Rätselheft für den Schulgebrauch

Marlen Haushofers Novelle "Wir töten Stella" für Schulbibliotheken kommentiert

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Selbstverständlich ist es begrüßenswert, wenn ein Werk wie Marlen Haushofers "Wir töten Stella" zu einem erschwinglichen Preis angeboten und zusammen mit weiteren Erzählungen der Autorin sowie mit Kommentaren von Literaturwissenschaftler und einigen Schülerinterpretationen für den Schulgebrauch aufbereitet wird. Dennoch bleibt an der Art, wie dies im vorliegenden Bändchen geschehen ist, einiges zu bemängeln. Das beginnt schon mit der Präsentation eines Textes von Haushofer, der den Band "Statt eines Vorworts" einleitet. Er bleibt unausgewiesen, und so sehen sich Schüler und Lehrer genötigt zu rätseln, worum es sich bei ihm handelt. Möglicherweise um einen Auszug aus einer weiteren Novelle? Aus einem Roman vielleicht? Nein, wahrscheinlich doch eher um einen Brief. So mag zumindest mancher vermuten. Jedenfalls liest sich der Text, der mit den beruhigenden Worten "Mach Dir keine Sorgen" beginnt, wie ein Trostschreiben an eine Verwandte oder an einen nahestehenden Freund. Tatsächlich aber handelt es sich um den letzten Tagebucheintrag der Autorin - niedergeschrieben, wenige Wochen bevor sie einem Krebsleiden erlag. Ein für Schulbibliotheken und den Schülergebrauch herausgegebener Band sollte die Leser über Herkunft und Art der enthaltenen Texte nicht im Unklaren lassen.

Auch die Auswahl der "Lesarten der Erzählung" lässt zu wünschen übrig. Nur deren zwei werden durch Beispiele vorgestellt: die "psychologisch-sozialkritische" und die "literar-ästhetische". Eine Auswahl, die sich nicht ganz auf der literaturwissenschaftlichen Höhe der Zeit befindet, sondern eher die während der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts präferierten Interpretationsmethoden widerspiegelt. Anfang des 21. Jahrhunderts hätte man hingegen zumindest Beispiele für strukturalistische, dekonstruktivistische und - gerade bei dieser Novelle - gender-theoretische Lesarten erwarten dürfen. Immerhin klingen gender-theoretische Überlegungen bei den als psychologisch-sozialkritisch vorgestellten Lesarten von Daniela Strigl und Regula Venske zumindest an, die insofern mehr leisten, als ihre Etikettierung verspricht. Dennoch, die Kenntnisse heutiger Schüler sollten sich nicht ausschließlich auf Interpretationsansätze fokussieren, die - wie die psychologisch-sozialkritische - wohl noch bei den Restbeständen der durch Wilhelm Reich und Karl Marx geprägten Alt-68ern en vogue sein mag, sich ansonsten aber einem lebhaften Konkurrenzkampf mit widerstreitenden Auffassungen ausgesetzt sieht.

Titelbild

Marlen Haushofer: Wir töten Stella. Text und Kommentar.
Herausgegeben von Karl Hotz.
C. C. Buchner, Bamberg 2003.
96 Seiten, 6,00 EUR.
ISBN-10: 3766139657

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch