Sehnsucht nach Frieden

Kim Jun-tae dichtet in „Der Gesang der Wasserspinnen“ über Seelenzustände im geteilten Korea

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die zeitgenössische fernöstliche Dichtung, so auch die Kunst des 1948 geborenen, in Südkorea berühmten Kim Jun-tae, ist im alten Europa nahezu unbekannt. Wer poetisch Asien erkunden möchte, muss zudem hierzulande lange suchen, um taugliche Übersetzungen vorzufinden, denen man sich lesend, sinnierend und denkend anvertrauen kann. Korea ist somit auch sprachlich eine ganz andere Welt. Die vorgelegte Auswahl der Gedichte Kim Jun-taes gibt einen repräsentativen Einblick in das Werk des Poeten, der ersichtlich einem geteilten, vom Krieg zerrissenen und autoritären Regimen gequälten Land entstammt.

Jun-tae berichtet von „traurigen Gliedmaßen“, die „narbenübersät“ sind, von Menschen, die körperlich versehrt und seelisch verwundet sind. Das lyrische Ich erzählt von einer alten Frau, einer Großmutter, die auch beim Ackerbau, beim „Dreschen des Sesams“, das dem Stadtkind ein „unbeschreibliches Vergnügen“ bereitet und darüber nachsinnt, ob Menschen nicht auch schwungvoll verdroschen werden müssten, noch sanft bemerkt, dass niemand einem anderen die Köpfe abschlagen solle. Die Erinnerungen sprechen, scheinen auf, und kein Frühlingsduft mag sie vertreiben oder zerstreuen. Der Poet sucht nach Orientierung, nimmt „Menschen mit tränenumglänzenden Augen“ wahr und sieht in die Zeitgenossen die Sinnfragen eingezeichnet. Welchen Weg nimmt ein Mensch? Verliert er sich, sucht er danach? Der Weg sei, so mutmaßt der Dichter, der Körper, den jeder Einzelne mit sich trage. Doch ist der Körper schon die Antwort auf die Frage nach dem Sinn und Zweck der Existenz? Unvorstellbar sind die geschundenen, ja geschändeten Leiber, in die alles schmerzhaft eingezeichnet ist, Geschichte und Gegenwart, möglicherweise auch die längst verlorene Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Und dennoch bleibt die „überwältigende Freude“ des Erkennenden, der sieht, dass der Körper selbst der Weg ist oder sein könnte, der untrennbar, unverwechselbar zum Individuum, zur Person gehört. Tieftraurig klingen die Verse:

Sei heute nicht traurig
Sei heute nicht verzweifelt
Sei heute nicht mutlos
Wer traurig zum Himmel aufschauend
Tränen vergießt,
dem ist nicht zu helfen
Wer auf dem blauen Planeten herumwandernd
verzweifelt, mutlos ist,
dem kann niemand beistehen

Der Dichter weiß, dass solche Appelle gehört werden und im selben Moment verhallen, ernsthaft bedacht vermehren sie bloß die bittere Traurigkeit. Illusionslosigkeit scheint durch diese Verse hindurch. Wer nicht traurig nach oben schauen darf, tut dies erst recht und versinkt im Kummer. In dem geteilten Korea fliegen allein Vögel, so etwa Wildgänse über die „Stacheldrahtzäune“, die den Norden und Süden des Landes trennen. Gänsemütter und Gänseväter mit ihren Jungtieren fliegen darüber hinweg, in aller Freiheit, doch nur sie, niemand sonst. Die Vögel werden Kim Jun-tae zu Friedensboten, wenn er mit ihnen eine besondere Musik verbindet, denn sie tanzen über ein „Cello“, das vom Himmel bis zur Erde reicht, auf „blauen Saiten“. Das Cello erklingt und die Melodie ist einzig „Peace, Peace, Peace!“, versehen mit „Noten aus Liebe und Trauer“.

Von Liebe und Trauer erzählt Kim Jun-tae in seinen Gedichten, von Grenzsituationen des Lebens, von einem Land, in das Krieg und Traurigkeit, doch zugleich die unzerstörbare Sehnsucht nach Frieden eingezeichnet ist. In Korea werden Graugänse zu Hoffnungsträgern. Sie symbolisieren Unbeschwertheit, Freiheit, Schwebezustände, von denen so viele Menschen in Korea, im Norden und im Süden, träumen. Oder sind sie bereits resigniert, haben sie, durchaus verständlicherweise, alle Hoffnung auf Frieden und Versöhnung längst aufgegeben? Die Dichtungen von Kim Jun-tae laden ein, darüber nachzudenken.

Titelbild

Jun-tae Kim: Gesang der Wasserspinnen. Gedichte.
Hanju Yang, Jürgen Banscherus.
Iudicium Verlag, München 2024.
170 Seiten , 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783862056569

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