Frei von Schuld

Clara Viebigs Roman „Absolvo te“ leidet zwar an der einen oder anderen Schwäche, ist aber dennoch lesenswert

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Clara Viebig war eine vielseitig begabte Literatin, die in entsprechend vielen Genres unterwegs war. So etwa dem sogenannten Heimatroman, dem sie im Weiberdorf  ganz neue Seiten abgewann, dem Berlinroman, dem (feministischen) Syphilis-Roman, dem historischen Roman und nicht zuletzt dem Antikriegsroman.

Das 2025 vom Rhein-Mosel-Verlag herausgegebene Buch Absolvo te ist allerdings keinem dieser Genre zuzurechnen, sondern dem – wenn es diese Bezeichnung gibt – Posen-Roman, denn es handelt sich um eines jener Werke, die Viebig in dem polnischen Landstrich angesiedelt hat. Genauer gesagt spielt das Geschehen auf einem Bauernhof sowie im Wirtshaus des unweit gelegenen Ortes. Die Figuren sind fast durchweg schwache, oft ungebildete oder eingebildete Charaktere. Wenn es eine Ausnahme gibt, dann „die schöne Frau Tiralla“, die als Protagonistin zur tragischen Identifikationsfigur taugt.

Als junges Mädchen war sie von ihrer Mutter des Geldes wegen unter Prügel dazu gezwungen worden, den wesentlich älteren Gutsbesitzer Tiralla zu heiraten. Das ist anderthalb Jahrzehnte her und inzwischen hat sie selbst eine 13-jährige Tochter. Warum sie erst nach dieser langen Zeit aufbegehrt und Mordpläne gegen ihren verhassten Ehemann schmiedet, wird nicht recht deutlich.

Jedenfalls wird die noch immer junge und attraktive Mutter von allen Männern des Dorfes begehrt, so dass im Wirtshaus auch schon mal ein handfester Streit ausbrechen kann. Am stärksten verfallen ist ihr der Dorfschullehrer, der sich für etwas Besseres hält.

Wohl aufgrund ihre betörenden Wirkung auf Männer neigt die Erzählstimme dazu, sie als femme fatal zu denunzieren. Sie, wie von anderer Seite geschehen, mit Madame Bovary zu vergleichen, ist ebenfalls eine Herabwürdigung der Figur. Zwar leidet sie ebenso wie diese an einer unglücklichen Ehe. Doch richtet sie ihre sehr berechtigten Aggressionen nicht gegen sich selbst, sondern gegen ihren Mann. Bei den verschiedenen Versuchen, ihren Gatten zu töten, stellt sie sich allerdings völlig unüberlegt und dilettantisch an.

Besagter Ehemann wiederum ist ein ältlicher, verbrauchter Witwer, der zunehmend der Trunksucht verfällt. Dabei meint der „ungefüge Mann“, er müsse der Herr im Haus sein und seine Frau habe ihm zu gehorchen, denn er sei qua Geschlecht „derjenige, der zu bestimmen hatte!“. Das ist aber bestenfalls eine Selbsttäuschung. So ist er denn auch bereit, seine unwillige Frau zu vergewaltigen. Denn „wenn man eine hübsche Frau besitzt, will man doch auch etwas von ihr haben.“ Nämlich das, „was einem gesunden Mann zusteht“. Und „wenn sie auch nicht wollte – am Ende war er doch stärker“. Auch seiner „dumm-verschmitzt[en]“ Magd gegenüber würde er sich sicher als der Stärkere erweisen. Das wäre aber gar nicht notwendig, ließe sie seine sexuelle Übergriffe doch gerne über sich ergehen. Die Magd jedenfalls ist tatsächlich nicht sonderlich wählerisch, wenn es darum geht, mit wem sie eine Liebeleie, die man kaum Liebschaft nennen möchte, eingeht. So hat sie manches Schäferstündchen mit dem Knecht, zu dem sie immer wieder „heimlich […] schleich[t]“. Auch ihrem Herrn gegenüber wäre sie nicht abgeneigt, „wenn der Alte nur wollte, sie würde schon wollen“.

Hat dieser selbst eine wesentlich jüngere Frau geehelicht, so will der Herr des Hauses auch seine zu Beginn 13-jährige Tochter möglichst bald verheiraten. Denn „ein Frauchen kann gar nicht jung genug sein“. Die aber hat ganz andere Pläne beziehungsweise Visionen. Das „zum Beten allzeit bereite“ Kind will später einmal als Braut Christi ins Kloster. In einem ihrer Schübe religiösen Wahns nimmt Jesus gegen Ende des Romans in einer ihrer Visionen die Gesichtszüge eines von ihr uneingestandener Maßen begehrten Mannes an.

Ein besonderes Fest im Ort ist der Dorfball. Für ihn staffiert Herr Tiralla seine Frau voller Besitzerstolz aus, „wie ein Züchter, der einen Preis holen will für sein gut gehaltenes Stück Vieh“. Damit ist eigentlich schon alles über das eheliche Verhältnis gesagt. Oder doch fast alles. Dort, auf dem Fest, sticht Frau Tiralla alleine schon deshalb unter all den anderen, von der Erzählstimme genausten taxierten, Frauen und jungen Mädchen hervor, weil diese ausnahmslos „nach einer Schablone frisiert“ sind. Doch nicht nur die Balldamen werden beurteilt, sondern auch die anwesenden Herren. Diese allerdings nach ihren Tanzkünsten, die, je später der Abend wird umso stärker nachlassen. Ebenso ihr Interesse an ihren gegenwärtigen Tanzpartnerinnen und Ehepartnerinnen in spe. Dafür aber werden ihre Annäherungsversuche an die schöne Gattin des Gutsbesitzers umso tumber.

Etliche Monate später finden sich der vom Militärdienst zurückgekehrte Sohn aus der ersten Ehe des Herrn Tiralla und dessen fescher Kamerad auf dem Hof ein. Letzterer kennt zwar keine „Menschenfurcht“, wohl aber ängstigen ihn „die Gespenster der Nacht“. Überhaupt sind fast alle Figuren ebenso religiös wie abergläubisch und glauben gleichermaßen an die christlichen Mythen wie an Gespenster, Geister und Hexen – und ganz besonders natürlich an Hölle und Teufel. Nicht ganz so überzeugt von all dem sind nur einer der Wirtshausbrüder und auch der Herr Tiralla. So thematisiert der Roman die verheerende Wirkung beider, der Religion und des Aberglaubens, die gemeinsam dazu beitragen, die Menschen dumm zu halten, und noch einiges Schlimmeres anrichten. Merkwürdig nur, dass der Schluss des Romans „die gebietende Kirche“ rehabilitiert. Spricht sie die Protagonistin doch von ihrer Schuld frei. Gerade so, als stehe ihr das zu.

Abschließend noch ein Wort zum Stil und zur Erzählweise. Die Autorin gestattet es der Erzählinstanz, tief ins Innere aller relevanten und in das einiger weniger relevanten Figuren zu blicken, und zeigt dabei, wie schnell sich deren Gedanken und die Gefühle, die sie für einander hegen, ändern. In Zwiegesprächen geschieht dies gar oft mehrfach durch fehlgedeutete Gesten, missverstandene Blicke oder falsch interpretierte Worte. Dies zu zeigen und nicht zu behaupten, gelingt Viebig meisterlich.

Titelbild

Clara Viebig: Absolvo te. Roman.
Rhein-Mosel-Verlag, Alf/Mosel 2025.
274 Seiten , 13,50 EUR.
ISBN-13: 9783898011273

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