Blick in den Spiegel

Das Begleitbuch zur Ausstellung "Botschaft der Dinge"

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gesetzt einmal den Fall, das Undenkbare geschähe und die Menschheit würde sich jenem Transport in die Vernichtung überantworten, der aller Not ein Ende bereitet. Ob man sich dieses Ereignis mit Karim Akerma ("Verebben der Menschheit?") als sanftes, als unspektakuläres Ausklingen humanoiden Lebens oder mit Ulrich Horstmann ("Das Untier") als harten apokalyptischen Bruch vorstellt, tut dabei nichts zur Sache. Entscheidend ist vielmehr, was nach unserem nicht länger aufgeschobenen Verschwinden von der Oberfläche dieses Planetens zurückbliebe: ein Universum von Dingen. Heilige Stille träte ein, eine andächtige, fast feierliche Stimmung umfinge die Objekte. Nun wäre Frieden auf Erden.

Mit dem Ende unserer Verweildauer sind darum nicht zugleich sämtliche Spuren unserer vormaligen Existenz ausgelöscht. Es sind die Dinge, die von ihren Schöpfern Kunde geben: von den Wünschen und Begehrlichkeiten, die uns umtrieben, aber auch von den Qualen, die wir litten. In den nunmehr menschenleeren Wohnstuben, Büros, Kaufhäusern und Museen würden Dinge des täglichen Gebrauchs neben Prestigeobjekten und Luxusgütern stehen. Hier findet sich Banales neben eindrucksvollen Beweisen menschlicher Kunstfertigkeit, Heiles neben Beschädigtem, Altes neben Neuem. Im Geiste des Polyäthylen und PVC entstandene Dutzendware neben Wunderlichkeiten aus Fischsilber, Zelluloid, gesintertem Porzellan, Alabaster und Bakelit.

All diese Dinge bezeugen unser Dasein. Ungefragt verraten sie, wer wir sind oder waren. So könnten sie von der Macht berichten, die sie einst verliehen. Sie könnten von Gewalt und Leidenschaft erzählen, von Liebe und Tod. Fast immer wurden sie das Vehikel von Projektionen und Zuschreibungen. In der Botschaft der Dinge sind nicht nur Ablagerungen der Gebrauchs-, sondern auch Sedimente der Gefühlswerte enthalten, mit denen wir Menschen die Dinge ausgestattet und imprägniert haben. Der Königsberger Philosophentraum, das "Ding an sich", entpuppt sich unter diesem Blickwinkel als Unding, da jeder der uns umgebenden Gegenstände gleich mehrfach kodiert ist: historisch, kulturell, gesellschaftlich, individuell. Auch lebensgeschichtlich.

Die Spur der Dinge reicht vom "ersten" Ding, der Kinderpuppe, bis zu den dem Sarg des Verblichenen beigelegten "letzten" Dingen. Wie wir mit den Dingen aufwachsen und sich ihre Bedeutung für uns ändert, so können die in ihnen geronnenen Bedürfnisse auch abbröckeln und verschwinden. Ersehnte man sich in jungen Jahren nichts mehr als dieses Fahrrad oder diese Musikanlage, so verlangt es uns in der zweiten Lebenshälfte nach ganz anderen Dingen: "Needs" und "Musts". Gegenstände, die wir uns erträumen. Dinge, die für unser Leben schlechthin unverzichtbar sind. Oder Dinge, deren Anschaffung wir als gesellschaftlichen Zwang empfinden.

Auch davon würden die Dinge berichten. Wenn Sie nur könnten. Das Begleitbuch zur Ausstellung "Botschaft der Dinge" im Museum für Kommunikation in Berlin im Jahr 2003 will diese Sprachlosigkeit beenden helfen und leiht den Dingen eine Stimme. Genau genommen sind es mehrere: die von 25 Autoren aus den unterschiedlichsten Bereichen wie Volkskunde, Design, Psychologie oder Modetheorie. Mal in naiv-narrativen, mal in scharfsinnig-analytischen Beiträgen erfährt der Leser, was Stühle, Schlüssel, Kriegsspielzeug, Gartenzwerge, Fußbälle, Dildos, Madonnen und Masken über die menschliche Gattung mitzuteilen haben. Er wird in den Supermarkt der Subkulturen entführt und darf eine zurückgelassene Bibliothek inspizieren.

Der hier vernehmbare Dialog der Dinge, das geheimnisvolle Wispern und Flüstern, lässt sämtliche Besitzwünsche verblassen und erstattet der materiellen Welt jene Eigenständigkeit und Souveränität zurück, die sie als Anhängsel unseres nassforschen Bemächtigungsdranges und unseres unverhohlenen Verwertungsdenkens verloren hatte. "Die Botschaft der Dinge ist eine Botschaft über den Menschen", vermerkt das Vorwort. Doch erst ihr Abstand zu uns bringt sie zum Sprechen und unterscheidet ihre Botschaft von einer distanzlosen Selbstauskunft. Erst nach dem Kappen der affektiven Bindungen und dem Sich-Abkoppeln vom scheinbar universalen Sympathiegebot mit der Gattung legt sie das Unbekannte, Unsichtbare und vielleicht auch Uneingestandene im Selbstverständlichen frei.

Eine befremdliche Reflexionsform, fürwahr. Darum will es fast indiskret erscheinen, dem geheimnisvollen Raunen der Dinge noch weiter beizuwohnen. Vor dem Zuklappen der Buchdeckel erinnere man sich jedoch noch einmal des obigen Gedankenspiels und der Annahme unserer gänzlichen Abwesenheit. Und rufe sich einen Aphorismus des Kleist-Preisträgers Ulrich Horstmann ins Gedächtnis, des Erfinders der hier vorexerzierten "anthropofugalen" Sichtweise. Horstmanns Sinnspruch besitzt etwas Tröstliches, denn neben der skizzierten Demissionsempfehlung imitieren hier die Dinge vergangenes Leben. Damit führt er vor Augen, wie wir in unseren Dingen überdauern: "Dingfest. Und kein Mensch feiert mit."

Titelbild

Joachim Kallinich / Bastian Bretthauer (Hg.): Botschaft der Dinge.
Edition Braus im Wachter Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
192 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3899040562

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