Geschichten vom guten Onkel "Wolf"

Brigitte Hamanns "Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth" liefert Material zur Geschichte des überforderten Wagner-Clans

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Brigitte Hamanns als Piper Taschenbuch vorliegende Studie über "Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth" ist zunächst einmal ein ausgiebig-präzises Dokument der Geschehnisse in und um das Bayreuther Haus Wahnfried, seitdem dort erstmals im Jahre 1914 Winifred aufgetaucht war. Damals - symbolhaft passend - erschien sie am Arm des greisenhaft alten Karl Klindsworth. Das in Berlin lebende Ehepaar Klindsworth hatte das Waisenkind Winifred Marjorie Williams einige Jahre vorher in Pflege genommen. Nun aber konnte die ebenfalls hochbetagte Henriette Klindsworth der Einladung Cosima Wagners zum Besuch der Festspiele nicht nachkommen, und so fragte höflich der Besuchergreis in Wahnfried an, ob es ihm gestattet sei, "zur Stütze und Begleiterin unser Sorgenkindchen mitzubringen." Es wurde gestattet, und die 17-jährige schrieb an eine Freundin: "Ich freue mich ja wie ein Schwein."

Rettung für Wahnfried! Denn die junge Besucherin hatte Eindruck hinterlassen und sollte nun auch zur Lösung einer ebenso heiklen wie akuten Sache beitragen: der Verheiratung Siegfrieds. "Reise diesmal mit Muße bitte!", drängte Schwester Eva Chamberlain, als Siegfried sich für eine Werbereise nach Berlin rüstete. "Gönne Dir Zeit, wie sie nötig ist, willst Du die Maid finden, die Dir, Wahnfried und unserer Sache not tut." Etwas umständlich nach Wagner-Wahnfrieds-Art ("Ich wünsche, daß Sie wünschen, was ich heimlich wünsche") erfolgte der Heiratsantrag, und die 18-jährige antwortete bald schon im gleichen Stil und Sinne: "Siegfried, Geliebter, wie glücklich ich bin [...] Ein wonniger Traum [...] ist Wirklichkeit geworden [...] Mit Leib und Seele vertraue ich mich Dir an, leite Du mich durch's Leben - forme mich so, wie Du mich haben möchtest!" Das war 1915: "Siegfried Wagner", schrieb eine englische Zeitung, "Finds his Real Brünnhild among the Britons."

Die neue Hausherrin in Wahnfried erfasste schnell, dass sie nicht nur ihren Teil zu einer heute lächerlich-grotesk anmutenden "Meister"-Verehrung unter Cosimas Aufsicht zu leisten hatte, sondern dass sie auch Wahnfrieds zentrale Rolle im deutsch-völkischen Geflecht jener Jahre zu wahren und zu stärken hatte. Einer, der noch am Anfang seiner Karriere stand, wurde in Wahnfried erstmals 1919 erwähnt: Adolf Hitler. Gäste berichteten von seinen außergewöhnlichen Rednerqualitäten und feierten ihn schon als den "Mann, der einmal Deutschland befreien wird." Der Kontakt kam schließlich über die Familie Bechstein zustande. Helene Bechstein protegierte den unbeholfenen Jungpolitiker und verschaffte ihm zu Beginn der 20er Jahre die so dringend benötigte materielle Unterstützung und bürgerliches Renommee. So ausgestattet kam er 1923 erstmals nach Bayreuth und Wahnfried. Klug interpretiert die Autorin - wozu sie sich sonst nur selten durchringt - diesen von Hitler wohlbedachten Besuch "kurz vor dem Putsch und dem erwarteten Durchbruch zur Macht" als eine Art religiöser Pilgerfahrt, bei der er sich den ,Segen' des Meisters Richard Wagner holte ...

Während nun aber der treue gute Onkel "Wolf", wie er fortan von Winifreds Kindern genannt wurde, nach seinem gescheiterten Putsch zunächst mal ins Gefängnis musste, unterstützte man von Wahnfried aus weiterhin seine Sache. Man nahm in Kauf, dass es dabei auch immer wieder zu offenen antisemitischen Ausbrüchen auf dem Festspielhügel kam. Zwar distanzierte sich Festspielleiter Siegfried pflichtschuldig angesichts allzu heftiger geschäftsschädigender Auswüchse, auch wurden die nach seiner Freilassung nun regelmäßigen Besuche Hitlers in Bayreuth noch vor der Öffentlichkeit verborgen, doch Wahnfrieds Vorlieben für die national-völkische Tümelei waren offenkundig. Angewidert von den politisch-ästhetischen Entgleisungen auf dem Festspielhügel wandten sich kritische Zeitgenossen wie Thomas Mann ab von Bayreuth. Völlig unbelastet von all dem entwickelte Winifred eine kuriose mädchenhaft-schwärmerische Beziehung zu Hitler, der seinerseits sich vor allem den Kindern widmete. Wieland, der älteste, wurde zu seinem Liebling. Nach 1940, als direkte persönliche Kontakte zwischen Winifred und Hitler längst nicht mehr zustande kamen, traf Sohn Wieland noch des öfteren mit Onkel "Wolf" zusammen.

Ausführlich schildert und belegt die Autorin das enge Verhältnis von Winifred Wagner zu Adolf Hitler, das in den 30er Jahren seinen Höhepunkt erreichte. Wahnfried sah die deutsche Sache sich erfüllen, und die Festspiele waren ihr sichtbarer Ausdruck. Aber wie das tümelnde Wabern der deutschen Sache in Bayreuth insgesamt mutet auch die übertreibende Schwärmerei Winifreds aus heutiger Sicht dümmlich und kurios an. Nach 1945, anlässlich eines Interviews, das Klaus Mann mit ihr führte, bis hin zu Syberbergs Hitler-Film 1975 pflegte Winifred ihre persönliche Freundschaft zu Hitler geradezu störrisch gegen den Zeitgeist zu behaupten. Doch zuviel der Ehr', in dieser Haltung am Ende gar irgendeine Form widerständigen Denkens zu vermuten. Uneinsichtig beharrte sie auf ihren Ansichten und sie sich auch privat im Kreis der Ehemaligen und Gestrigen gerne bestätigen: Hitler blieb bis an ihr Lebensende "USA" - Unser seliger Adolf!

In der Präsentation des umfangreichen Materials kommt die Autorin leider nur selten zu relevanten Urteilen. Indes liefert sie - auch das macht das Buch auf eine gewisse Weise reizvoll - eine Fülle von familiären Klatsch- und Tratschgeschichten. Die Wagner-Familie war (und ist!) immer auch ein Quell herzhaft unangenehmer Familienstreitigkeiten. Die besondere Dynamik ergab sich dabei immer wieder aus dem irrsinnig (im Grunde lächerlich, weil intellektuell dürftig) hohen Anspruch, Hüter und Wahrer des "Meister"-Erbes sein zu wollen - oder gar sein zu müssen! - und dabei doch nur eine ganz normale Familie zu sein! Aus dieser Dynamik, so mag man resümieren, konnte bislang noch kein Familienmitglied aussteigen. Selbst Friedelind, einziges Kind der Winifred, das frühzeitig erkannte, was von der Hitlerei zu erwarten war, blieb im amerikanischen Exil am Ende vor allem eine weitere Wagner-Erbin - zum Streit um das Erbe bereit. Wieland, der nach 1945 vielgefeierte Erneuerer der Festspiele, bändigte die familiären Zwistigkeiten in grotesk und rüde anmutende Feindseligkeiten, zu denen Hausverbote für die Mutter ebenso gehörten wie Kontaktverbote der eigenen Kinder mit denen seines Bruder Wolfgang. Ihn mag freilich auch noch ein anderer Aspekt unter Druck gesetzt haben. Wieland war bis 1945 ein privilegierter Nazi und profitierte besonders von seiner Nähe zu Onkel "Wolf". Bis heute sind seine tatsächlichen Lebens- und Arbeitsumstände in den letzten Kriegsjahren nicht geklärt, und werden auch in diesem Buch nur angedeutet. Doch nachvollziehbar wird: hier musste sich einer rigoros trennen von einer erschreckend idealisierten Vergangenheit. Auf der Bühne fand Wieland die bis heute gültigen Bilder, privat gelang es ihm nur mit rigoroser Konfrontation.

Titelbild

Brigitte Hamann: Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth.
Piper Verlag, München 2003.
688 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3492239765

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