Qualitäten des Körpers

Hildegard Macha und Claudia Fahrenwald haben einen Band zu den Körperbildern der Gender-Forschung herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Interdisziplinarität steht seit geraumer Zeit hoch im Kurs, zumal in der Gender-Forschung. Doch beschränkt sie sich gerade in diesem noch jungen Forschungs- und Wissenschaftszweig noch immer allzu häufig auf die Geistes- und Kulturwissenschaften. Die Lücke, die von den Naturwissenschaften zu füllen wäre, fällt bei einem Band, dessen Titel interdisziplinäre Beiträge der Gender-Forschung zu "Körperbildern zwischen Natur und Kultur" ankündigt, besonders ins Auge. Doch die Herausgeberinnen, Hildegard Macha und Claudia Fahrenwald, scheinen sie nicht zu bemerken, wenn sie die am vorliegenden Band beteiligten WissenschaftlerInnen auflisten, die aus den Bereichen der Pädagogik, Soziologie und Theologie, der Altphilologie, Geschichte und Sportwissenschaft stammen. Zumindest gehen sie in der Vorbemerkung mit keinem Wort auf die augenfällige Leerstelle ein.

Die Beiträge des Buches sind in drei Gruppen zusammengefasst und beleuchten Körperbilder aus systematischer, historischer und existenzieller Perspektive, widmen sich also dem Körper im Diskurs, in der Geschichte und in der Lebenswelt. Der erste, grundlegende Beitrag stammt von den Herausgeberinnen selbst. Macha und Fahrenwald strukturieren die neuere interdisziplinäre Forschung zum Thema Körper und Geschlecht aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive, um "gleichzeitig eigene Akzente für eine zukünftige Diskussion zu setzen". Ihr Plädoyer gilt "einer zukünftig stärkere[n] Beachtung der subjektiven Komponenten in der Herstellung von Körperidentitäten jenseits von Idealismus, Essenzialismus und (De-)Konstruktion". Nicht immer fallen ihre Ausführungen überzeugend aus. So bleibt die Erklärung von Begrifflichkeiten schon mal ungenau. Nicht - wie die Autorinnen meinen - essenzialistische, sondern biologistische Theorien sind durch die Auffassung gekennzeichnet, "dass ein Determinismus besteht im Hinblick auf das biologische, binär definierte Geschlecht von Männern und Frauen, und dass sich daraus auch empirisch nachweisbare Verhaltensunterschiede ableiten lassen". Im Unterschied zu biologistischen können essenzialistische Theorien etwa auch einen metaphysisch (und nicht biologisch) begründeten, unhintergehbaren Unterschied zwischen den Geschlechtern postulieren. Der Auffassung, dass "die Gefühle" und "das Begehren" zu den "primären Qualitäten des Körpers" zu rechnen seien, mag man sich ebenfalls nicht anschließen. Merkwürdig mutet es zudem an, dass der Name Judith Butler einfach nicht fallen will, selbst dann nicht, wenn ganz offensichtlich von ihren Theorien die Rede ist. Als Quellen und Belegstellen für die Infragestellung der "Trennung in sex als dem biologischen und gender als dem sozialen Geschlecht" wird nicht etwa auf Butlers einschlägige Arbeiten aus der ersten Hälfte der 90er Jahre verwiesen, sondern auf ein 2002 erschienenes Buch von Anne Fausto-Sterling. Auch für die These, dass "das biologische Geschlecht und das individuelle Bewusstsein davon ebenfalls kulturell konstruiert" sind, wird wiederum auf Fausto-Sterling zurückgegriffen sowie auf Arbeiten aus der zweiten Hälfte der 90er Jahre von Donna Haraway, Carmen Gransee, Barbara Rendtorff und Doris Lemmermöhle. Judith Butlers hierfür grundlegende Werke bleiben unerwähnt. Im Laufe der Lektüre stellt sich jedoch heraus, dass deren vorläufige Absenz der systematischen Darstellung anzulasten ist - wenden sich die Autorinnen Butlers Theorien doch am Ende des Buches ausführlich zu und stellen diese konzis vor.

In Elisabeth Tuiders erhellendem Beitrag über den Körper als "kulturelle[m] Konstruktionsschauplatz" kommt Butler von Beginn an zu ihrem Recht. Vor dem Hintergrund "konstruktivistischer und dekonstruktivistisch-queerer Überlegungen", welche "die analytischen Mittel der Konstruktion" und "die subversiven Mechanismen der Dekonstruktion" miteinander verbinden, widmet sich die Autorin dem Geschlechtskörper als "historisch gewordenem", zeigt mit Butler und Bourdieu, wie sich gesellschaftliche Normen und Diskurse "sinnlich fühlbar im Körper materialisieren" und skizziert schließlich ein "queeres Körperkonzept". Für dieses ist es der Autorin zufolge sinnvoll, das "Konzept der Vielfalt" mit der "Strategie der Ver-Uneindeutigung" zusammenzuführen und es "in Hinblick auf eine Geschlechterauflösung" zu "visionieren". Statt auf die "traditionellen Basisoppositionen" Mann/Frau, Hetero/Homo und Identität/Nichtidentität setzt Tuider auf "Anerkennung und Achtung des geschlechtlichen, mehrgeschlechtlichen oder ungeschlechtlichen Körpers".

Anders als Butler - so die Autorin zur Bourdieu/Butler-Kontroverse - betont Bourdieu den sozialen Kontext, "in dem Macht und das Sprechen ihre soziale Wirkung entfalten". Denn, so lautet Bourdieus Argument, wichtig sei nicht nur, "was Sprache macht", sondern auch und vor allem, "wer unter welchen Bedingungen spricht". Bourdieu zufolge kann "widerständiges Sprechen" daher nur "im offiziellen Diskurs" entstehen, für Butler dagegen auch und gerade an dessen Rändern. Mit anderen Worten: Für Bourdieu ist "machtvolles Sprechen" nur von einer machtvollen Position aus möglich, für Butler hingegen ist es möglich, "autoritativ zu sprechen, ohne zum Sprechen autorisiert zu sein". Mit beiden TheoretikerInnen betrachtet Tuider Sprechen als "institutionellen, verkörperten Ritus", doch hält sie Bourdieu mit Butler entgegen, "dass 'bestimmte Formen, ein Sprechen aufzurufen, Akte des Widerstands sind'".

Weniger grundsätzlichen Fragen wenden sich die Beiträge im zweiten und dritten Teil des vorliegenden Bandes zu. So untersucht etwa Veit Rosenberger den Mythos von Lucretia, Christine Werkstetter stellt Überlegungen zur "geschlechtsspezifischen Ehre im Zunfthandwerk des 18. Jahrhunderts" an, Carola Merk-Rudolph betrachtet die Geschichte des Sports "aus Frauenperspektive" und Marion Speth-Schuhmacher wendet sich den "[g]eschlechtsspezifische[n] Risikofaktoren bei der Behandlung und Bewältigung von Krankheiten" zu.

Titelbild

Claudia Fahrenwald / Hildegard Macha (Hg.): Körperbilder zwischen Natur und Kultur. Interdisziplinäre Beiträge zur Genderforschung.
Verlag Leske und Budrich, Leverkusen 2003.
201 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 381003679X

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