine stre­cken­weise naiv wir­kende Durch­gestaltung, die in der Science-Fiction sonst fast immer bald ins Lächer­liche umkippt, aber selbst da, wo in Wir die Uto­pie abge­lehnt wird, bleibt sie das Kom­mende.

Kann man hier wirk­lich von einer Dysto­pie reden? Sehr wichtig ist, dass diese Zukunft als stabil dasteht und von D-503 nie ange­klagt wird. Dem Helden geht es kaum einmal schlecht. Er ist die Kari­katur eines Futu­risten, und Wir ist über­wiegend als Rück­schau auf frü­heste sowje­tische Perspek­tiven ange­legt und nicht so sehr als Voraus­blick auf eine grau­sige sowje­tische Zukunft. Stalin hatte 1920 noch nicht die Macht. Bürger Sam­jatin gab einem Prolet­kult nicht mal außer­halb der Mauer eine Basis. Arbei­ter spielen in Wir fast keine Rolle, Bauern gar keine, ebenso wenig Öko­nomie. Es ist ein Kam­mer­spiel zur kultu­rellen Bestands­aufnahme. Samja­tins erzäh­lerische Stärke liegt in der Gro­teske und Ver­frem­dung, das Gogol­sche Element (etwa wie in der Geschichte „X“ von 1926) bezeich­net sein Profil. Auf einer Meta-Ebene gedachte der Autor diesen fik­tiona­len Staat nicht abzu­schaffen, sondern wollte, dass beide Welten neben­einan­der gelten dürfen: Mütter­chen Russ­land und der tech­nische Auf­bruch.

Kein Bild

Jewgeni Iwanowitsch Samjatin: Wir.
aus dem Russischen von Gisela Drohla.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1984.
224 S., 12,803 EUR.

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