James Joyce ist für uns alle da ...

Zum 100. Jubiläum des "Bloomsday" hat der Suhrkamp Verlag eine Einführung in das Werk von James Joyce erstmals auf Deutsch vorgelegt

Von Roman KernRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Kern

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

James Joyce ist einer der wichtigsten Autoren der englischsprachigen Moderne. Den meisten ist er bekannt als Verfasser von "Ulysses" - was jedoch nicht heißt, dass seine Bücher von vielen Menschen gelesen werden, denn sein Werk gilt als äußerst schwierig.

Mit seiner ersten Veröffentlichung, den "Dubliners", setzte eine literarische Entwicklung ein, die über den Höhepunkt "Ulysses" hinweg im Spätwerk "Finegans Wake" das Spiel mit Bedeutungen und Sprachen derart auf die Spitze trieb, dass mancher den 'Wake' als so gut wie unlesbar einstufte und häufig nur als metaphorische oder lautmalerische Sprache verstand. Samuel Beckett sagte einmal über James Joyce: "His writing is not about something. It is that something itself."

Doch nicht nur das Spätwerk ist komplex: Im "Ulysses" spielt Joyce versiert mit Bedeutungsebenen und reichert den Text mit Anspielungen vielfältigster Art an. So wird der Text bei all seiner scheinbar harmlosen Schilderung alltäglicher Abläufe zu einem modernen Epos. Eine Überfülle an Material wird in einen einzigen Tag des Jahres 1904 destilliert. So sollte jeder, der das Buch lesen und verstehen will, zumindest ein wenig versuchen, mehr über Joyce zu erfahren, um herausfinden zu können, womit sich der Autor beschäftigt hat.

Anthony Burgess will mit seinem Band eine Art "Lotsenkommentar" bieten und so den Einstieg in das Joyce-Labyrinth erleichtern. Das Buch erschien zunächst 1965 auf Englisch unter dem Titel "Here comes Everybody". Der englische Titel ist zugleich eine Anspielung auf "Finegans Wake": Hier heißt der Held Humphrey Chimpden Earwicker, dessen Initialen oft mit passenden Formulierungen oder Schlagworten gefüllt werden, wie zum Beispiel "Howth castle and Environs", "Haveth Children Everywhere" oder eben "Here comes Everybody" - eine feine Doppeldeutigkeit des englischen Titels, die leider nicht ins Deutsche gerettet werden kann.

Dass das Buch kürzlich erschienen ist, ist kein Zufall: Im vorigen Jahr hat sich der "Bloomsday", den der "Ulysses" beschreibt, zum hundertsten Mal gejährt. Der Suhrkamp Verlag, bei dem das Werk von James Joyce seit jeher auf Deutsch erscheint und der nun "Joyce für Jedermann" liefert, hatte sich der Aufgabe angenommen, die erste kommentierte Ausgabe des Werkes herauszubringen. Da kommt die erste deutsche Ausgabe des Buches von Burgess gerade recht, weil es eine kenntnisreiche und gut lesbare Einführung zu den Texten von James Joyce bietet - auch wenn der "Ulysses" hier eine besondere Stellung einnimmt, werden daneben ebenso die "Dubliners" und "Finegans Wake" erläutert. Dabei geht der Text über eine bloße Einleitung deutlich hinaus und stellt Analyseansätze und Deutungsmöglichkeiten ebenso wie zum besseren Verständnis notwendige Informationen über Hintergründe und Struktur der behandelten Werke bereit.

Dem leidenschaftlichen Joyce-Leser und Literaturwissenschaftler Anthony Burgess ist damit ein runder Wurf gelungen: Anders als so manche literaturwissenschaftliche Einführung in komplexe Materie gelingt ihm ein schwieriger Drahtseilakt. Er unterhält seinen Leser blendend, sodass sein Buch eher wie ein literaturwissenschaftlicher Detektivroman wirkt, der den Leser durch die Werke führt. Dabei macht er bei aller Verständlichkeit kaum inhaltliche Zugeständnisse und unterliegt selten der Versuchung, kompliziertere Sachverhalte zu verkürzen.

So beginnt auch die Einleitung zu dem Teil des Buches, der sich mit dem 'Wake' befasst, beinahe schon mit einer kleinen Vorwarnung: "Finegans Wake ist einem Werk der Natur so nahe, wie jemals irgendein Künstler gekommen ist - massiv, vertrackt, nur sich selbst dienend, eine Bedeutung andeutend, ohne doch jemals mehr als nur einen Bruchteil preiszugeben, und bei alledem (wie ein Baum) ungeheuer einfach."

Hier wird die Haltung des Autors deutlich: Einerseits steht er voll Bewunderung vor diesem Werk, das er mit der Größe der Natur vergleicht, andererseits will er dessen Struktur auf den Grund gehen; das Bewusstsein, sich auch nach Jahren der Beschäftigung immer noch im Ansatz zu befinden, schreckt ihn dabei nicht ab. Burgess beschreibt anhand von Beispielen die verschiedenen Stadien des gewaltigen "work in progress"; wie Joyce vorgegangen ist bei der Schichtung der Ebenen, auf dem Weg von der erkennbaren Bedeutung zur verdichteten Materie. Durch den klugen Kommentar, der die Genese des Textes begleitet, wird es dem interessierten Leser möglich, verhältnismäßig leicht in die Welt von James Joyce einzutauchen. Dennoch gibt es Bedenken, inwieweit dies letztlich überhaupt möglich sei. So urteilte Peter Wien vor kurzem: "Anthony Burgess will und kann dabei helfen. Wobei ich denke, daß Joyce für Jedermann nicht möglich ist."

Hier stellt sich noch eine andere Frage, nämlich die, ob das Buch jemals die Absicht hatte, die der deutsche Titel nahe zu legen scheint: Natürlich ist "Joyce für Jedermann" im Sinne von "Joyce für alle" ein Versprechen, das nicht eingelöst werden kann oder wird. Doch sollte man sich vielleicht eher über den englischen Titel Gedanken machen: "Here comes Everybody" brilliert auf eine doppeldeutige Weise, die nur die Sprache des Originals vermag und spricht mitnichten davon, Joyce jedermann zugänglich machen zu wollen. Ein gewisses Interesse und ein bestimmtes Maß an Vorbildung muss wohl immer vorhanden sein.

Titelbild

Anthony Burgess: Joyce für Jedermann.
Übersetzt aus dem Englischen von Friedhelm Rathjen.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
384 Seiten, 8,50 EUR.
ISBN-10: 3518456083

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