Die Botschaft ist das Medium

Georg Seeßlen und Fernand Jung monumentales Werk zur Geschichte und Mythologie des Science Fictions-Films

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kino lebt von der Ästhetik des raumfüllenden Bildes. Auf besondere Weise mag das für die Darstellung der Weiten des Weltalls im Genre des Science Fiction Films gelten. Man denke nur an die erhaben schwebende Raumstation in Kubricks "2001 - A Space Odysee". Auch die Bedrohung des amerikanische Städte überschattenden Raumschiffes in "Independence Day" oder der Schrecken, den die Aliens in der gleichnamigen Serie verbreiten, lassen sich im heimischen Fernsehsessel kaum nachempfinden. Auf zwei mal drei Zentimeter geschrumpfte Schwarzweißbildchen "atemberaubender" Szenen etwa aus "Mission to Mars", wie sie in dem von Georg Seeßlen und Fernand Jung verfassten zweibändigem Werk zur Geschichte und Mythologie des Science Fiction-Films auf nahezu jeder dritten Seite reproduziert sind, können den Lesenden wohl kaum einen auch nur vagen Eindruck des Filmerlebnisses vermitteln, noch gar den Atem rauben. Ein vielleicht noch gravierenderer Mangel des vorliegenden Werkes liegt darin, dass Zitate - von denen reichlich gebrauch gemacht wird - nur mit dem Namen der jeweils Zitierten ausgewiesen sind, so dass man sie auch mit Hilfe des angehängten Registers nur unter erheblichem Zeitaufwand auffinden kann.

Es ist nicht zuletzt den oft sehr erhellenden Film-Interpretationen zu danken, dass das Werk dennoch die Anschaffung lohnt. Um sie würdigen zu können, muss man sich allerdings zunächst durch einen ersten glücklicherweise nur 80 Seiten umfassenden Teil zur "Mythologie der Science Fiction" arbeiten, der mit allerlei Reduktionismen, monistischen Erklärungsmustern und Klischees aufwartet, die denjenigen des Genres selbst ernsthafte Konkurrenz machen. So ist etwa von dessen "Anti-Intellektualismus" die Rede, oder es wird behauptet, das Phantastische sei "nichts anderes als die zu wildem Ausdruck gelangten erotischen Potentiale der Phantasie", die Utopie eine "'ästhetischen' Form [...], die anstatt gesellschaftliche Veränderungen voranzutreiben, solche verhindert", die Anti-Utopie "nichts anderes als die Verteidigung der bestehenden Realität als Sinn des Lebens". Letztlich ziele dieses "Genre des Mittelstandes" auf die "Entmutigung in der Zufriedenheit des Unglücks" und somit auf die "melancholische und militante Bestätigung des Status quo". Kurz, es wird der Eindruck vermittelt, bei Science Fiction handele es sich durchweg um reaktionären Unsinn, mit dem sich eine nähere Beschäftigung erübrigt. Spätestens der Film "Star Wars", so heißt es apodiktisch, habe "als ernstzunehmender literarischer Gattung der Science Fiction den Garaus [ge]macht". Ein Verdikt, das man wohl nur mit Unkenntnis einiger der wichtigsten Werke des Genres, wie etwa Marge Piercys im gender-Diskurs nachhaltig und positiv rezipierten Meisterinnenwerk "He, She and It" (1991), fällen kann. Gut 200 Seiten später schreiben die Autoren den gleichen Topos benutzend, doch in der Aussage immerhin etwas vorsichtiger, der besagte Film habe "dem klassischen Science Fiction-Film endgültig den Garaus gemacht". Ob dies zutrifft, hängt nun allerdings ganz von den Kriterien ab, an denen man das Klassische eines SF-Films festmacht.

Doch genug genörgelt. Kommen wir also zum zweiten, dem erfreulicheren Teil, der mit mehr als 700 Seiten nahezu zehn mal so umfangreichen "Geschichte des Science Fiction Films", die - in der Regel zu mindest - statt mit angestaubten Marxismen mit an Lacan und an der Postmoderne geschulten Analysen und Interpretationen aufwartet. Beginnend mit der "Stummfilmzeit" folgt er zunächst der Chronologie und durchschreitet kapitelweise die "Science Fiction-Filme von 1930-1950", Die "Blüte des Genres" in den 50er Jahren, die "neue[n] Ideen" der 60er und schließlich die "kritische[n] Versuche" der 70er. In diesem Jahrzehnt, so scheint es, spaltet sich das Genre in eine Vielfalt verschiedner Gattungen, so dass ein weiterer chronologischer Durchgang nicht mehr sinnvoll erschien, sondern sich die folgenden Abschnitte jeweils einem der Sub-Genre beziehungsweise bestimmten Themata, wie etwa "Aliens", "Space Invaders", "Künstliche Menschen" oder der "Zeitreise" zuwenden. Begründet wird dieser Wandel vom Chronologischen zum Inhaltlichen allerdings nicht.

Die meisten Plots werden in nur wenigen Zeilen nacherzählt. Vermutlich handelt es sich hierbei um eine Chronistenpflicht, deren Erfüllung die Autoren - zurecht - nicht verweigern wollten. Zudem haben sie so auch ein formidables Nachschlagewerk geschaffen, das sich mit Hilfe des Filmregisters erschließt. Die wichtigsten Filme werden zudem einer eingehenderen Interpretation unterzogen. So legen Seeßlen und Jung etwa eine differenzierte Analyse von Don Siegels 1956 gedrehtem Werk "Invasion Of The Body Snatchers" vor. Bemerkenswert ist auch ihre Interpretation von Jack Arnolds "The Incridible Shrinking Man" als Geschlechter- und Ehekampf. Natürlich wird auch Kubricks "2001 - A Space Odysee" einer eingehenden Würdigung unterzogen. Er stelle die "bis dahin innigste Verbindung zwischen Science Fiction-Film und Science Fiction-Literatur"dar, in der die Botschaft das Medium sei. Ebenfalls hervorzuheben ist die Interpretation von "Terminator 2 - Judgement Day", einem "merkwürdig hybride[m] Werk", in dem "Gewalt nicht mehr dazu dienen kann, den Familienroman zu reparieren, und der Familienroman nicht mehr zur Legitimation von Gewalt missbraucht werden kann".

Das interpretatorische Glanzlicht des Bandes liegt aber wohl in der Analyse der "Alien"-Filme vor, einer "Verknüpfung von kulturkritischen und feministischen Diskursen" mit Ellen Ripley als "weibliche[m] Helden des Post-Feminismus".

Etwas zu positiv fällt hingegen das Zeugnis aus, das die Autoren der Fernsehserie Star Trek und ihrem steten "Appell an Humanismus und Aufklärung" ausstellen. Übersehen wird der ausgeprägte Sexismus, der "Original Series" in denen Captain Kirk als Kommandant der Enterprise einer Priesterin schon mal androht, sie "übers Knie zu legen". In den Sequels wäre ähnliches allerdings kaum mehr vorstellbar und schließlich verhalfen die feministischen Diskurse der 80er Jahre Kathryn Janeway gar zur Kommandantur des Raumschiffs Voyager. In dem 2001 gedrehten Pilotfilm zum derzeit in Produktion befindlichen Prequel feiert die sexistische Gewaltandrohung fröhliche Urstände. Diesmal ist es Captain Archer, der Kommandant der ersten Enterprise, der sich - diesmal wohl im Zuge des antifeministischen back lashs - dazu ermutigt fühlt, eine Wissenschaftlerin "übers Knie legen" zu wollen.

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Georg Seeßlen / Ferdinand Jung: Science Fiction.
Schüren Verlag, Marburg 2003.
1400 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-10: 3894724293

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