Machtspiele
Christian Haller trifft mit seinem Roman „Das Institut“ den Zeitgeist der 70er Jahre
Von Werner Jung
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIm neuen Roman des Schweizer Schriftstellers Christian Haller, dessen Prosatexten allen das Attribut autofiktional zugesprochen werden darf, geht es um die Geschichte des jungen Akademikers Thyl Ostherholz, der mehr oder minder uninspiriert nach dem Abschluss seines Studiums einen Gelegenheitsjob beim „Institut für Soziales“ antritt. Und – am Ende des Romans – verwundert feststellen muss, dass schließlich aus dem „überlangen Sommerjob“, wie es heißt, sechs Jahre geworden sind. Sechs Jahre, die auf der Zeitleiste zurückreichen in die 70er Jahre – bestimmt durch beginnende Wirtschafts- und Energiekrisen, Atompolitik und den Bericht des ‚Club of Rome‘, der das ganze Jahrzehnt beschäftigte. Das Institut, in dem der Ich-Erzähler zunächst als Sachbearbeiter tätig ist, um mehr und mehr in der Hierarchie aufzusteigen und endlich als Projektmanager zu arbeiten, geht auf die Stiftung eines Schweizer Philanthropen zurück. Hauptaufgabe und auf die Gründungsphase zurückreichende Leitmotive des Instituts sind die Erkundungen der Lebensbedingungen in modernen Gesellschaften, sind die Beschäftigung mit den Herausforderungen einer hochriskanten wie hochtechnisierten Zivilisation. Das Institut stellt so etwas wie einen Thinktank dar, der Kongresse, Tagungen und Symposien organisiert, hierzu alles einlädt, was weltweit Rang und Namen hat, etwa Fritjov Capra oder Ivan Illich. Was sich dabei vordergründig als nobles und seriöses Unternehmen geriert und von außen auch so wahrgenommen wird, entpuppt sich allerdings mitnichten als eine machtgeschützte Einrichtung. Vielmehr handelt es sich um eine von üblen Ränkespielen dominierte Institution, in der jeder dem anderen nicht grün ist, sexuelle Abhängigkeiten brutal inszeniert werden und es, wie Thyl einmal erkennen muss, sich ausschließlich um „Machtkämpfe“ dreht. Je mehr und näher Thyl in die Fangstricke der Institutsleitung gerät, ja einmal selbst kurzfristig so etwas wie eigene Macht zu verspüren meint, drohen ihm auch die Beziehung zu seiner Frau Isabella wie andere Sozialkontakte zu zerbrechen. Doch – metaphorisch gesprochen – gelingt ihm der Griff an die Reißleine, rettet ihn seine Beziehung – Isabella und er sind sich „unverlierbar geworden“, nachdem Thyl andere Affären ausprobiert und sich von seiner Frau zunächst entfremdet hat – und er vermag es, seine eigenen Interessen und Bedürfnisse wiederzufinden.
Wieder einmal hat Christian Haller einen realistisch gehaltenen, mit viel Gespür für den damaligen Zeitgeist ausgestatteten Roman geschrieben, der zusätzlich zur Erzählung des historischen Geschehens noch auf damalige (fiktive?) Tagebuchaufzeichnungen zurückgreift und dadurch das Zeitkolorit den Leser:innen noch eindringlicher vor Augen führt.
Thyls Jugendfreund Serge, der irgendwann beschlossen hat, der Schweiz den Rücken zu kehren und in den USA eine akademische Karriere zu riskieren, bleibt es vorbehalten, die Ideologie des Instituts in Gestalt seines aktuellen Leiters gnadenlos zu entlarven:
Aber entschuldige, wenn ich direkt bin, sagte Serge. Was ich gelesen habe, ist „Stammtischgerede“. Dein Institutsleiter ist genau der Typ, den Jacob Burckhardt Ende des 19. Jahrhunderts in einem Brief als eine gesellschaftliche Bedrohung bezeichnet hat. Ein „terrible simplificateur“, ein schrecklicher Vereinfacher.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
|
||