Die Enttäuschungen der Moderne

Aufsätze von Alfred Pfabigan über Marinetti und die Österreicher

Von Charlotte IndenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Charlotte Inden

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Moderne ist ein weites Feld. Doch Alfred Pfabigan hat dunkle und halbdunkle Nischen gefunden, die nach seinem Empfinden einer gründlicheren Beleuchtung bedurften. So ist denn sein neuestes Werk eine Aufsatzsammlung über bislang zu wenig beachtete Gründe für "Die Enttäuschung der Moderne".

Zeitpunkt ist die Jahrhundertwende, der Aufbruch in das 20. Jahrhundert. Wir wissen um die Kriegsbegeisterten von 1914, kennen Marinetti und die Futuristen, Sigmund Freud und die Psychoanalyse, Max Adler und den Austromarxismus. Doch was sie alle eint, was Pfabigan sie alle zusammenfassen lässt, das sind die Enttäuschungen ihrer Zeit.

Da wäre also Filippo Tommaso Marinetti, der Begründer des Futurismus, der wegen seines faschistischen Engagements in der Forschungsliteratur oftmals einem "Berührungsverbot" zu unterliegen scheint. Marinetti und Mussolini, was sie trennte und einte. Beide erlebten sie, was sämtlichen Kriegsbegeisterten widerfuhr, das Desaster des Krieges. Doch der gemeinsame Weg war kurz, Mussolinis Kompromissbereitschaft gegenüber den Kräften der Vergangenheit groß. Als Duce entdeckte er die Kunst des Realismus wieder. Marinetti war enttäuscht.

Alfred Pfabigan schildert die Verknüpfungen und Verbindungen in den Interessen dieser beiden Männer genau. Ihm geht es um die Erkenntnis, dass Faschismus und Futurismus als wechselseitig prägend zu werten sind. Und deshalb, Marinetti als das hinzustellen, was er in ihm sieht, einen der "hellsichtigsten Theoretiker der Moderne".

Die österreichische Moderne. Freud und Adler im Kontext des Wiens dieser Jahrhundertwende. Freud, erfahren wir, leistete Vermittlungsarbeit, bot die Perspektive eines "muddling through" die Weltuntergangs- und Welterneuerungsgefühle, schaffte einen Schutzschild gegen die Enttäuschungen der Moderne. Adler und seine Sonderform des Marxismus finden ihren Platz in der "Wiener Moderne". Sie trägt das Gefühl von Ende und Wende in sich, von der Trauer um das Alte und vom Schock über das Neue. Und diese Mischung ist nicht untypisch für die österreichische Moderne, die nie die Radikaliät eines Marinetti aufgewiesen hat.

Auf "Marinettis Präventivkrieg gegen die Enttäuschungen der Moderne" lässt Pfabigan ausschließlich Betrachtungen über die Rolle Österreichs und die der Österreicher in jener Zeit folgen. Und Nachdenkliches über die Folgen: die Moderne und der Heimatverlust. Die Moderne und die österreichische Nationendebatte. Die Frage nach der Identität des Menschen wird gestellt. Der Identität womit? Hier eben sieht Pfabigan das Problem: sähe Österreich sich heute als Nation, wäre seine Handlungsfähigkeit gestärkt.

Was Alfred Pfabigan meinte erneut durchleuchten zu müssen, ist nichts, was zuvor in absoluter Finsternis gelegen hat. Er eint schlicht seine Aufsätze, die er seit 1989 sammelte, indem er ihnen den Stempel der "Enttäuschungen" aufdrückt, selbst wenn sie diese gar nicht thematisieren. Dann schreit es nur hin und wieder als Legitimation "Enttäuschung" aus dem Text, nett eingebunden und im Nebensatz abgehandelt.

Marinetti und die Österreicher erscheinen nicht in endlich erleuchtendem Licht durch ihr Nebeneinander, stehen aber in einem neuen. Querverbindungen lassen sich immer ziehen, doch die Moderne bleibt ein weites Feld.

Titelbild

Alfred Pfabigan: Die Enttäuschung der Moderne. Essays.
Sonderzahl Verlag, Wien 2000.
192 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3854491662

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