Mysteriöser Schwebezustand

Hartmut Langes Novellenband "Leptis Magna"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Scheinbar unerklärliches menschliches Handeln, rätselhafte Ausbrüche aus dem geregelten Alltag, die nicht selten in skurriles Verhalten münden, und das Abtauchen in eine selbstgewählte Anonymität - das sind seit nun schon 20 Jahren die favorisierten Sujets des Schriftstellers Hartmut Lange. Erinnern wir uns an den "Wattwanderer" Völlenklee, der auf Nimmerwiedersehen verschwand, oder an die junge Corinna - die halb Chimäre, halb reale Figur - in "Eine andere Form des Glücks" rund um den Wannsee ihr Unwesen trieb.

Der 66-jährige, in Berlin lebende Autor ist ein Meister der "unerhörten Begebenheiten", ein Virtuose der Novelle. Dies unterstreichen die beiden kurzen Texte des neuen Bandes "Leptis Magna". Als bekanntes Handlungsmotiv (u. a. in "Die Reise nach Triest" und "Die Bildungsreise") tauchen wieder eine vordergründige Aufbruchstimmung und ein abenteuerliches Fernweh auf.

"Professor Bodewig wollte auf zu neuen Ufern, und es sah ganz so aus, als würde sich dieser Wunsch erfüllen." So leitet Lange (klassisch) die Novelle "Der Umzug" ein. Ein in Berlin lebender Politologe erbt eine sanovierungsbedürftige Villa in Wien und schickt sofort seine Frau in die österreichische Hauptstadt, um die dort notwendigen Arbeiten zu koordinieren. Seine Wohnung im Berliner Stadtteil Zehlendorf lässt Bodewig bis auf wenige Stücke leer räumen, doch den Umzug nach Wien verschiebt er immer wieder mit fadenscheinigen Begründungen. Statt dessen sitzt er in der kahlen Wohnung und verfolgt bei Einbruch der Dunkelheit die durch die fehlenden Möbel veränderten "Lichtspiele". Von seinem zukünftigen Schwiegersohn wird Bodewig (wenige Jahre vor der Emeritierung) mit einer jungen Studentin gesehen. Doch es ist nicht der Drang nach amourösen Veränderungen, der die Hauptfigur umtreibt. Eine Sehnsucht nach völliger Einsamkeit, ein Rückbesinnen auf das eigene Ich scheint der innere Impuls für Bodewigs sonderliches Verhalten zu sein. "Die Ehe ist und bleibt die wichtigste Entdeckungsreise, die der Mensch unternehmen kann", schrieb einmal der von Lange verehrte dänische Philosoph Sören Kierkegaard.

Handfeste Lebenslügen und unausgesprochene Bindungsängste stehen auch im Zentrum des zweiten Textes. Der Computerfachmann Van Der Velde hat seiner Dauerverlobten Sibylle nicht nur die Heirat, sondern auch eine Hochzeitsreise nach Neuseeland versprochen. Im tiefsten Innern zieht es ihn aber in die libysche Wüste, in die antike Ruinenstadt "Leptis Magna", dort hin, "wo es noch etwas anderes gab. Es zu benennen wäre ein Ding der Unmöglichkeit."

Immer wieder bricht der junge Mann zu angeblichen Geschäftsreisen auf, doch nach seiner Rückkehr rieselt stets roter Sand aus seinem Gepäck. So wie Bodewig im ersten Text immer wieder den Umzug hinaus zögerte, so schiebt Van Der Velde nach dem Tod von Sibylles Vater auch die versprochene Übernahme des Betriebs immer wieder auf die lange Bahn. Am Ende bleibt Van der Velde verschollen und der Leser wieder in einem Zustand höchster Ratlosigkeit zurück. Diese mysteriösen Schwebezustände, hier explizit als "Schwelle zwischen Leben und Tod" benannt, machen immer wieder den Reiz von Hartmut Langes Novellen aus.

Titelbild

Hartmut Lange: Leptis Magna. Zwei Novellen.
Diogenes Verlag, Zürich 2003.
176 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3257063369

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