Nachlassende Kräfte auf der Zielgeraden
Wilfried F. Schoellers Reise durch das wilde Leben Hubert Fichtes (und Leonore Maus)
Von Christoph Schmitt-Maaß
Besprochene Bücher / LiteraturhinweisePeter Braun hat anlässlich Hubert Fichtes 20. Todestag kürzlich eine am Werk orientierte Biografie des "reisenden Reporters", wie sich Fichte nannte, vorgelegt. Ihm folgt Wilfried F. Schoeller mit seinem Katalog zur großen Retrospektive von Fichtes und Leonore Maus Werk, die in den Hamburger Deichtorhallen gezeigt wurde.
Während Braun sich auf die topografischen Stationen von Fichtes Schreiben konzentriert und damit eine zum Teil asynchrone Reise durch das Werk Fichtes bietet, liegt Schoellers Schwerpunkt auf der Darstellung der Lebensreise. Zudem versucht Schoeller, die Bedeutung von Leonore Maus Fotografien im Zusammenklang mit Fichtes Schreiben herauszustellen - eine produktive, auch streitbare Zusammenarbeit in verschiedenen Medien, die immerhin ein Viertel Jahrhundert währte. Letzteres gelingt ihm jedoch nur partiell - zu exkursorisch erscheinen die Einrückungen zu der großen Fotografin. Schoeller gelingt es nicht, das wechselseitige Verhältnis der "Doppelten Dokumentation" im Werk Maus und Fichtes zu erhellen, wie dies Peter Braun in seiner Dissertationsschrift tat. Auch teilt der Ausstellungskatalog wenig Neues mit, vermittelt - wie auch die museale Präsentation - altbekanntes Bildmaterial, das anderswo (für den Fichte-Forscher zumal) greifbar gewesen wäre. Was Schoeller an Novitäten aus dem reichen Fundus des Hamburger Fichte-Nachlasses präsentiert, bedarf jedoch der Kommentierung. In der vorliegenden Form kommt der Bebilderung ein rein illustrativer Zweck zu, der dem spezifischen Interesse der Darstellung des Zusammenhanges von Schreiben und Fotografieren kaum gerecht zu werden vermag.
Der solchermaßen reich illustrierte und attraktiv gestaltete Bildband bietet zugleich eine Einführung in das Leben Fichtes, wo sich Peter Braun auf das Werk konzentrierte. Allerdings verschiebt sich bei Schoeller der Interessenfokus auf das "Frühwerk". Die Darstellung der frühen und mittleren Schriften (also bis zum Beginn der Arbeit am 'roman fleuve' "Geschichte der Empfindlichkeit") dominiert die Darstellung zu vier Fünfteln. Fichtes weitaus umfangreicheres opus magnum hingegen wird auf nur rund 100 Seiten dargestellt - gleichwohl Schoeller eine Bemerkung Fichtes zitiert, nach der alle Schriften bis zur "Geschichte der Empfindlichkeit" nichts als eine "Vorschule" darstellten. Angesichts des auf 19 Bände projektierten Mammutwerks scheint Schoeller der darstellerische Atem auszugehen, der bis dato die Erschließung des Fichteschen Werks geprägt hat: statt sich in erzählerischem Manier und locker geknüpften Übergängen diesem (zugegebener Maßen anspruchsvollen) Projekt zu nähern, handelt Schoeller Band auf Band eher pflichtbewusst als engagiert ab. Die zunehmende Fehlerquote (vor allem in den Zitaten), die nicht etwa Fichtes eigenwilliger Orthographie geschuldet ist sowie der Abdruck offensichtlicher Errata (mehrere Fragezeichen statt einer Seitenangabe) sprechen dafür, dass der Band übereilt abgeschlossen werden musste. Andererseits scheint Schoellers Verhältnis zu Fichtes Spätwerk, das noch einmal einen ganz neuen Anlauf zu ethnopoetischer Forschung unternimmt, auch geprägt von Ambivalenzen.
Wie wäre sonst zu erklären, dass Schoeller die Riten und Beschwörungsformeln des afrobrasilianischen Candomblé als "Hokuspokus" oder "Geblödel" begreift und mit seiner Repräsentation von Fichtes Werk eben jene sprachliche Ebene aufscheinen lässt, die dieser selber zu überwinden trachtete: die des besserwisserischen, kategorisierenden und (ein)ordnenden Forschers, der als "Sieger über den Text" (Fichte) hervorgeht.
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