Auch Indianer kennen Schmerz

Zwei spannende und mitreißende Romane über einen 'Kampf der Kulturen'

Von Wilfried von BredowRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wilfried von Bredow

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Indianerbücher, gleichviel auf welchem literarischen Niveau, wurden fast immer von Weißen für Weiße geschrieben. Diese Bemerkung enthält kein moralisches Urteil. Jedoch erhärtet sie die Vermutung, dass man von diesen Büchern alles Mögliche, aber so gut wie keine Schilderungen des indianischen Lebens erwarten kann, wie es sich im Alltag der Indianer abgespielt hat. Davon wussten die Verfasser von Indianerbüchern, egal ob für Jugendliche oder Erwachsene, allenfalls vom Hörensagen.

Die Besiedlung Nordamerikas von der Ostküste immer weiter nach Westen durch europäische Einwanderer stellt sich im Gründungsmythos der Vereinigten Staaten als ein stetiges Vordringen der Zivilisation dar. Der Pioniergeist, der dazu nötig war, wurde und wird in Schriften und Filmen immer wieder neu gepriesen. Die Indianer, diese Bezeichnung hören sie übrigens nur ungern, galten in dieser Sicht als Primitive und Wilde, entweder - meist - als zurückgeblieben, arm und hoffnungslos, zuweilen auch als die bösen oder schließlich, eher selten, aber auch nicht angemessen, als die edlen Wilden.

In den Kämpfen zwischen den weißen Siedlern und den Indianern ging es um Land, das, wie es ein kluger europäischer Beobachter im 19. Jahrhundert, Alexis de Tocqueville, ausgedrückt hat, die Indianer nur bewohnten, während es die Weißen besitzen wollten. Die Indianer waren für diesen "Kampf der Kulturen" so gut wie nicht gerüstet. Sie waren einfach weniger. Ihre Waffen waren denen der Weißen unterlegen. Dem in Mengen von den Weißen mitgebrachten Schnaps und mehr noch den verheerenden Krankheiten, die jene einschleppten, vor allem den Pocken, waren sie hilflos ausgeliefert. So wurden sie, was sie heute sind, eine Minderheit auf dem Kontinent, auf dem sie über Jahrtausende hinweg das Erstgeburtsrecht besaßen.

In den letzten Jahren nun hat sich in Nordamerika ein neues indianisches Selbstbewusstsein entwickelt. Die eigene Geschichte vor und nach der für sie fatalen Begegnung mit den Weißen stößt auf wachsendes Interesse. Die Ergebnisse historisch-ethnologischer Forschungen darüber werden in neuen Museen präsentiert. Wie das Leben der Vorfahren durch das traumatische Zusammentreffen mit den Europäern verändert wurde, darüber gibt es inzwischen neben vielen Geschichtsbüchern auch zahlreiche Erzählungen und Romane.

Auch die Bücher von Erdrich und Welch gehören dazu, beides hervorragende Beispiele für diese neue Indianerliteratur. Louise Erdrich wurde als Tochter eines deutschen Einwanderers und einer Indianerin in Nord-Dakota geboren, sie ist heute eine in den Vereinigten Staaten berühmte Romanschriftstellerin. Mit ihrem Buch über ein Jahr im Leben des Ojibwa-Mädchens Kleiner Frosch wollte sie der Geschichte ihrer Familie mütterlichseits nachspüren. Die Ojibwa lebten im nördlichen Teil Minnesotas. Ihr Leben als Fischer und Pelzjäger schien zunächst durch die Ankunft von ein paar Weißen nicht bedroht zu sein. Aber das war ein Fehlschluss. Konsequent aus der Perspektive von Kleiner Frosch erzählt, die allerdings ein ebenso fröhliches wie nachdenkliches siebenjähriges Mädchen ist, reihen sich die kleinen und großen Ereignisse in einem Ojibwa-Dorf auf einer Insel im Lake Superior im Rhythmus der Jahreszeiten aneinander. Mutter und Großmutter bilden den ruhenden Pol in der Familie von Kleiner Frosch. Der Vater ist meist auf Jagd. Erdrich schildert zahlreiche Episoden aus dem Alltagsleben der Familie und lässt uns so daran teilnehmen. Vertrautes steht neben ganz Unvertrautem: die Eifersucht der Geschwister untereinander spielt eine wichtige Rolle, die unheimliche Aura einer alten Frau aus der Nachbarschaft auch; und eine mystische Begegnung mit einer Bärin und ihren zwei Jungen wird von der Autorin mit großer Zartheit und viel Einfühlungsvermögen beschrieben. Im frühen Winter kommt es zur Katastrophe. Die Pocken, die ein Fremder eingeschleppt hat, töten fast das ganze Dorf. Aber Kleiner Frosch überlebt, und am Ende des Schmerz und Trauer nicht verdrängenden Buches steht dennoch die hoffnungsfrohe Erwartung eines neuen Frühlings.

Schmerz und Tod sind auch ein Leitmotiv in dem Roman von James Welch, einem Angehörigen der Blackfeet-Indianer. "Der die Crows täuscht", Fools Crow, heißt seine Hauptperson. Dieser Name wird dem jungen Mann aber erst nach ungefähr einem Drittel des Romans verliehen, nach dem erfolgreichen, ziemlich blutigen Raubzug gegen den Nachbarstamm der Crows. In den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts ging es den Blackfeet schon ziemlich dreckig, weil die Weißen ihre Nahrungsgrundlage, die Büffel, systematisch vernichteten. Überaus eindringlich und fern von allen Klischees über die Naturverbundenheit der Indianer erzählt Welch, wie Fools Crow erwachsen wird, wie er sich körperlich und mit seinem Verstand bewähren muss inmitten von Stammes-Kämpfen, Niederlagen gegen die Weißen, Hungersnöten und Pocken-Epidemie. Trotzdem ist das Buch nicht niederdrückend, sondern erstens ungemein spannend und zweitens in den Schilderungen der Alltagsbräuche und der Rolle von Religion und Spiritualität der Blackfeet von großer Präzision und Würde. Wer dieses Buch liest, muss allerdings schon einiges vertragen können, denn Welch nimmt kein Blatt vor den Mund und blendet auch die Bereiche Grausamkeit und Sexualität nicht aus. Höhepunkt des Romans ist die Schilderung einer Vision, die Fools Crow übermannt, und in der das künftige Schicksal seines Stammes und der Indianer insgesamt bis zum heutigen Tage aufscheint. Aber wie bei Louise Erdrich haben auch hier Schmerz und Tod nicht das letzte Wort. Insgesamt kein leichtes Lese-Abenteuer. Aber wenn man sich erst einmal darauf eingelassen hat, lässt es einen nicht mehr los.

Titelbild

Louise Erdrich: Ein Jahr mit sieben Wintern.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Sylke Hachmeister.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003.
226 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-10: 3499211564

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Titelbild

James Welch: Fools Crow. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Christoph Renfer.
Piper Verlag, München 2003.
511 Seiten, 11,90 EUR.
ISBN-10: 3492240011

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