In das Nichts, die absurde Welt gestellt

Julia Schochs surrealistische Erzählungen "Der Körper des Salamanders"

Von Evelyne von BeymeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Evelyne von Beyme

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So verschiedenartig die neun Erzählungen in Julia Schochs Debüt "Der Körper des Salamanders" ihrer Handlung nach auch scheinen mögen, es ist mehr als nur eine Gemeinsamkeit, die die Geschichten zu einem Buch zusammenbindet. Sei es das karge Dahinleben einer weiblichen Rudermannschaft nahe des Schielowsees, das veraltete Lichtspieltheater mit seinen ausbleibenden Besuchern oder das Liebespärchen, das in einer osteuropäischen Stadt anhand von Würfelspiel-Diagrammen den Sinn des Lebens zu erfassen sucht. Alle Erzählungen der jungen Schriftstellerin spielen irgendwo im Osten Deutschlands oder Europas, alle an einsamen, verlassenen Orten. Dabei ist der Osten viel mehr als bloß eine Himmelsrichtung für die Romanistin. Statt farbprächtigen wählte die Ostdeutsche für ihre Figuren vielmehr karge, spröde Gegenden, "die noch nicht vollständig mit Bildern besetzt sind."

"Hatte ich den Platz, der damals schon aussah, als sei er etwas Übriggebliebenes, erst einmal erreicht, wollte ich ganz still stehen [...], vor meinen Augen sollte es schimmern und die Dinge verzaubert liegen. Ich wollte [...] mir eingestehen, daß mit Worten darüber nichts zu sagen war, und gereift wollte ich zurückkehren, ein Stück Illusion verloren oder wiedergeholt, das würde sich entscheiden, aber ein warmes Gefühl sollte sich über die Erinnerung legen, nur bei Realität betrachtet." Mit diesem Gedanken begibt sich eine Journalistin an den Platz ihrer Kindheit. Doch die biographisch angelehnte Reise ins Damals und all die vergangenen Geschehnisse, über die die Protagonistin vor hat zu schreiben, haben nur den Anschein einer unbewusst dahingelebten Kindheit. Ihre Rückkehr an den Ort wurde von ihr bereits zu Kinderzeiten geplant. Den einstigen Spielgefährten durch vorgegaukelte Wahrsagekraft aus der Hand lesend, so wollte sich die Heranwachsende einst ins Gedächtnis der anderen Kinder eingebrannt und unvergessen wissen. Wenn auch nur bei ihren Kameraden als "die, die uns aus den Händen gelesen hat."

Der Mensch setzt den Sinn des Lebens für sich selber fest. Das ist eine der Kern-Aussagen, die sich aus dem Erzählband Schochs entnehmen lassen. Sei es bloß das Verhalten der Figuren in ihrer Umgebung, sei es der Name eines grauen Vogels mit Augenrändern, sei es in Form einer kurzen Erwähnung eines französischen Philosophen oder. Immer wieder nehmen Schochs Geschichten Bezug auf den französischen Existentialisten Jean-Paul Sartre. Existenz ist das persönliche Ziel eines jeden Menschen, das zu verwirklichen, was sich in seinem Leben verwirklichen lässt. Man ist für sein persönliches Glück selbst verantwortlich. Wer wie im Film leben möchte, muss seine Träume realisieren. Auf diese existentielle Denkweise besinnt sich auch die Kassiererin im Lichtspieltheater Aurora, als ihr Kollege enttäuscht feststellt, das Leben sei eben kein Film.

Andere Lebensumstände, andere Lebensbewältigung. Vielseitig, aber nicht immer leicht verständlich, sieht sich der Rezipient mit der Diskrepanz von persönlichen Ambitionen und äußeren Verhältnissen, wie dem Staatssystem und dem sozialen Umfeld, auf verschiedene Weise konfrontiert. In Schochs teils surrealistischer Darstellungsweise erscheinen banale Handlungen wie das Betreten einer Wohnung unter einem anderen Licht. So bietet ihr Debüt neben ihrer kurzweiligen prosaischen Leistung, die sich besonders in der Erzählung "Cinema Aurora" offenbart, weitaus mehr als nur bloße Unterhaltung.

Titelbild

Julia Schoch: Der Körper des Salamanders. Erzählungen.
Piper Verlag, München 2002.
172 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-10: 3492237339

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