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John Felstiners Beitrag zur Celan-Forschung

Von Christina LangnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Langner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer war Paul Celan? Die meisten Leser, und sogar treue, begeisterte Anhänger werden eine nur unklare Vorstellung von dieser literarischen Ausnahmefigur des zwanzigsten Jahrhunderts haben. Dies macht die Interpretation der Schriften des Dichters nicht eben leichter. Das Werk Celans erfordert, sich seiner Person anzunähern. Kein leichtes Unterfangen. Eine Ursache dafür ist, dass die Öffentlichkeit zu Celans Lebensgeschichte in weiten Teilen keinen Zugang hat. Celans Ehefrau, eine französische Grafikerin, hat nach dem Freitod des Dichters dessen Wünschen entsprochen und die Begrenzungen für den Nachlass in einer Form ausgeweitet, dass diese ihresgleichen sucht. Nahezu sämtliche Hinweise auf persönliche Erfahrungen, die im Werk des Dichters nachwirken, scheinen wie ausgelöscht für den Leser und die Forschung.

Jede Hilfe bei der Interpretation wird somit mehr als begrüßt, da macht John Felstiner mit seiner Biographie keine Ausnahme. Der amerikanische Literaturwissenschaftler will, nach eigenen Worten, dem Leser mit diesem Buch eine "biographische und textanalytische Studie" zu Leben und Werk des Dichters anbieten. Seine mehr als zwanzigjährige Recherche und seine spürbare Leidenschaft für Dichter und Werk liefern beste Voraussetzungen für eine solche Zielsetzung. Gleichwohl will ihm sein Vorhaben nur in Ansätzen gelingen.

Der Autor durchleuchtet Celans literarisches Werk auf seinen biografischen Entstehungshintergrund hin. Eine Biografie im herkömmlichen Sinne legt er nicht vor. Hier führt die deutsche Titelgebung den Leser in die Irre, dafür erfährt man zu wenig an Fakten. Ein wenig wird berichtet von den Kindertagen des Dichters in Czernowitz/Bukowina, von der Zeit, als er noch Paul Antschel hieß und von seinem Medizinstudium in Frankreich, das er nach Kriegsausbruch nicht fortsetzen konnte. Celans emotionale Verwundung über die Ereignisse der frühen Kriegstage leuchten auf in "Finsternis" und "Notturno". Datierungen von Gedichten und Übersetzungen werden mit biografischen Zäsuren in Beziehung gesetzt.

Bei seinen Interpretationen jedoch kratzt Felstiner nur an der Oberfläche, da wo er tiefer gehen sollte, schneidet er sich selbst das Wort ab. Er zitiert Entwicklungsstufen von Gedichten und unterlegt diese mit Zitaten diverser Dichter. Weitere Folgerungen werden daraus kaum gezogen. Auch Auswahl der Gedichte scheint über weite Strecken eher willkürlich gewählt als mit einer konkreten Absicht des Autors verbunden.

Die Sinndeutungen zu Celans Gedichten wirken an vielen Stellen hilflos, Felstiners "Interpretationen" sind vielmehr Nacherzählungen, die schlichtweg die Verse Celans in Prosa umsetzen. Zufriedenstellende Auslegungen lässt diese Lektüre vermissen. Felstiner hat selbst erkannt, dass "Celans Schriften den Leser vor Rätsel stellen", doch er sieht seine Aufgabe offenbar nicht darin, Lösungen anzubieten.

Bei aller Kritik, Felstiners Verdienst liegt in der Aufdeckung von Textzitaten aus der jüdischen Tradition und der Konzentration auf Celans deutsch-jüdische Identität. Die Titelgebung des amerikanischen Originals, "Paul Celan: Poet, Survivor, Jew" erschien 1995 und gibt sehr viel konkretere Hinweise auf den Inhalt von Felstiners Buch. Prägendstes Erlebnis war für Celan jene Nacht im Juni 1942, in der seine Eltern verschwanden. Er selbst versteckte sich und entging so der Deportation durch die Nationalsozialisten. Selbstvorwürfe, an der Ermordung der Eltern mitschuldig zu sein, erkennt Felstiner zu Recht in "Todesfuge", Celans wohl berühmtestem Gedicht. In einer schockierend surrealen Bildersprache verwebt er die Gefühlskälte, die barbarischen Handlungen der Nazis und den Völkermord mit eigenen Erinnerungen an das Musizieren im Arbeitslager seiner Heimatstadt, in dem er selbst seit 1941 Zwangsarbeit hatte leisten müssen. Viele Gedichte erscheinen als imaginäres Gespräch mit der ermordeten Mutter und sind durchdrungen vom Holocaust.

Felstiner zeigt hier sein großes Wissen über das Judentum. Er hebt Celans Aufmerksamkeit für die hebräische Sprache und Kultur heraus und unterstreicht die jüdische Tradition. In einigen Gedichten spürt Felstiner Wortspiele auf, die ihren Ursprung im Hebräischen haben und deren Anspielungen im Deutschen nicht zu erkennen sind. So existiert beispielsweise dasselbe Wort für die Bedeutungen "Beschneidung" und "Wort".

Unverkennbar begreift Felstiner Paul Celan als religiösen Dichter. Ob das wirklich zutrifft, darüber lässt sich sicherlich streiten. Der Fehler Felstiners liegt jedoch darin, dass er Celan auf seinen jüdischen Hintergrund begrenzt. Das ist eindeutig zu wenig und verkennt die Komplexität des Dichters.

Felstiners Vorgehensweise birgt noch ein weiteres Problem. Celan erscheint durchweg als ein von seinen Erinnerungen an den Holocaust gepeinigter Dichter. Sein ganzes Leben wird hier so qualvoll, ja als zu qualvoll beschrieben, als dass es real sein könnte. Die Konzentration auf das unglaubliche Leiden des Dichters schafft ein allzu düsteres Bild von Celan. Die ihn prägenden Holocausterlebnisse dürfen auf keinen Fall ausgeblendet werden, das steht außer Frage. Ausgeblendet werden dürfen gleichwohl nicht sein Übermut, seine Gesundheit und die von ihm so wunderbar verfassten erotischen Verse.

Der "Biographie" mangelt es an ausführlicheren Informationen über Celans alltägliches Leben, über den Menschen Celan. Felstiner neigt zur Mystifizierung dieser Figur und verzichtet auf all die kleinen Details, die Celan davor verschont hätten, ihn als schon fast heilige Figur erscheinen zu lassen.

Titelbild

John Felstiner: Paul Celan. Eine Biographie.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Holger Fliessbach.
Verlag C.H.Beck, München 2000.
430 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3406459196

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