Lesend in der Fremde zuhause

Christoph Ransmayr und seine Liebeserklärung an das Schreiben

Von Oliver GeorgiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Georgi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Quälend müssen sie sein für Christoph Ransmayr, diese Buchmessentermine, oder - schlimmer noch: Lesungen, wenn er seine kreative Einsiedelei irgendwo an der irischen Küste verlassen und sein Innerstes der Öffentlichkeit preisgeben muss. Dabei würde er, so muss man nach der Lektüre seines neuesten Buchs "Die Verbeugung des Riesen. Vom Erzählen" vermuten, doch viel lieber in der Abgeschiedenheit seiner Fantasie verweilen, anstatt sich an die Macht des Faktischen zu binden. Entstanden aus Vorträgen, Laudatios und Ansprachen Ransmayrs der letzten 15 Jahre, gibt der Band einen Überblick über Motivation und Möglichkeiten des Ransmayr'schen Erzählens. Nichts weniger als ein geistiges Globetrotter-Buch ist das, was der sprachgewaltige Autor hier in zehn kurzen Texten zusammenschnürt. In Kuala Lumpur spürt er Drogendealern nach, wärmt sich zusammen mit Bettlern an einer Mülltonne in Delhi, tauscht auf der entbehrungsreichen Wanderung zu einem verschneiten Dorf Yakbutter mit einem tibetanischen Scherpa, verbringt Nächte malend auf La Réunion. All diese Orte erreicht Ransmayr träumend, verharrend, schreibend; die Allgegenwärtigkeit des Fiktiven wird zur bunt schillernden Parallelwelt ohne ernsthafte Konkurrenz aus der Wirklichkeit. Fast programmatisch auch der Titel "Auf und davon" des Eröffnungstextes: Der Leser ist eingeladen zu einer Gedankenreise; was entsteht, ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Imaginationskraft der Literatur: "Was heißt beschreiben, was heißt erinnern, wir waren unterwegs, sahen die Farben, hörten die Stille und versetzten uns aus einer lärmenden Halle immer weiter hinaus in die Welt."

Schreiben wird bei Christoph Ransmayr so wieder zu dem, was es jenseits aller kommerziellen Verwertbarkeit auch sein kann: Selbstzweck und Lebenssinn, Entstehung und Erfüllung einer utopischen Realität, Traumland und Sehnsuchtsziel. Als geradezu quälend scheint Ransmayr da so manche Rückkehr aus der Imagination ins Jetzt empfunden haben; jenen Punkt, an dem die Arbeit des Schriftstellers endet und jene der Verwertungsmaschinerie beginnt. Sehnsuchtsvoll wird da der Moment heraufbeschworen, an dem "die ersten Belobigungen oder Angriffe der Kritik" ausgestanden sind und "der ganze schreibende Mensch" wieder mit der Arbeit von vorn beginnen kann - der Schriftsteller im Zwischenraum von Phantasmagorie und Realität. Immer wieder scheint sie in "Die Verbeugung des Riesen" auf, diese unbändige Lust am farbenfrohen Erzählen; einem Erzählen, das Ersatz und Heilung sein kann. Und im Gegensatz zu jenen Kollegen Ransmayrs, die ihre Zurückgezogenheit zur Attitüde stilisieren, um dem Nimbus des verklärten, an der Welt leidenden Bohèmiens zu entsprechen, bleibt Christoph Ransmayr in seiner Verhaftung an das Literarische glaubhaft, weil authentisch. Ransmayrs Erfahrungen von Welt sind erlesene im doppelten Wortsinne - prächtig geschildert und von blendender Fabulierfreude.

Dass er seine Rolle als eremitischer Schriftsteller neben aller Ernsthaftigkeit trotzdem auch mit humoristischer Distanz begreifen kann ("Hiergeblieben"), erinnert an die stille Ironie Michael Krügers und macht "Die Verbeugung des Riesen" umso lesenswerter. "Im Gepäck eines Menschen auf seinem Weg wiegt [...] nichts schwerer als ein Buch". Besser hätte Christoph Ransmayr seinen Kosmos wohl kaum beschreiben können.

Titelbild

Christoph Ransmayr: Die Verbeugung der Riesen. Vom Erzählen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
96 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3100629264

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