Die Narren von annodazumal für Leser von heute
Eine Neuedition des Debütromans von Karl Gutzkow weiß keine überzeugenden Antworten
Von Claude D. Conter
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIm August 1832 erscheint Karl Gutzkows erstes Werk "Briefe eines Narren an eine Närrin" anonym beim Verlag Hoffmann & Campe in Hamburg. Noch im gleichen Jahr wird der Roman in Preußen verboten. Zu gewagt waren die literarischen Waffengänge des Journalisten, den der Literaturpapst der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts, Wolfgang Menzel, zu seinen Mitarbeitern beim Cotta'schen "Morgenblatt" in Stuttgart zählte. Kein geringerer als der radikale Ludwig Börne verhalf dem Roman mit einer anerkennenden Rezension jedoch zu Bekanntheit, die später von anderen Büchern wie "Wally, die Zweiflerin" und gegenwärtig vom wieder entdeckten Roman des Nebeneinander "Die Ritter vom Geiste" überlagert wurde. Um so spannender ist es, jenen Gründen für die Bedeutung des Erstlings von Karl Gutzkow nachzuspüren. Die Neuedition im Kadmos Verlag nimmt sich diese Aufgabe vor.
Gutzkow hat keinen geschlossenen Roman mit Handlungsstruktur und Figurenkonstellationen geschrieben, sondern als wohl bekannter politischer Kritikaster einen Flickenteppich an Invektiven, Kommentaren zu Politik und Gesellschaft und Polemiken über Personen und Geschehnisse aus Literatur und Kultur vorgelegt, der sich in Kreisen demokratischer und liberaler Autoren seiner Beachtung sicher sein konnte. Gutzkow bedient in der Tat alle Reizthemen seiner Zeit wie etwa die Polenbegeisterung, die Preußenkritik, die Auseinandersetzung mit Hegel und Fichte, die soziale Frage, das Verhältnis von Reaktion und Revolution sowie die Kritik an der deutschen und europäischen Literatur. Mit den "Briefen eines Narren an eine Närrin" war also ein provokantes Buch entstanden, das nicht nur formal innovativ, sondern auch unerhört herausfordernd war - ästhetisch wie politisch.
Der Herausgeber Herbert Kaiser verweist daher zurecht mit Bezug auf das narrative Tohuwabohu der 27 Briefe auf die Aporien einer literaturkritischen, ästhetischen Bewertung. Das bei Gutzkow oftmals bemängelte Durcheinander oder die kritisierten narrativen Inkonsequenzen folgen vielmehr einer Poetik des Flüchtigen, der eine Auflösung der Romanstruktur vorausgeht. Auch Börnes Leseeindruck erklärt sich aus dem ästhetischen Vexierspiel mit dem Leser, das sich aus den zahllosen Anspielungen und unzusammenhängenden Passagen ergibt. Das Buch sei "so schnell abwechselnd erhaben und tief, daß Sie vielleicht müde werden, es zu lesen; ich bin es selbst geworden und bin doch ein besserer Kopfgänger als Sie. Aber es ist der Anstrengung wert." Anstrengend bleiben "Die Briefe eines Narren an eine Närrin" auch für den heutigen Leser, allerdings aus anderen Gründen. Weniger die narrative Offenheit bereitet Probleme, als vielmehr die zahlreiche Anspielungen, die kaum noch - nicht einmal für Vormärz-Spezialisten - verständlich sind. Es ist daher wohl eine schwierige, wenn nicht gar fragwürdige Entscheidung des Verlags, den Text in dieser Form neu aufzulegen.
Das Zielpublikum einer Leseausgabe kann nämlich nicht ein Fachpublikum, ein kleiner Kreis eingeschworener Gutzkow-Forscher sein. Für die Literaturwissenschaftler erscheint noch im Oktober diesen Jahres die historisch-kritische Ausgabe des Romans. Die Ausgabe bei Kadmos verzichtet auf einen Dokumententeil mit zeitgenössischen Rezensionen und Reaktionen von Schriftstellerkollegen, der hätte Aufschluss geben können über die literaturhistorische Bedeutsamkeit des Romans, wie auch auf einen Anmerkungsapparat, in dem die wichtigsten Sacherläuterungen hätten aufgelistet werden können. Die Ausgabe begnügt sich mit einem Nachwort, das sich nicht zwischen einem Lexikonartikel und einer Interpretation entscheiden kann. Heraus kommt eine unbefriedigende Mischform, die zu wenige Sachinformationen enthält, um ein historisches Verständnis der Briefe zu ermöglichen. Das ist zu wenig, wenn Gutzkow heute gelesen werden soll. Auch ist es fragwürdig, ob Gutzkows Erstling jenes Buch sein soll, das sich dem Leser zum Verständnis des Vormärz eröffnen wird. Wer kennt denn noch die Debatte um die Maskenfreiheit beziehungsweise das Verbot, in der Öffentlichkeit (auch während des Karnevals) eine Maske zu tragen, auf die im 20. Brief hingewiesen wird. Auch muss man gar nicht so sehr nach zeitgenössischen Themen oder lokalen Ereignissen suchen. Wer kann denn der Personalinvektive gegen zeitgenössische Philosophen wie von Henning oder Michelet folgen? Auch wenn einige Personen namentlich bekannt sind (Raumer, Johannes Müller, Professor Gans, Maltitz), so ist doch zu bezweifeln, dass sie im kulturellen Gedächtnis als präsent gelten dürften. Wie sinnvoll ist eine Leseausgabe im praktischen Taschenbuchformat, wenn man sie nur mit Hilfe des historischen Wörterbuches lesen kann? Denn wer kennt heute noch Wörter wie "Fulgurationen"?
Fragwürdig bleibt die Neuedition auch deshalb, weil der Herausgeber, immerhin ein ausgewiesener Kenner der Vormärz-Literatur, ein obsoletes Gutzkow-Bild zeichnet. Gutzkow wird in der eindimensionalen Entwicklung eines politischen Dichters vorgestellt, dessen Anliegen in der Politisierung der Literatur begründet lag. Ganz im Sinne einer vormärzlichen Fortschreibung wird Gutzkow auf das Podest eines freiheitlich gesinnten und demokratischen Autors gehoben. Zwar gibt das Werk Gutzkows Anlaß für eine solche Deutung, insbesondere wenn der zum Verbot des Jungen Deutschland führende Literaturskandal um "Wally, die Zweiflerin" eine hervorgehobene Position zugesprochen wird. Dennoch scheint Kaisers Einschätzung der politischen Vorstellungen Gutzkows einseitig zu sein. Dass er gar wie Jean Paul, Fichte, Tieck, Börne, Grabbe und Hebbel als Intellektueller aus dem "geistigen Proletariat" bezeichnet wird, weil er sich für die Emanzipation der Juden und Frauen einsetzt und die Zensur wie auch Monarchie und die christlichen Kirchen scharf kritisiert, ist nicht unproblematisch: Gutzkow ist weniger an der sozialen Frage interessiert als der Herausgeber suggeriert; er teilt mit jenen Themen eher die gängigen Positionen zahlreicher bildungsbürgerlicher Demokraten. Darüber hinaus hat Kaiser in seinem Nachwort die laufende Diskussion über die Modernität von Gutzkows virtuoser Schreibweise gänzlich ausgegrenzt.
"Die Briefe eines Narren an eine Närrin" sind für die immer größer werdende Gemeinschaft der Gutzkowianer keine Neuentdeckung - und auch kein zwingendes Lesevergnügen. Sie sei wegen des wissenschaftlichen Ertrags auf den bald erscheinenden Band der historisch-kritischen Ausgabe vergl. www.gutzkow.de). Einem Gutzkow-Rookie ist die Ausgabe wegen der notwendigen, aber fehlenden Kommentierungen auch nicht zu empfehlen - zum Kennenlernen geeignet ist daher immer noch Ferdinand Gutzkows Ausgabe der "Schriften" bei Zweitausendeins.
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