Verfallstag vorbei!

Frédéric Beigbeders Buch "Ferien im Koma"

Von Oliver SeppelfrickeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Seppelfricke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den Waren, die noch kein Mindesthaltbarkeitsdatum tragen, gehört das Buch. Das ist nicht immer von Vorteil. Denn so sind allerhand Bücher auf dem Markt, Übersetzungen zumal, die schon zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung das Gepräge der Vergangenheit tragen. Frédéric Beigbeders Bücher aus den neunziger Jahren, die der Rowohlt Verlag nun nach dem Megaerfolg von "39,90" sukzessive auf den Markt bringt, gehören zu dieser Ware. 1994 in Frankreich erschienen, war sein Szenebuch "Ferien im Koma" eine ironisch-kritische Eloge auf das Partyleben der wilden Neunziger, die mit dem Untergang der New Economy und mit dem Ausfall der leicht verdienten Werbemillionen nun endgültig ausgefeiert sind.

Im Mittelpunkt des Werks steht das Party-, Paarungs- und Szeneleben der wilden und glanzvollen Neunziger und mit ihm Marc Maronnier. Es ist Frédéric Beigbeders literarisches alter ego. Eine Figur, von der der Autor sagt, dass er es "selber sei, nur noch viel schlimmer."

In einem "Selbstkritik statt Vorwort" genannten Vorwort versucht Beigbeder nach Art der captatio benevolentiae die Gunst der heutigen Leser zu erlangen, indem er sein Werk in den Boden stampft (oder handelt es sich hier um gnadenlose Ironie? Bei diesem Autor liegen Größenwahn und satirisches Talent so eng beieinander, dass man hier kaum zu unterscheiden weiss): den "Gatsby" des ausgehenden Jahrtausends habe er schreiben wollen, mindestens einen zweiten "Ulysses", herausgekommen sei aber nur ein Romänchen, dessen Idee naiv ist (so sagt es der Autor, die Einheit von Ort, Raum und Zeit meinend), dessen Thema banal ist (Party, Party, Party) und dessen Titel schlecht (die großen wie "Geschlossene Gesellschaft" oder "Reise ans Ende der Nacht" waren leider schon vergeben).

Marc Maronnier, mit 27 Jahren auf Partys lebensklug geworden, berichtet für die Hochglanzmagazine dieser Welt über den Klatsch und Tratsch aus Paris. Er kennt jeden, keine bedeutende Party entgeht ihm, so auch heute nicht: Kurz vor 19 Uhr erhält er die bislang geheimgehaltene Einladung zu Paris' neuestem Schrei, zu einer neuen Nobeldisco, die den bezeichnenden Namen "Das Klo" trägt. Schließlich handelt es sich hier um Lokalitäten an der Stelle einer ehemaligen Pariser Toilettenanlage und der Name stand Pate für ein Konzept: Die Tanzfläche hat die Form einer Klobrille, regelmäßig wird sie abgesenkt und von einer gigantischen Wasserspülung überflutet - ein Heidenspaß im Pariser Nachtleben. Doch an Marc Maronnier geht dieser (erfundene) Spuk fast vorbei. Denn er will auf dieser Party bloß das, was er schon immer will: sich verlieben. Doch bis es soweit ist, will er in jedem Fall schon einmal Spaß haben, soll heißen Sex. Und so lernt man im Laufe der zwölf Stunden der Romanhandlung allerhand plumpe und geschickte Anmachversuche kennen, streift mit dem von den Nöten der Einsamkeit und des Körperfrustes getriebenen Maronnier durch die Tücken und Feinheiten des Nachtlebens, durch diesen Kontakthof der Eitelkeiten und diesen Netzknoten der Neurosen. Man stolziert mit allerhand erfundenen und tatsächlichen Durchlauchten und dem Personal des üblichen Party-Jet-Sets über Ausschweifungen kulinarischer und fleischlicher Art hinweg, diskutiert die neuesten Moden und Albernheiten im Kleidungs-, Musik- und Schönheitsmarkt, und am Ende fließt sogar echtes Blut. Die Gaudi hat schließlich Grenzen. Marc Maronnier hat am Ende dieser Nacht schließlich nicht nur seinen Spaß, sondern auch seine Liebe gefunden - zumindest für Tage, bis zum nächsten Fest!

Man liest dieses Werk mit gemischten Gefühlen: Einerseits überzeugt es durch seinen Witz, seine Ironie und seinen Einfallsreichtum, mit dem die Schlachten um Essen, Aufmerksamkeit und Frauen bissig kommentiert werden. Andererseits werden nur diejenigen an diesem Anspielungsfeuerwerk und an dieser Verspieltheit ihre Freude haben, die die Namen, Orte und Ereignisse kennen, die hier im Wildwasser des Dauergesprächs und der Kloanlage durchgespült werden. Und das sind nun einmal eher die Franzosen, insbesondere die Pariser. Aber auch hier gilt, was schon für Beigbeders Werbesatire galt: Auch wer die Welt aus "39,90" nie erlebt hat, konnte scharfsinnige und lustige Analysen der Werbemacht nach Hause tragen. Und das gleiche trifft auch auf "Ferien im Koma" zu: Im überdrehten Partygeschwätz kann auch der scharfsinnige Beobachtungen über Leute, Milieus, Plätze und über die mediale Verfasstheit unserer Wirklichkeit machen, der am Partyleben keinen Anteil hat - kurz: Wer noch einmal die Launen und Überspanntheiten der Neunziger spüren will, wer die sentimentale Erziehung eines juvenilen Helden im Spaß- und Drogenmilieu des vergangenen Jahrzehnts erleben will, der liegt mit diesem Buch des geistreichen Zynikers, des romantischen Spötters und hedonistischen Satirikers Beigbeder richtig. Dem nichts so ernst ist wie der Spaß!

Titelbild

Frédéric Beigbeder: Ferien im Koma. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Brigitte Grosse.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002.
160 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3499231913

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