Magie statt Logik

Matthias Polityckis Roman "Herr der Hörner

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Matthias Politycki, der mit seinem "Weiberroman" (1997) und mit dem Nachfolgewerk "Ein Mann von vierzig Jahren" (1999) respektable Erfolge feierte, schwingt sich zum Erneuerer der deutschen Literatur auf. Zusammen mit einigen Autorenkollegen seiner Generation forderte der 50-Jährige in einem umfangreichen Artikel in der "Zeit" einen "relevanten Realismus" und "neue Utopien" (Vgl. literaturkritik.de 08/2005).

Für seinen nun vorliegenden, opulenten Roman "Herr der Hörner" reiste Politycki ein halbes Jahr nach Kuba und propagiert nun eine Lebensweise, in der man "unlimitiert agieren" kann, in der "Magie statt Logik, Ritual statt Suchmaschine und Geheimnis statt Dialektik" dominieren. Sollen das die neuen Utopien sein?

Politycki schickt seinen Protagonisten Broder Broschkus, einen promovierten Banker, auf Castros Insel, weil er sich dort zuvor bei einem gemeinsamen Urlaub mit seiner Frau Kristina in eine geheimnisvolle Frau "mit einem fahlen Fleck im Auge" verguckt hat. Getroffen hat er sie in der "geilsten" Kneipe der Welt. Broschkus löst seine Konten auf und will im afrokubanischen Süden der Insel, wo ihm die Visa-Karte abhanden kommt, die Schöne mit der "waldhonigfarbenen Haut" suchen.

"Das Helle vergeht, doch das Dunkle, das bleibt." Dieser bedeutungsschwangere Satz leitet den über 700 Seiten langen, ungebremsten Erzähl- und Assoziationsstrom ein. Politycki geht es um grundlegende Werte. Der saturierten westlichen Welt stellt er das beinahe archaische Leben in der Karibik gegenüber. Doch die intendierte Zivilisationskritik gerät ihm nolens volens zur abenteuerlichen Aussteigerstudie über einen von der Midlife-Crisis heimgesuchten Karrieristen, der (auch) vor dem heimischen "Kuschelsex" fliehen will.

Der Hamburger Autor hat sich in seinem Roman gänzlich der Logik versperrt und setzt alles auf die Karte "Magie". Wie anders ist es zu erklären, dass er uns glauben machen will, dass seine Hauptfigur ohne größere Probleme in die eigentlich hermetische, von Riten gesteuerte Gesellschaft des Inselsüdens aufgenommen wird. Allein die Peso-Scheine in seinen Taschen, die ihn von den Dollar-Touristen unterscheiden sollen, werden ihm kaum das Vertrauen der Einheimischen beschert haben.

Broschkus lebt jedenfalls im Kreis der Einheimischen auf und scheint die "epochale Erschöpfung der gesamten alten Welt", die er bei seiner Ankunft wie einen schweren Ballast verspürte, zu besiegen. Die kultischen Weihen, die ihm verliehen werden, wirken offenbar wie ein Jungbrunnen. Doch Broschkus' Selbsterkenntnisse haben den Charakter eines Thesenpapiers; hier werden Stimmungen nicht evoziert, sondern behauptet. Die Logik des Lesers wird auch dadurch überfordert, dass sich der erfolgreiche Hamburger Bankier an blutigen Ritualen mit dem "Herrn der Hörner" (in Kuba eine Umschreibung für den Teufel) erfreut, seinen Körper nahezu verstümmeln lässt ("nie wieder Fröhlichkeit von Wetterfröschen,... nie wieder Deutschland") und dies mit "Eruptionen physischer Macht" zu erklären versucht.

Plausibilität hat Matthias Politycki nicht angestrebt. Ihm ging es offensichtlich um einen Lebensentwurf abseits von den westlichen Werten. Doch was ist von einer "ungebremsten Wildheit des Willens" zu halten, wenn um ein Brot gekämpft und um einen Sitzplatz im Bus handfeste Auseinandersetzungen entstehen?

Vielleicht ist dieser Roman aber auch eine künstlerische Antwort auf das hierzulande grassierende "Jammern auf hohem Niveau", ein leidenschaftlicher Appell zur Rückbesinnung auf die Werte der so genannten "zivilisierten westlichen Gesellschaft." Ein Ausflug nach Kuba hätte es dazu eigentlich nicht bedurft, ebenso wenig der Forderung nach einem "relevanten Realismus". Und die "neuen Utopien" haben sich nach der Lektüre von Matthias Polityckis abenteuerlichem Roman auch nicht erschlossen.

Titelbild

Matthias Politycki: Herr der Hörner. Roman.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2005.
736 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3455058922

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