Das 'sur plus' der Literaturwissenschaft

Christoph Königs Ausführungen zu Peter Szondi

Von Thomas SchröderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Schröder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die als "marbachermagazin 108" vorgelegte Studie über Peter Szondi versteht sich weniger als Katalog zu der Ausstellung, die anlässlich des 75. Geburtstags des Literaturwissenschaftlers am 22. Dezember 2004 im Schiller-Nationalmuseum eröffnet wurde und später auch im Literaturhaus Berlin zu sehen war, denn als Essay. Im Mittelpunkt steht im doppelten Sinne die essayistische Form als Arbeitsweise Szondis sowie als Verfahren, den Entwurfscharakter seiner Arbeiten angemessen darzustellen. Außerdem bietet eine vierzehnseitige Chronik einen materialreichen Überblick zur Biografie des - neben Robert Minder - bedeutendsten Komparatisten des 20. Jahrhunderts. Die bibliographischen Angaben sind im Falle der Übersetzungen von Szondis Schriften vorbildlich, recht lückenhaft ist die aufgeführte Primär- und Sekundärliteratur, wobei Vollständigkeit aber auch nicht angestrebt wurde.

Szondis intellektuelle Wirkung wird nicht primär anhand seines akademischen Werdegangs hergeleitet. Von zentraler Bedeutung ist vielmehr sein Bezug auf ein "Außen", was der Herausgeber König vor allem am Beispiel der Briefwechsel mit Paul Celan, Jean Bollack, Theodor W. Adorno und Gershom Scholem erläutert. Stehen diese Namen auch für ein kritisches Verhältnis zur universitären Praxis der 50er und 60er Jahre, so waren die Korrespondierenden doch um eine Veränderung interner Strukturen bemüht. Nicht immer gelang dies. Szondis schwierige Position wird besonders deutlich in der gescheiterten, von Adorno angeregten Berufung an die Universität Frankfurt. Die von König hierzu erstmals vorgestellten Materialien lösten eine intensive Debatte zwischen dem Germanisten Klaus von See und dem Philosophen Jürgen Habermas aus, die im letzten Jahr im Feuilleton der FAZ ausgetragen wurde. Hier zeigte sich, dass Szondis und Adornos politischer Anspruch noch heute die etablierte Germanistik und Literaturkritik provoziert. Anders als König und Habermas besteht von See auf einer rein sachlich begründeten Entscheidung der Fakultät. Dagegen erinnert König in seiner Studie an den latenten Antisemitismus innerhalb der damaligen Diskussion. Einige Fakultätsmitglieder störten sich unter anderem an Szondis Eintreten für Celan. Was Szondi in Frankfurt nicht durchzusetzen vermochte, gelang ihm hervorragend mit dem Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Ein großer Anteil der erwähnten Korrespondenzen zeigt, wie eine neue Form intellektueller Debatte durch die Einbindung der Adressaten an der Universität etabliert wurde. Selbst Celan las und kommentierte seine Gedichte in den Oberseminaren Szondis. Hier und nicht in den öffentlichen Lesungen des Literaturbetriebs entwickelten sich die Ansätze einer anderen Rezeption.

Das stärkere Moment von Königs Orientierung an den auf ein Außen hin entworfenen Arbeiten des Literaturwissenschaftlers ist dessen Bestehen auf der begrifflichen Objektivität seiner Gegenstände. Szondis Selbstverständigung ist keine in der Immanenz von Fach und Methode, sondern auf die gesellschaftlichen und historischen Formierungen von Kunst bezogen. König fasst diesen Hintergrund aber allzu ästhetisierend, wenn er Szondi "nach einer Kunstlösung" suchen lässt oder gar emphatisch davon spricht, dass sich "Geschichte in den Gattungen verwirklicht".

Den Ansatzpunkt Szondis bei einer 'Logik des Produziertseins' als einer im Kontext Hegels, Lukács und Adornos entwickelten verfehlt er, wenn er meint, diese thematisiere philosophisch "eine Seinsweise", während sie philologisch zu erklären hätte, "wie ein Einzelwerk entstanden sei". Gerade diese Unterscheidung gibt es bei Szondi nicht. Immer schon ging es um ein kritisches Ineinander von Poetik und Geschichtsphilosophie, wie es auch die von ihm zentral behandelten Autoren Hölderlin und Celan vorausgesetzt haben, und nicht um eine ästhetische Erfahrung im Sinne von Valerys "point d'existence", die König seinen Ausführungen zentral voranstellt: "Abseits der natürlichen Zeit entstehe der tiefe Gedanke". In Szondis Übersetzung heißt es aber: "'Tief' ist ein Gedanke, der scheinbar nur außerhalb der natürlichen Zeit entstehen und gefaßt werden konnte."

König verfolgt seinen Interpretationsansatz auch auf der persönlich-biografischen Ebene mit Intensität: "Statt also ein Inneres zu verbergen, bildet Szondi eine Objektivität aus, die das Selbst ist -", das damit gefährdet ist. So sinnvoll sich diese Zuspitzung von Existenz und Methode als interpretatorische Engführung an den Gedichten Celans erweist, so problematisch bleibt sie in ihrer Applikation auf die Biografie des Interpreten. König, der den Briefwechsel Szondi/Celan 2005 kommentiert herausgegeben hat und wie kaum ein anderer damit vertraut ist, entwickelt immer wieder Thesen, die dieser Tendenz Vorschub leisten, so wenn er "den großen intellektuellen Einfluß" Celans in beider "Entscheidungen für das eigene Judentum" fortschreibt und schließlich in der Unvermeidlichkeit zweier Suizide - Szondi tötete sich ein Jahr nach Celans Freitod - kulminieren lässt.

Doch die Fragilität des Lebens einerseits und der Texte andererseits muss unterschieden werden. Gerade darin liegt die Pointe von Szondis Literaturwissenschaft: "Verlangt wird eine Offenheit, die vom eigenen Ich absieht", heißt es in seiner Einführung in die literarische Hermeneutik. Königs Ausführungen dagegen umgehen diese Engstelle der Interpretation.


Titelbild

Christoph König: Engführungen. Peter Szondi und die Literatur. marbachermagazin 108.
Deutsche Schillergesellschaft, Marbach 2004.
119 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-10: 3937384049

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