Bioökonomische Dissidenz

Petra Gehrings Suche nach Antworten auf die Frage "Was ist Biomacht?"

Von Petra RoggeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Rogge

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manchmal ist es gut, mit einem Hinweis anzufangen. Dieser hier lautet schlicht und doch nicht einfach: "Wenn Biomacht heute als Mitmach-Ökonomie organisiert ist und sich über biomedizinische, biorechtliche oder anderswie biopolitische Alltagsangebote realisiert, so wäre es ein Schritt des Widerstandes, die angebotenen Profite zu verweigern und also den Angebotscharakter in Frage zu stellen." Ginge es nicht um Biomacht, so könnte beispielsweise gemeint sein: vom Auto auf die öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen, weil der Zeitprofit, den das Auto verspricht, vielleicht gar keiner ist. Jedenfalls nicht für alle und in keinem Falle unbedingt. Der Gedanke lässt sich genauso auf Angebote aus der Körperpflegeindustrie übertragen. Dem dort versprochenen Profit von Schönheit und Gesundheit kann sich - zumindest teilweise - verweigern, wer der Ansicht ist, weder faltenlos noch sonst irgendwie makellos sein zu müssen.

Nun schreibt die Autorin Petra Gehring, Philosophie-Professorin an der TU Darmstadt, nicht gegen Autofahren und Körperpflege. Sie schreibt überhaupt nicht gegen etwas, was zu tun oder zu lassen ist. Ihre Position ist nicht die einer Gegnerin oder Befürworterin von Biomedizin oder Biotechnologie. Sie verstrickt die Leser auch nicht in ethische Denkmuster, um ein Pro oder Kontra doch noch irgendwie zu stützen. Aus ihrem Buch, das eine Überarbeitung bisheriger Veröffentlichungen zu der Frage "Was ist Biomacht?" versammelt, spricht der Vorschlag zur Reflexion - über Herkunft und Gestalt, Macht und Argumentationsweisen von Bioethik und Biopolitik. In den elf Kapiteln des Buches sind daher auch keine Antworten auf die Frage nach der Biomacht zu finden. Wohl aber werden spannende Wege aufgezeigt, auf die man bei der Suche nach Antworten geraten könnte. Wer sich hier auf den Weg machen mag, dem kann es durchaus hilfreich sein, das biomedizinische und biotechnologische Profitversprechen befragend im Sinn zu halten.

Wenn Körperstoffe und Biodaten zirkulieren, neue Rechts- und Verwertungsverhältnisse entstehen, der lebende menschliche Körper zur Ressource wird, interessant in ökonomischer Hinsicht, freigegeben zur Optimierung und Reparatur; wenn Testverfahren Gewissheiten anbieten, neurophysiologische Experimente den menschlichen Willen verorten und die Eigentötung mit dem Tod durch Dritte amalgamiert, dann ist stets, so die Autorin, "das Zugriffsmuster namens Biomacht" im Spiel. Jedes einzelne Kapitel in Gehrings Buch veranschaulicht beispielhaft, dass es dabei nicht einfach um Aspekte der Inbesitznahme und Kommerzialisierung des menschlichen Körpers oder seiner Substanzen geht. Weder, dass der Einzelne Blut und Organe spendet, die dann doch, den Marktgesetzen unterliegend, im Umlauf gehalten werden, ist allein brisant. Noch, dass von Schwangeren Biodaten erfasst und ausgedeutet werden oder Vaterschaftstests familiäre Verantwortung in die Hände der Gendiagnostik legen, macht allein den von Gehring angenommenen 'zweifelhaften Mehrwert des Lebens' aus. Wirklich bedenklich ist erst, dass sich durch das Zugriffsmuster Biomacht auch das zu ändern scheint, "was ein lebendiger Körper ist". Werden die biomedizinischen Möglichkeiten erst angewendet, so laufe ich, also mein individueller menschlicher Körper, Gefahr, "anders behandelt, anders verwendet, anders wahrgenommen und anders dargestellt" zu werden.

Sicher kann man der Ansicht sein, dass es sich bei Daten, die beispielsweise für Gesundheitspässe erhoben und zur Abfrage bereitgehalten werden, nur um abstrakte Informationen handelt. Mit der Autorin müsste man allerdings einen Schritt weiter gehen und die erfassten Daten als Teil des eigenen Körpers wahrnehmen. Dann wäre das "bisherige Sosein von Leiblichkeit" gefährdet, so Gehring, wenn etwa eine Schwangere sich über die im Mutterpass dokumentierten Daten versteht. Denn der Pass fragt medizinische und soziale Daten ab, die eine Wirklichkeit schaffen, zu der die Schwangere sich schließlich verhält - so als seien erhöhte Blutzuckerwerte oder andere Risikofaktoren Teil des schwangeren Körpers. Spitz spricht die Autorin denn auch von der "Erschließung" der Schwangerschaft durch den Mutterpass. Schön hätte hier auch der Begriff aus den Reihen des Bundesverbandes der Frauenärzte e.V. gepasst: die sprechen vom "Vorsorgefahrplan", den immerhin 90 Prozent der schwangeren Frauen brav einhalten, oder in Gehrings Worten "abarbeiten". Bei so viel unterstellter Systemkonformität, liegt die Frage nach dem 'Warum tun Frauen das, freiwillig?' recht nahe. Gehring gibt darauf keine Antwort, fast scheint sie selbst ein wenig verwundert.

Folgt man der Autorin, dann scheint das Zugriffsmuster Biomacht so mächtig, dass Schwangere, Kranke, ungewollt Kinderlose, Alte fraglos auf ein System sich einlassen, dem der Körper bloß Daten-Körper, Stoff-Körper oder einfach nur "Ding" ist. Wer hier mit der Autorin einig sein kann, dem werden in den weiteren Kapiteln Stacheln gesetzt, die so leicht sich nicht wieder ziehen lassen: Wem eigentlich gehören Körperstoffe und Biodaten? Dürfen die einfach so genutzt werden? Kann man Eigentumsrechte geltend machen? Diese Stachel, die sind das wirklich interessante an Petra Gehrings Buch. Keine Antworten, keine Lösungen. Vielleicht doch, eine kleine Lösung - für jene, die das Profitangebot der Biomedizin und Biotechnologie für sich überdenken mögen. Man stelle sich mit der Autorin zunächst die Frage: "Wie technisch will ich meinen Körper im Alltag erleben und kalkulieren müssen, indem ich mich auf Bio-Daten und gerätegestützte Selbstkontrollen als Teil einer Therapiestrategie einlasse?" Wem die Sache mit den Bio-Daten unterdessen etwas bedenklich vorgekommen ist, dem könnte hierzu so etwas einfallen, wie die Ablehnung des Profitangebots aus Gründen nicht vorhandenen Interesses. Ein Wagnis natürlich. Da bleibt auch bioökonomischen Dissidenten nichts erspart.


Titelbild

Petra Gehring: Was ist Biomacht? Vom zweifelhaften Mehrwert des Lebens.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
240 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3593380072

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