Fade To Black
In seinem Roman „Unter Wölfen“ teilt der Amerikaner John Wray Weltanschauungen nach Heavy Metal Genres auf
Von Sascha Seiler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDafür, dass Heavy Metal in all seinen Ausprägungen seit Jahrzehnten eine so beliebte Spielart der populären Musik ist, tut man sich in der Literatur verdammt schwer, diese zu fassen zu bekommen. Auf Anhieb fällt mir kein anständiger Metal-Roman ein, auch wenn es im Kleinen durchaus ehrenwerte Versuche gibt. Zu nennen wären hier Jenny Hvals Gott Hassen (in dem es unter anderem um Black Metal geht), vor allem aber John Darnielles Novelle Master Of Reality, die ursprünglich in der eigentlich essayistisch angelegten, britischen 33 1/3-Reihe erschien, mittlerweile aber als explizit literarisches Werk neu aufgelegt wurde.
Nun versucht sich der Amerikaner John Wray im vorliegenden Roman am Metal, und zwar nicht nur als Ausschmückung eines anders gelagerten Plots, sondern tatsächlich als zentralen Stoff. Ersichtlich wird dies bereits in der Aufteilung des Romans in drei Segmente: „Venice Death“, „L.A. Glam“ und „Bergen Black“. Das heißt für Leser, die in Sachen Metal nicht so bewandert sind: Die Death-Metal-Szene im Florida der späten 80er, die Bands wie die bis heute kultisch verehrten Death oder die noch aktive Legende Cannibal Corpse einschließt. Diese lässt sich als Gegenbewegung zum in den 80ern allgegenwärtigen, in L.A. beheimateten Glam-Metal um Szene-Ikonen wie Mötley Crüe, Poison oder Hanoi Rocks verstehen. Und schließlich der vor allem in Norwegen zu lokalisierende Black Metal, der dort Anfang der 90er für eine musikalische wie weltanschauliche Weiterentwicklung (oder sollte man sagen „Nihilisierung“?) des Death Metal steht.
Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass Wray sein Sujet sehr ernst nimmt, sich zudem sehr gut auskennt und vor allem die gesellschaftlichen Projektionen, die diese Genres implizieren, in den Mittelpunkt seines Romans stellt, was durchaus positiv zu bewerten ist. Er ordnet die mit den drei Genres verbundenen Weltanschauungen jeweils seinen drei Hauptfiguren zu. Das Dionysische Moment des Death-Metal, in dem gesellschaftlich bedingte Aggression ein künstlerisches Ventil findet; ein oft comichaftes Rekurrieren auf tradierte Horror-, vor allem Gore-Klischees, das aber stets im kontrollierten Rahmen der musikalischen, lyrischen und körperlichen Performance bleibt. Dieses Prinzip wird von der zentralen Figur Kip verkörpert; Sohn einer drogensüchtigen Mutter mit wechselnden, zuschlagenden Liebhabern, der als Teenager in die Obhut seiner in Venice/Kalifornien lebenden Großmutter gegeben wird.
Dort lernt er den in dieser aus weißer Mittelschicht und Trailerpark-Unterschicht zusammengesetzten Bevölkerung schwarzen, homosexuellen, von einem älteren jüdischen Ehepaar adoptierten Glam-Metal-Fan Leslie kennen, der ihn, eher unfreiwillig, in die Welt des Thrash-Metal einführt. Leslie ist eine in der Redneck-Welt Floridas unwahrscheinliche Erscheinung: Ein flamboyanter, junger, auch noch schwarzer Schwuler, der in Glitzerfummel durch die Straßen läuft und der Artifizialität und aufgesetzten Androgynität des Glam-Metal frönt, die im krassen Widerspruch zur aufkeimenden Death Metal-Szene aus Floridas Sümpfen steht. Während die Kids ihre Wut und Aggression auf Konzerten von Death, deren Bandleader Chuck Schuldiner einer von ihnen ist, herauslassen, begleitet sie Leslie, unsterblicher Fan der Poser-Combo Hanoi Rocks, zwar aus Liebe zum Metal auf die Konzerte, muss aber wiederholt Schläge von rassistischen, homophoben Hinterwäldlern (die dann aber doch heimlich Sex mit ihm haben) einstecken.
Die Cousine eines dieser Rednecks ist Kira, die tatsächlich aus dem Trailerpark stammt und dort mit ihrem prügelnden und sie möglicherweise auch sexuell misshandelnden Vater wohnt. Kira ist tough und kompromisslos wie niemand anderes in der Gegend, sie ist der Größte Death-Metal-Fan, irgendwas fehlt ihr an der Musik, man weiß nur noch nicht was.
Natürlich verliebt sich Kip in Kira, der Anfang einer jahrelangen On-Off-Beziehung, die das emotionale Zentrum dieses Romans bildet. Leslie im Schlepptau machen sich die beiden also eines Tages auf nach L.A., entkommen der Death-Metal-Hölle, um in den Glam-Sumpf L.A.s einzutauchen, in dem vor allem Leslie sich zunächst pudelwohl fühlt. Doch die aufgetakelten, auf androgyn gestylten Rockstars des Sunset Strip sind, wie jeder Metal-Fan, der die Mötley Crüe-Biographie The Dirt gelesen hat, weiß, alles andere als schwul, sondern die größten misogynen, homophoben Frauenhelden, die man sich vorstellen kann. Und das Buch wird, zum Leidwesen des geschundenen Leslie, dunkler. Richtig düster wird es allerdings erst, als Kira die E.P. einer neuen, noch unbekannten norwegischen Band namens Mayhem in die Hände fällt, mit der sie endlich ein Gefühl der Erlösung zu spüren scheint, etwas, das „echt“ ist. Auf einem Europa-Trip mit Kip hören sie als Vorgruppe eines Cannibal Corpse-Gigs eine obskure norwegische Black Metal Band und Kira verschwindet.
In seinen ersten beiden Teilen ist Unter Wölfen teils Coming-of-Age-Roman, teils durchaus gelungene literarische Sozialstudie, die sich an der Ästhetik der thematisierten Metal-Genres entlanghangelt. Dabei begegnen den Protagonisten wiederholt echte Protagonisten wie Chuck Schuldiner oder später sogar in einer gelungenen Slapstick-Szene Mötley Crüe-Sänger Vince Neil. Problematisch wird das Buch allerdings im dritten Teil, denn Wray kann sich nicht entscheiden, ob er den Black Metal als okkulte, extremistische, durchaus ausdrucksstarke Bewegung ernst nehmen soll oder sich doch eher an der misslungenen, weil viel zu ironisch-despektierlichen Verfilmung der legendären, wenn auch ideologisch umstrittenen Black Metal-Oral History Lords Of Chaos orientiert. Die Hauptprotagonisten der norwegischen Szene, Euronymous und Varg Vikernes, haben nicht nur Kurzauftritte wie Schuldiner oder Neil, vor allem Vikernes wird zu einem der Hauptprotagonisten des dritten Teils, sekundiert von Emperor-Gitarrist Samoth, der sich durchweg wie ein kompletter Vollidiot verhält. Sogar zum legendären Brandanschlag auf die Skjold-Kirche in Vindafjord wird Kip von beiden mitgenommen, was für den Leser irgendwann nur noch albern ist, da man sich wie im Film Forrest Gump vorkommt, in dem die Hauptfigur ja auch ständig in bedeutende historische Ereignisse hineinretouchiert wird. Am Ende steht dann auch noch ein okkulter Krimi-Plot, den man mit viel gutem Willen als konkrete Folge eines sektiererischen Glaubens an ein Musik-Genre sehen kann.
Vielleicht liegt es auch daran, dass der Black Metal auserzählt ist, dass man die Geschichten um Euronymous und Vikernes mittlerweile auswendig im Schlaf aufsagen kann, dass dieser letzte Teil, vor allem im Vergleich zum als Sozialstudie perfekt funktionierenden Death-Metal-Segment sowie dem mit feiner Ironie die menschlichen Abgründe unter dem lächerlichen Glamour herauskehrenden L.A.-Episode, nicht mehr zünden mag.
Als Ganzes aber ist Unter Wölfen ein wirklich gelungener Versuch, die gesellschaftliche Bedeutung des Heavy Metal als Gesamtbewegung anhand dreier Fallbeispiele einzufangen und sogar zu einer sehr spannenden, wenn auch nicht unbedingt immer tiefgründigen Handlung zusammenzuspinnen. Immerhin.
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